Haben Sie schon einmal einen Elefanten galoppieren gesehen? Wenn unsere Vorfahren dessen Vorfahren, ein Mammut, erlegen wollten, um zu überleben, benötigten sie eine Strategie, die die Übermacht der Beute kompensierte. Und einen Plan zur Umsetzung der Strategie sowie eine Gruppe Menschen mit Kraft, Ausdauer und Intelligenz, die sich gut abspricht, wer was wann und wie macht. Dann musste das Besprochene umgesetzt werden.

Das ist heute nicht anders. Was ist unser Ziel? Nicht ein Mammut zu erlegen, sondern eine Pandemie. Damit fängt die Misere an: Was ist das Ziel für Österreich? Es kann nicht 0 Tote oder 0 Infektionen sein; ein solches Ziel haben wir auch nicht für die Grippe, fürs Autofahren oder für den Alkoholkonsum. Das Ziel muss die Wiederherstellung des Alltags sein, mit offenem Visier und Handschlag, durch Zurückdrängen der Covid-Auswirkungen auf das Niveau etwa der Grippe.

Bisher war unsere Strategie aufwendig: Menschen sollten möglichst wenig Kontakt miteinander haben. Das ist teuer, wegen der Unterstützung für all die entfallenen Tätigkeiten und der gigantischen Schulden, um das zu finanzieren. Sie ist vor allem menschlich teuer, weil wir soziale Wesen sind und Kontakt miteinander wollen und brauchen.

Zum Glück offeriert uns die Wissenschaft nun eine bessere Strategie: Impfstoffe, gleich mehrere, die enorm wirksam sind. Möglichst viele möglichst schnell impfen – die Risikogruppen zuerst. Das ist eine Strategie, die glasklar ist und schnell Wirkung zeitigen wird: Nur 17 Prozent aller Ansteckungen, aber die gesamte Übersterblichkeit in Österreich war in der Altersgruppe der über
65-Jährigen. Wenn wir diese 1,7 Millionen Menschen impfen, dazu noch Jüngere in Risikogruppen, also ab etwa zwei Millionen Geimpfter, heißt es zurück in die Normalität. Es wird sicher weiter Covid-Infektionen geben, aber die Lockdowns können wir hinter uns lassen.

Was ist der Plan für diese Strategie? Impfstoff für zwei Millionen wird es bis ins Frühjahr geben. Jetzt schon wird in Altersheimen und Krankenhäusern geimpft. So weit, so einfach. Aber dort sind nur rund 300.000 Menschen. Wir müssen die Menschen zu Hause erreichen.
Die meisten Länder verimpfen die ersten Impfstoffe, von Biontech und Moderna, in Impfzentren, weil es einfacher ist, viel Impfstoff und viele Menschen an wenige Orte zu bringen, als wenig Impfstoff und wenige Menschen an viele Orte. Unsere Regierung gab aber die Parole aus: „Impfen bei den Leuten“ und setzt auf Hausärzte. Das ist schwierig, weil es wahrscheinlicher wird, dass ein Teil des tiefgekühlt gelieferten Impfstoffs entsorgt wird, weil Hausärzte ihn nicht schnell genug verimpfen können. Dezentral kann es auch mehr Schwarzmarkt und „österreichische Lösungen“ geben, wo diejenigen früh geimpft werden, die es sich richten können.

Unsere Regierung setzt dennoch auf dezentral, weil bald ein dritter Impfstoff kommen soll, von AstraZeneca, den man länger im Kühlschrank lagern kann. Wir wissen allerdings nicht, ob und wann er zugelassen wird und ob er so gut wirkt wie die ersten beiden. Die Wahrscheinlichkeit ist also nicht unbeträchtlich, dass der Plan die Strategie gefährdet: statt möglichst schnell impfen noch Monate länger Lockdown, mehr Infektionen und Tote.

Das Bestellwesen ist zurzeit auch eine Großbaustelle, weil der E-Shop der Bundesbeschaffungsbehörde keine Daten zu Altersheimen oder Impfzentren hinterlegt hat, es daher auch keine Möglichkeit gibt, sicherzustellen, dass Bestellungen der Priorität entsprechen (Alte und Kranke zuerst).

Es gibt auch keinen Plan, wie man Menschen in der richtigen Reihenfolge zur Impfung bringt. Hier ergänzen sich das Bestell- und das Anmeldechaos. Vorarlberg etwa hat ein Impfzentrum eingerichtet. Weil nach dem „Machtwort“ des Kanzlers jetzt alles husch, husch gehen muss, kann sich jeder zur Impfung anmelden. Es kann also sein, dass ein 18-Jähriger nächste Woche in der Messehalle Dornbirn schon geimpft wird, während mein 90-jähriger Vater in St. Stefan im Rosental noch Monate auf AstraZeneca beim Hausarzt warten muss.

Warum diese Planlosigkeit? Die Qualität der Strategie und Planung lebt von der Fähigkeit, alternative Szenarien durchzudenken. Das ist in den letzten Monaten nicht passiert, Zeit verging, es fehlte ein Hirn, das vordenkt. Das ist eine wesentliche Aufgabe, vielleicht DIE wesentliche Aufgabe der politischen Führung in einer Pandemie. Warum klappt das so gar nicht?

Es liegt an unseren Mammutjägern. Die Qualität der österreichischen Verwaltung ist hoch, es gibt besser und schlechter besetzte Behörden. Das Gesundheitsministerium ist mit das „unbeliebteste“ Ressort bei Koalitionsverhandlungen. Die Strukturen wurden in den letzten Jahren ausgedünnt, es fehlen Expertinnen, wie anhand der erlassenen Rechtsakte deutlich wurde, die der Verfassungsgerichtshof in großer Zahl zum Teil allein schon wegen prozessualer Mängel aufheben musste. Die besten Beamtinnen vermeiden einen Karriereweg in diesem Ministerium.
Für die politische Besetzung wissen wir, was in Österreich zählt: die Partei, das Bundesland, der ÖVP-Bund und das Geschlecht. Kompetenz ist willkommen, aber keine Entscheidungsgrundlage zur Berufung ins Ministeramt.

Auch wenn die Herausforderung nicht alltäglich ist: Dieses Führungsteam an Ministerinnen, Landeshauptleuten und führenden Beamten fängt kein Mammut. Die Fähigen unter ihnen werden erdrückt durch die Führungsschwäche und mangelnde Kompetenz der anderen.

Das zeigt sich auch bei der Kommunikation. Eine Pandemie besiegen ist Teamsport für Millionen. Die Lehren des Change-Managements kennt jeder bessere Teamleiter: Betroffene einbinden, gemeinsam Lösungen erarbeiten, erklären und zuhören, transparent sein, offen sein für gute Ideen. Das ist nicht einfach, wenn sich der Stand der Wissenschaft laufend ändert. Aber man kann auch komplexe Themen einfach ausdrücken. Dazu muss man sie freilich zu Ende denken und reden, ohne dabei in den Spiegel zu schauen.

Um den Erfolg sicherzustellen, muss ein Team erfolgreich umsetzen. Der Leiter der Neigungsgruppe Mammutjagd führte wohl viele Gespräche, wie man sich am besten anpirscht, hat Speere und Wurfbeile geprüft und überlegt, wie man das Fleisch in die Höhlen zurückbringt. In normalen Zeiten kann man die Verwaltung machen lassen und sich auf Medienarbeit konzentrieren. In Krisenzeiten muss die Führung in der Kommandozentrale sitzen. Medienarbeit kann man an Experten delegieren, die kraft ihres Berufs glaubwürdig sind. John F. Kennedy hat die Kuba-Krise im ExComm verbracht, nicht im Pressefoyer.

Was braucht Österreich jetzt? Es braucht ein Ziel und einen Plan, zentral gesteuert. Das Team muss verstärkt, die Kommunikation weniger von oben herab, wie Gespräche unter Erwachsenen geführt werden – mit Daten und Analysen. Jedes Detail des Plans muss entworfen und getestet, dann umgesetzt werden. Österreich braucht Führung.
Dafür winkt uns Freiheit. Bewegungsfreiheit. Freiheit, wieder dem eigenen Handwerk nachzugehen. Vor allem aber Freiheit, sich zu sehen, zu berühren, sich zu küssen und
zu feiern: die Freiheit, Mensch zu sein.