Seit einem halben Jahr hält das Coronavirus das Land in Atem, nach Lockdown im Frühjahr und anschließenden Lockerungen steigen die Infektionszahlen nun wieder an. Österreich steht im internationalen Vergleich weiterhin gut da, der Anstieg hat jedoch zuletzt Finnland dazu veranlasst, über Einreisende aus Österreich eine Quarantänepflicht zu verhängen.

Die türkis-grüne Regierung galt als Musterschüler in Sachen Krisenbewältigung, das „virologische Quartett“ Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer trat überraschend geeint bei zahlreichen Pressekonferenzen auf. Vor allem der Gesundheitsminister konnte hier punkten. In den letzten Wochen stolperte man jedoch über ein juristisches Verordnungschaos und niedrige Testzahlen.

Ein Überblick über die Baustellen in Sachen Corona:

Juristisches Chaos

Dass der Verfassungsgerichtshof die Ausgangsbeschränkungen für rechtswidrig erklärt hat, war ein schwerer Schlag für die Regierung. Doch das juristische Chaos setzte sich fort. Eine fehlende Entscheidung darüber, ob die Polizei bei Verstößen gegen die noch gültigen Beschränkungen strafen darf, führte zu einem regionalen Fleckerlteppich. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gab sich sichtlich verärgert über die Verwirrung. Nun will Anschober die Strafen für Abstandsregel-Verstöße (Stichwort Babyelefant) außer Kraft setzen – bundesweit.

Auch bei der Einreisebeschränkung hagelte es Kritik, Experten fanden 27 Fehler und kritisierten fehlende Verständlichkeit. Anschober überraschte jetzt mit Selbstkritik. „Das darf nicht passieren“, sagte er in einer Pressekonferenz. Eine „deutliche Personalaufstockung“ bei seinen Juristen soll künftiges Chaos verhindern.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gibt den strengen Wächter der Corona-Regeln.
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) gibt den strengen Wächter der Corona-Regeln. © APA/HERBERT NEUBAUER

Unruhe vor Einführung von Corona-Ampel

Die Einführung einer Corona-Ampel, deren vier Farben Auskunft über die Covid-Lage einzelner Regionen geben soll, wird von vielen Experten begrüßt. Gesundheitsminister Anschober setzte dazu eine eigene Kommission ein, die derzeit Kriterien für die Farbgebung erarbeitet. Damit sollen Experten statt Politiker entscheiden, ab wann die Farbe wechselt.

Doch die Abstimmung mit den Ländern gestaltet sich als schwierig. Dort ist man zwar froh über den regionalen Gestaltungsspielraum, befürchtet jedoch eine Stigmatisierung einzelner Regionen, wenn die Farbe Richtung Rot wechselt. Unklar ist bisher auch, wie konkret die Maßnahmen sein werden, die bei einer Farbänderung gesetzt werden müssen. Die Opposition kritisiert zudem, dass das System zu lange auf sich warten lässt.

Weiter wenig Tests

„Testen, testen, testen“ lautet das Motto der Regierung seit Ausbruch der Pandemie. Nur so könne man Cluster schnell identifizieren und isolieren. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) kündigte zudem 65.000 Tests pro Woche im Tourismusbereich an, um Österreich als sicheres Urlaubsland anzupreisen. Von dieser Zahl ist man derzeit jedoch weit entfernt. Auch die hohen Kosten für die Tests stießen auf Kritik. Köstinger rechtfertigt die niedrige Testfrequenz damit, dass es sich dabei um freiwillige Testungen handelt. Viele Betriebe befürchten jedoch Zufallsfunde, die Gäste abschrecken würden.

Alle Augen auf Anschober

Die Coronakrise hat das sonst medial wenig präsente Gesundheitsministerium ins Scheinwerferlicht gerückt. Dass mit Rudolf Anschober dort ein Grüner sitzt, der laut Vertrauensindex hohes Ansehen in der Bevölkerung genießt, stößt dem türkisen Koalitionspartner sauer auf. Deshalb hält man sich dort mit Schützenhilfe für den unter Druck geratenen Minister eher zurück. Kein Wunder, hängt Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seine letzte Verteidigung der legistisch schwachen Corona-Maßnahmen noch immer nach. Er hatte bei Kritikern der rechtlichen Umsetzung „juristische Spitzfindigkeit“ geortet.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) steht seit Corona im Rampenlicht.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) steht seit Corona im Rampenlicht. © APA/HERBERT NEUBAUER

Corona-App kaum mehr Thema

Die Stopp-Corona-App des Roten Kreuzes wurde von der Regierung bei ihrer Präsentation als effektive Waffe gegen die Ausbreitung des Virus angepriesen. Wer Kontakt mit einer infizierten Person hat, soll so gewarnt werden, mehrere Millionen Österreicher sollten sie installieren. Doch technische Fehler und Misstrauen in Sachen Datenschutz zu Beginn schlagen sich bis heute auf die Nutzerzahl nieder. Aktuell liegt sie mit 860.000 Usern (nur etwa die Hälfte nutzt die App aktiv) weiterhin hinter den Erwartungen. Die App wird seither kaum thematisiert.

Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass auch andere Länder mit Corona-Apps hadern. Dort wurde bekannt, dass die App bei Millionen Nutzern nicht funktioniert hat.

Was auf Türkis-Grün zukommt

Anschober hat erkannt, dass der ausgedünnten Juristenriege seines Hauses gravierende Fehler unterlaufen. Neben einer Personalaufstockung soll künftig jede Verordnung durch den verfassungsrechtlichen Dienst geprüft werden, um weitere Schlappen vor dem Höchstgericht zu vermeiden. Statt „kleiner Reparaturen“ soll eine Novellierung des Covid-Maßnahmengesetzes kommen, das im September im Nationalrat beschlossen werden soll – mit Begutachtung.

Auch das Epidemiegesetz soll überarbeitet werden. Sollte im Herbst wirklich eine zweite Welle drohen, wird die Regierung aber erneut zeitnahe Maßnahmen setzen müssen. „Darauf sind wir dann aber besser vorbereitet“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.