Es war ein für Österreich ungewöhnlicher Vorgang. Weil der deutsche Finanzminister Olaf Scholz auf dem Weg zum Rednerpult im Bundestag keine Maske trug, kassierte der Kanzlerkandidat der SPÖ eine Abmahnung durch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Theoretisch hätte er Scholz sogar ein Bußgeld umhängen können, der SPD-Politiker hatte auf den Mund-Nasen-Schutz einfach vergessen. In Deutschland müssen auch AFD-Politiker, wenn sie zum Pult gehen oder wenn die Abstände nicht einzuhalten sind, im Plenum Maske tragen. Selbiges gilt für die Chefin des vormaligen "Front National" und heutigen "Rassemblement National"  Marine Le Pen, wenn sie das Plenum der französischen Nationalversammlung betritt.

In Österreich gehen die Uhren anders. Im Nationalrat gilt zwar seit November eine Maskenpflicht, davon ausgenommen sind die Abgeordneten. Unter Verweis auf das „freie Mandat“ verweigern vor allem FPÖ-Politiker wie Klubobmann Herbert Kickl, Parteichef Norbert Hofer oder die blaue Gesundheitssprecherin Dagmar Berlakovich das Tragen von Masken im Plenarsaal und im Areal des Ausweichsquartiers. Diese Ausnahme gilt allerdings nicht für deren Mitarbeiter, sie müssen immer einen Mund-Nasenschutz tragen. 

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka räumt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung ein, dass er „in der aufgeheizten Stimmung“ darauf verzichtet habe, die Maskenpflicht auch auf die Abgeordneten auszudehnen. Werner Zögernitz, langjähriger Klubdirektor, verweist auf die Usance, wonach so einschneidende Maßnahmen nicht vom Präsidenten allein, sondern im Einvernehmen mit allen Parteien festgelegt werden – die FPÖ hätte sich wohl quergelegt. Natürlich müsse jeder Abgeordnete im Geschäft, in der U-Bahn, auch bei Wahlveranstaltungen eine Maske tragen, im Plenum gelte das freie Mandat. Zögernitz erinnert an den einstigen Zweiten Nationalratspräsidenten Robert Lichal, der mit allen Mitteln durchsetzen wollte, dass die Grünen im Plenum Krawatte tragen, daran aber gescheitert sei.

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk hält wenig von der Argumentation. „Das hat nichts mit dem freien Mandat zu tun.“ Dem sei sogar zu entgegnen, dass in Zeiten einer Pandemie der „Schutz der Gesundheit überwiegt und das freie Mandat in den Hintergrund zu treten hat“. Auch Funks Kollege Heinz Mayer widerspricht, der Verweis auf das freie Mandat sei "blanker Unsinn." Sobotka könne in seiner Funktion als Nationalratspräsident nach Beratungen mit den anderen Parteien in Eigenregie die Hausordnung festlegen.