Angesichts der Bilder von vergangenem Samstag kommt berechtigter Unmut auf. Neben der Frage, welche Menschen und Gruppierungen das sind, die „gegen Corona“ demonstrieren, stellen sich viele vor allem eine Frage: Warum dürfen sie das?

Polizei beruft sich auf Versammlungsfreiheit

Vor allem die Wiener Polizei kam dabei in Erklärungsnot. Auf Sozialen Medien wurde Kritik geäußert, weshalb sie die Demonstration a) überhaupt genehmigte und b) nicht auflöste, nachdem hundertfach gegen das Covid19-Maßnahmengesetz verstoßen wurde und ihre Durchsagen ignoriert wurden. Am Ende stellte die Exekutive „nur“ rund 300 Anzeigen aus. „Aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und polizeitaktischer Notwendigkeiten“ wurde die Großdemonstration aber nicht aufgelöst, hieß es in einer Aussendung.

Tatsächlich wurden viele der angemeldeten Demonstrationen – man hat offenbar versucht, das Versammlungsbüro mit Demo-Anmeldungen zuzumüllen und so die Einsatzplanung zu erschweren – vorab untersagt. Dafür braucht es aber einen stichhaltigen Grund, schließlich ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt.

Neue Richtlinie greift nicht

Eine neue Richtlinie, die Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) vor zwei Wochen präsentierte, hätte es eigentlich leichter machen sollen, „Querdenker“-Demos zu untersagen. Wie sich am Samstag herausstellte, bleibt der Präventions-Spielraum der Polizei aber offenbar weiter sehr begrenzt, die Richtlinie scheint zahnlos. Entscheidend für die Anwendung der Richtlinie ist nämlich, wer die Demonstration anmeldet, nicht wer dafür mobilisiert.

Ist die Person, die eine Kundgebung anmeldet, vorher nicht durch Übertretungen aufgefallen, kann die Versammlung auch nicht untersagt werden. Auch dann nicht, wenn diejenigen, die für die Demo mobilisieren, online dazu aufrufen, keine Masken zu tragen und dadurch die Gesundheit aller anderen gefährden. Die Veranstalter der Demo am Samstag waren demnach nicht amtsbekannt, haben alle Auflagen erfüllt und hätten sich sogar aus möglicherweise taktischen Gründen von einem der bekannten Hauptmobilisierer, Martin Rutter, distanziert.

„Wir lassen die Demos nicht zu, wir können sie nur nicht einfach so untersagen“, sagt Polizeisprecher Markus Dittrich und zeigt sich verärgert über das Unverständnis mancher „Twitteranten“, auch wenn er den Unmut verstehe. Nur davon auszugehen, dass sich die Menschen nicht an die Maßnahmen halten werden, reiche vor Gericht nicht. Dittrich räumt aber ein, dass die Demo am Samstag ein Präzedenzfall werden könnte, durch den die Richtlinie nachgeschärft werden könnte. Aber: „Selbst wenn wir eine Demo untersagen, heißt das nicht, dass sie nicht trotzdem stattfinden kann“, sagt Dittrich und betont erneut das Recht auf Versammlungsfreiheit, das über einfachen Verwaltungsübertritten stehe. Womit wir bei Punkt b) wären: den massiven Übertretungen vor Ort. Warum hat man die Demo nicht spätestens dann aufgelöst?

Auflösung "problematisch bis nicht durchführbar"

Hier argumentiert die Polizei erneut mit Verhältnismäßigkeit. Eine Auflösung sei meist verbunden mit einer Einkesselung. Dabei würden die Leute noch dichter zusammengedrängt werden, was das Gesundheitsrisiko zusätzlich erhöhen würde. Außerdem sei es selbst mit einem extrem hohen Polizeiaufgebot „problematisch bis nicht durchführbar“, eine Versammlung von 10.000 Personen einfach so aufzulösen. Das hätte mehrere Stunden gedauert und hätte wohl unschöne Bilder gegeben. Letztendlich konnte eine größere Eskalation, wie wir sie von deutschen Großdemonstrationen kennen, verhindert werden. Markus Dittrich gibt außerdem zu bedenken, dass abseits der extremistischer Gruppen viele der Anwesenden keine Demo-Erfahrung hätten.

Umstrittene Handhabe

Der Umgang der Polizei mit Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstationen ist in den letzten Wochen zur Gratwanderung geworden. Auch kleinere Demonstrationen wurden bisher kaum aufgelöst, wenn es zu Übertretungen kam. Gegendemonstrationen hingegen schon - die Kleine Zeitung berichtete. Die Polizei schlichtweg als Verbündete der teils rechtsextremen Demonstranten darzustellen, wäre aber falsch. Vielmehr läge es jetzt an der Regierung, eine Richtlinie zu veranlassen, mit der extremistische Akteure und auch Redner, die zum Verweigern der Maßnahmen aufrufen, besser isoliert werden können.