Es ist vollbracht: Samstag abend kurz vor 22 Uhr gingen die Landeshauptleute auseinander - bis in den späten Abend hinein hatten sie mit dem Bundeskanzler getagt. Nun liegt das Ergebnis auf dem Tisch, das offiziell Sonntagmittag verkündet wird: Lockdown für den Handel, körpernahe Dienstleister und Musee bis zum 8. Februar. Ein Nachdenken über die Öffnung für Gastro, Hotellerie und Veranstaltungen frühestens Mitte Februar.

Die Lage ist ernst: Die Landeshauptleute sind neuerdings wieder direkt und intensiv eingebunden in die Enscheidungen im Kanzleramt - Kanzler Sebastian Kurz weiß, er braucht sie, um mit einer Verlängerung des Lockdown in der Bevölkerung auf Verständnis zu stoßen. Die Sozialpartner sind an Bord, die Opposition informiert.

Die SPÖ-Landeshauptleute, namentlich Michael Ludwig in Wien und der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiserrechneten bereits damit, dass der Lockdown noch weit in den Februar hinein reichen wird. Samstagabend gab es noch einmal eine Besprechung mit dem Kanzler. Dieser wird gemeinsam mit Vizekanzler, Gesundheits- und Innenminister Sonntag um 11 Uhr die Öffentlichkeit über die aktuellen Maßnahmen informieren.

Die Sozialpartnerwürden eine Verlängerung des Lockdowns zähneknirschend mittragen, fordern aber ein Ablaufdatum.

Die Opposition ist gespalten, fordert aber zumindest einhellig Transparenz. Für die SPÖ können über Öffnung oder Schließung nur die aktuellen Infektionszahlen entscheiden.

Am Samstag sprachen die Experten. Univ.-Prof. Oswald Wagner, Vize-Rektor der Uni-Wien, wandte sich bei einer Pressekonferenz als Erster an die Öffentlichkeit. Er sprach eine deutliche Sprache:

  • Die Sieben-Tages-Inzidenz bewegt sich trotz Lockdown zwischen 130 und 150, das ist zu hoch. Der Wert müsse auf unter 50 sinken (das ist auch die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO).
  • Es könne nicht sein, dass ein Land aufmacht und die anderen rundherum nicht, weil sich das Virus, speziell die mutierte Variante, dann noch stärker verbreite ("Pingpong-Effekt").
  • Diese mutierte Variante sei wesentlich infektiöser.

Die Verbreitung der neuen, ansteckenderen Variante des Corona-Virus könnte in Österreich schon recht weit fortgeschritten sein. Wie erste bekannt gegebenen Ergebnisse einer Stichprobe von 83 positiven PCR-Tests zeigten, wurde bei 14 Proben die für das britische Virus typische Mutation (N501y) nachgewiesen. Damit waren 17 Prozent der analysierten positiven Fälle von der Mutation betroffen.

FFP2-Maske, Abstand, Testen

Wagner leitet daraus die Notwendigkeit zu folgenden Maßnahmen ab:

  • Einführung einer generellen FFP2-Maskenpflicht in geschlossenen Räumen
  • ein Mindestabstand von zwei Meter
  • regelmäßiges Testen der gesamten Bevölkerung

Und was ist mit dem Lockdown? Auch hier ist Wagner klar und deutlich: "Die Bevölkerung trägt die derzeitigen Maßnahmen nicht mehr ausreichend mit." Ein genereller Lockdown für alle, bis eine Sieben-Tages-Inzidenz von 50 erreicht sei, das ist die Empfehlung. Zumindest für zwei bis drei Wochen. Damit könne man die Zeit bis zur Impfung der besonders gefährdeten Personen überbrücken.

Das bedeute auch geschlossene Schulen und eine verstärkte Empfehlung zu Homeoffice für alle, damit die Kinder betreut werden könnten. Freiwillig wird das Arbeiten von zu Hause übrigens trotz Lockdown offenbar nur relativ wenig genützt, wie eine "profil"-Umfrage zeigt: Von jenen 71 Prozent, bei denen dies theoretisch möglich wäre, arbeitet nur ein Teil von zu Hause aus (insgesamt 21 Prozent der Befragten "fast vollständig", weitere 20 Prozent zumindest "teilweise"). 

Die Empfehlung zum Homeoffice, "damit die Eltern die Kinder betreuen können", ärgert wiederum Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian:

Eine zusätzliche Einschränkung des Bewegungsradius, wie sie Deutschland verhängte (15 Kilometer) hält Wagner nicht für notwendig.

Verdoppelung innerhalb einer Woche

Virologe Andreas Bergthaler ergänzte die Ausführungen Wagners: Man müsse bei der mutierten Variante des Virus von einer Infektionsrate ausgehen, die um mindestens 50 Prozent höher sei. Das bedeute, dass sich die Zahl der Infizierten innerhalb einer Woche jeweils verdopple. In Großbritannien und Irland habe man das beobachten können, in Irland habe sich die Wirkung durch eine gleichzeitige Öffnung des vorherigen Lockdowns verstärkt.

Public-Health-Experte Herwig Ostermann steuerte die konkrete Modellrechnung bei: Wenn es gelinge, die Reproduktionszahl (derzeit bei 1) auf 0,9 zu senken, dann erfolge die Verdopplung innerhalb von 17 Tagen, das Zeitfenster bis zur Impfung, innerhalb dessen die Entwicklung noch kontrollierbar sei, verlängere sich auf zwei bis drei Monate. Bei einer Senkung auf 0,8 dauere es 35 Tage bis zur Verdoppelung, dann habe man ein Zeitfenster von mehreren Monaten, bis der größte Teil der Bevölkerung durchgeimpft sei.

Ohne FFP2-Maske geht's nicht

Univ.-Prof. Erich Neuwirth ist Statistiker: "Vor dem 11. November haben wir bereits eine exponentielle Verbreitung beobachten können. Wenn der Reproduktionsfaktor nicht sinkt sondern steigt, dann sind wir nicht mehr stabil sondern haben es wieder mit einer explosionsartigen Steigerung zu tun."

Die FFP2-Maskenpflicht sei unabdingbar, denn es dauere, bis der Effekt der Impfungen messbar sei. In Israel zum Beispiel seien bereits große Teile der Bevölkerung geimpft, "aber die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle steigt noch immer". Nur im Zusammenwirken von Restriktionen und Impfungen könne es gelingen, das Geschehen zu beherrschen.