Früher hatte Österreich serienweise Länder zu Risikogebieten erklärt, dabei schwang immer der Hintergedanke mit, die Österreicher mögen doch ihren Sommerurlaub in der eigenen Heimat verbringen. Jetzt haben die europäischen Nachbarn den Spieß umgedreht – nicht aus Ressentiment, sondern weil Österreich seine Infektionszahlen nicht in den Griff bekommt. Nun landen Teile Österreichs auf immer mehr roten Listen – eine fatale Entwicklung wenige Monate vor dem Start der Skisaison: Im Winter stammt jeder dritte Urlaubsgast aus Deutschland.

Deutschland zieht Notbremse

Nach Wien und Vorarlberg hat das Berliner Robert-Koch-Institut nun auch für Tirol eine Reisewarnung ausgesprochen. Zuvor hatte die Schweiz Oberösterreich – nach Wien und Niederösterreich – zum Risikogebiet erklärt. Auch Belgien, die Niederlande, Großbritannien, Dänemark oder auch Schweden haben Österreich auf die rote Liste gesetzt. Reisewarnungen für die Steiermark oder Kärnten gibt es noch keine.

Debatte über Vorverlegung der Sperrstunde

Die Kaskade an ausländischen Reisewarnungen macht Österreich zunehmend zu schaffen. Vor diesem Hintergrund kann sich der steirische Landeshauptmann eine Vorverlegung der Sperrstunde auf 23 Uhr vorstellen: „Die Steiermark, Kärnten und Salzburg stehen sehr gut da, Österreich allerdings nicht – angesichts der Reisewarnungen“, so Hermann Schützenhöfer im Gespräch mit der Kleinen Zeitung nach Abschluss des Corona-Gipfels von Bund und Ländern im Kanzleramt. Wolle Österreich nicht in die Fußstapfen von Frankreich treten, wo Restaurants wieder sperren und Ausgangsbeschränkungen erwogen werden, müsse Österreich in Vorlage treten: „Wenn alle Bundesländer mittun, kann ich mir eine bundesweit einheitliche Ausgangssperre um 23 Uhr vorstellen.“ Dem Vernehmen nach habe nur Wien beim Treffen im Kanzleramt gegen eine Vorverlegung votiert.

Kurz pocht auf weitere Schritte in Wien

Die Abschlusskonferenz der Regierungsspitze stand ganz im Zeichen der Sorge vor weiteren Reisewarnungen, wobei Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz in seinen Wortmeldungen besonders Wien ins Visier nahm. Kurz erinnerte daran, dass Wien in Relation noch einmal rund doppelt so viele Fälle habe wie Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg, die ebenfalls schon mit Reisewarnungen konfrontiert seien. Dass in der Bundeshauptstadt eine Registrierungspflicht in der Gastronomie vorgesehen ist, ist dem VP-Chef offenkundig nicht gut genug. Er hoffe, dass es in Wien zu weiteren Schritten, "die notwendig sind", komme. 

Kaiser will einheitliche Regeln in Schulen

„Wir sitzen alle im selben Boot“, ergänzte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. „Was haben wir davon, wenn wir uns anstrengen, wenn ganz Österreich wegen einer Region zum Risikogebiet erklärt wird?“
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, der – so wie alle anderen roten Landeshauptleute – dem Treffen in Wien fernblieb, allerdings per Video zugeschaltet war, sprach sich für ein bundesweit einheitliches Vorgehen beim Auftauchen eines Coronafalls in einer Pflichtschule aus.

Hacker: Kein "Honeymoon" wegen Wahlkampf

Wiens Gesundheitsstadt Peter Hacker (SPÖ) meinte beim Verlassen des Bund-Länder-Treffens am Freitag trocken, dass man zwei Wochen vor der Wien-Wahl nicht erwarten könne, "dass das da drinnen ein Honeymoon war". Auch Hackers Büro sah sich benachteiligt und wies noch während der Pressekonferenz schriftlich darauf hin, dass nicht Wien die höchste Infektionsinzidenz habe, sondern Innsbruck.

In der Pressekonferenz, an der nicht Hacker, sondern für die Länder nur Salzburgs LH Winfried Haslauer (ÖVP) - als Vorsitzender der LH-Konferenz - teilnahm, war die Sorge über Wien dagegen die offensichtlich einigende Klammer. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erinnerte an die nun auch vom Bundesrat beschlossene Novellierung der Corona-Gesetze, die den Ländern ab kommender Woche neue Handlungsmöglichkeiten bringe. "Mein dringender Appell ist, diese neuen Handlungsmöglichkeiten auch wirklich zu nutzen."

Ziel sei es, dass es vom Beschreiben der Symptome über die Testung bis zur Ausstellung eines Bescheids nicht länger als 48 Stunden dauern solle, so der Gesundheitsminister. Weitere 24 Stunden sollte das Kontaktpersonenmanagement des inneren Umfelds der infizierten Person dauern.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte weitere polizeiliche Maßnahmen an. Mit den Landespolizeidirektionen seien weitere Schwerpunktaktionen vereinbart, vor allem in der Nachgastronomie. "Es gibt keine Toleranz dafür, wenn Regelungen nicht eingehalten werden", sagte er bezüglich Thekenbewirtung und Sperrstunden.

Der Bundeshauptstadt Wien attestierte Nehammer einen Umdenkprozess, die Gefahren würden ernster genommen. Dennoch brauche es gemeinsam weitere Anstrengungen. Die Bundespolizei stehe dafür bereit, und auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) habe Personal angeboten.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betonte, dass es den Ländern freistehe, welche Maßnahmen sie ergreifen: "Wichtig ist das Ergebnis." Bezüglich Wien erinnerte er aber an vergleichbare Städte wie München, die schon bei weit geringeren Inzidenzzahlen nachgebessert hätten.

Bei Niederösterreich lobte er das am Freitag präsentierte Maßnahmenbündel. Einen Dissens mit der dortigen Landeshauptfrau, seiner Parteikollegin Johanna Mikl-Leitner, stellte Kurz in Abrede. Es sei seine Aufgabe, wenn notwendig in den Ländern Druck zu machen, egal welche Parteifarbe dort vorherrsche. Entsprechend lobte er die Situation im SPÖ-regierten Kärnten unter Peter Kaiser mit den österreichweit niedrigsten Infektionswerten als "exzellent".

Der angesprochene war bei dem Treffen nur per Videokonferenz dabei, er meldete sich danach via Aussendung zu Wort. Er habe in der Sitzung eine bundeseinheitliche Vorgabe für die Schulen vorgeschlagen, hieß es darin. Bei einem positiven Fall soll demnach nur der betroffener Pflichtschüler in Quarantäne, für alle anderen würde der Unterricht normal weiterlaufen, so die Anregung.

Rote Landeschefs blieben aus Protest fern

Um 17 Uhr hatten Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudolf Anschober sowie Innenminister Karl Nehammer die neun Landeshauptleute zu einem Corona-Gipfel ins Kanzleramt geladen, doch die drei roten Landeshauptleute machten dem Kanzler einen Strich durch die Rechnung. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Burgenlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil ließen sich vertreten, Wien schickte Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, Doskozil seinen Wirtschafts- und Soziallandesrat. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser ließ sich per Video dazuschalten.

Offiziell wollte man die Terminabsage nicht als Affront verstanden wissen. Ludwig habe am Nachmittag einen Sonderlandtag, auch Doskozil habe andere Termine.  Auch im Kanzleramt war man zum Teil um Deeskalation bemüht. Dass Kaiser nicht komme, verstehe man auf Basis der Infektionszahlen.

Hinter vorgehaltener Hand sind die drei SPÖ-Landeshauptleute schwer verärgert über den Kanzler. "Das ist alles ein Kasperltheater", hieß es im Dunstkreis der roten Phalanx. Am Mittwoch habe Kurz in einer dürren, dreizeiligen Mail die Landeshauptleute zu einer Aussprache ins Kanzleramt geladen, eine Tagesordnung fehlte. Knapp eine Stunde später wurde der Termin über die Austria Presse Agentur (APA) angekündigt - inklusive Tagesordnung. "Für ein paar nette Bilder geben wir uns nicht her", erklärt ein anderer Gesprächspartner. Mit der Wien-Wahl habe die Absage nichts zu tun.

"Epidemiologisch nicht gescheit"

Kritik wird auch, wie es heißt, an der "fehlenden Diskussionskultur" geübt. "Statt im Vorfeld die Dinge im Detail zu besprechen, werden die Länder immer wieder vor vollendete Tatsachen gesetzt. Das gleicht oft einer Befehlsausgabe." Ein anderer Gesprächspartner lapidar: "Ich weiß nicht, ob es epidemiologisch gescheit ist, wenn sich in der Zeit von Corona die Regierungsspitze mit allen Landeshauptleuten in einen Raum zusammensetzt."