Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat das von der türkis-blauen Koalition verhängte Kopftuchverbot an Volksschulen aufgehoben.

"Das punktuelle Herausgreifen einer bestimmten religiös konnotierten Bekleidungsvorschrift stigmatisiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen": Dieses Zitat aus der Begründung seiner Entscheidung steht im Zentrum der Begründung, die VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter am späten Nachmittag verlesen hat. Die entsprechende Bestimmung - § 43a Schulunterrichtsgesetz - ziele ausschließlich auf muslimische Mädchen ab und verletze somit die verfassungsmäßige Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität.

Die Regelung greife eine bestimmte Religion, den Islam, ohne nähere Begründung heraus.

Wie Grabenwarter erklärte, begründe der Gleichheitsgrundsatz in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. Zwar beziehe sich das von ÖVP und FPÖ ab dem Schuljahr 2019/20 eingeführte Verbot nicht ausdrücklich auf das Tragen eines islamischen Kopftuches. In den Gesetzesmaterialien zum Schulunterrichtsgesetz komme jedoch die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass konkret das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagt werden soll.

"Verbot trifft gerade jene, die Schulfrieden nicht stören"

"In Bezug auf den von der Bundesregierung ins Treffen geführten Schutz von Schülerinnen vor sozialem Druck seitens ihrer Mitschüler verkennt der Verfassungsgerichtshof nicht, dass es in Schulen auch zu weltanschaulich und religiös geprägten Konfliktsituationen kommen kann", heißt es in der Begründung weiter - ein Argument, das das Gericht aber nicht gelten lässt, da das selektive Verbot "gerade die Schülerinnen, welche den Schulfrieden selbst nicht stören, trifft."

Verlangt hatten die Aufhebung des Kopftuchverbots zwei Kinder und deren Eltern, die im Sinne der sunnitischen bzw. schiitischen Rechtsschule des Islam erzogen werden. Sie sahen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff auf die Religionsfreiheit und religiöse Kindererziehung - und auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, weil der Hidschab verboten sei, die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs aber nicht.

Ein Argument, das der VfGH aufgegriffen hat: Während er nicht generell ein Verbot religiöser Kleidung ausschließt, sei ein selektives Herausgreifen der islamischen Tradition nicht verfassungskonform, wenn es dafür keine sachliche Begründung gibt.

Glaubensgemeinschaft: "Geduld hat sich ausgezahlt"

Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist die Aufhebung des Kopftuchverbots an Volksschulen durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Ende populistischer Verbotspolitik. Die Entscheidung beweise, "dass unser Vertrauen in den Rechtsstaat und unsere Geduld sich ausgezahlt haben", sagte Präsident Ümit Vural am Freitag in einer Aussendung. Gleichzeitig bekräftigte er: "Die IGGÖ ist gegen Zwang jeglicher Form."

"Die Durchsetzung der Chancengleichheit und Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen in unserer Gesellschaft erreicht man nicht durch Verbote", meinte Vural. "Weder heißen wir eine abwertende Haltung gegenüber Frauen gut, die sich aus persönlicher Überzeugung gegen das Kopftuch entscheiden, noch können wir der Einschränkung der Religionsfreiheit jener Musliminnen zustimmen, die das Kopftuch als integralen Bestandteil ihrer gelebten Glaubenspraxis verstehen."

Entscheidung zur Sterbehilfe ab 17 Uhr

Später am Nachmittag wird der VfGH auch noch seine Entscheidung in einer anderen brisanten Angelegenheit bekanntgeben: Ist das Verbot der aktiven Sterbehilfe rechtens?

Die Beschwerden gegen die Sterbehilfe hatte die "Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende" eingebracht, die sich aus unterschiedlichen Positionen dafür einsetzt, dass schwer Kranke den Zeitpunkt ihres Todes selbst wählen dürfen bzw. dass Ärzte in solchen Fällen tödliche Medikamente verabreichen dürfen.

Das Höchstgericht wird seine Entscheidungen dazu um 16 bzw. 17 Uhr verkünden. Da der Zugang zu dem Gericht der Corona-Pandemie wegen stark beschränkt ist, wird es einen Livestream zu den Entscheidungen geben.

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