Anfang der Woche waren in Wien 172.806 Personen auf Jobsuche. Damit ist die Zahl der Arbeitslosen zwar vorübergehend minimal gesunken, ab Herbst soll sie aber wieder steigen. Die Politik ringt um Arbeitsplätze, gleichzeitig können sich immer mehr Wienerinnen und Wiener ihr Leben langsam nicht mehr leisten. 

Liquiditätsprobleme: Ein Viertel überzieht Konto 

Spaziert man dieser Tage durch die Wiener Innenstadt sieht man vor allem eines: prall gefüllte Einkaufssackerl. Eine Wirtschaftskrise sieht anders aus, möchte man meinen. Schon jetzt überziehen laut einer aktuellen Umfrage der Ing-Bank rund ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher ihr Konto. Zum Vergleich – 2018 waren nur 16 Prozent im Minus. Es sind erste Liquiditätsprobleme, der große Knall kommt aber erst. Nämlich dann, wenn die Arbeitslosigkeit – wie vom AMS prognostiziert – im Winter wieder steigt, Stundungen zurückzuzahlen sind und die Kurzarbeit ausläuft.

„Wenn spätestens im Frühjahr 2021 die Hilfsmaßnahmen auslaufen, werden sehr viele Menschen ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können und vor einem Konkurs stehen, im Geschäftlichen wie im Privaten“, warnt Christian Neumayer, Leiter der Wiener Schuldnerberatung. Normalerweise berät die Stelle rund 10.000 Menschen pro Jahr. Tatsächlich ist die Zahl der Beratungen und Privatkonkurse in der ersten Hälfte des Jahres bis Mai gesunken. Seit der Lockdown vorbei ist und die Gerichte wieder normal arbeiten, schlägt das Pendel aber in die andere Richtung aus. Derzeit gehen die Beratungszahlen steil nach oben, was untypisch für den Sommer ist. „Das wird sich auch bis Herbst nicht ändern und weiter parallel zu den Arbeitslosenzahlen entwickeln“, sagt Neumayer.

Düstere Prognose: Ansturm ab Frühjahr 2021

Ab Frühjahr 2021 rechnet er mit einem regelrechten Ansturm auf die Schuldnerberatung. Laut einem neuen Prognosemodell, das auf den Arbeitsmarktdaten der vergangenen 20 Jahre basiert, brauchen in Wien rund 8 Prozent der Arbeitslosen die Hilfe der Schuldnerberatung. Das heißt: „Wenn es 10.000 neue Arbeitslose gibt, suchen 800 Menschen davon Hilfe“, sagt Neumayer. Bei aktuell circa 173.000 Arbeitslosen in Wien, sind das rund 14.000 Menschen, die in akute finanzielle Schieflage geraten und die Hilfe der Schuldnerberatung brauchen werden. Das wären 4000 Personen mehr als in den letzten Jahren. Vorausgesetzt die Vorhersage stimmt. „Ich wäre froh, wenn sich unsere Prognose anders entwickelt. Aber die Welle wird kommen, wir schieben sie derzeit nur mit allen möglichen Versuchen auf“, sagt Neumayer, der auch im Dialog mit der Stadtregierung sowie mit der Bundesregierung steht.

Corona-Hilfspaket für 150 Millionen Euro 

Auf Bundesebene wird derzeit verhandelt, zu welchen Konditionen die Kurzarbeit verlängert werden soll. Sie soll weniger großzügig ausfallen als bisher und könnte an verpflichtende Schulungen für Menschen in Kurzarbeit gekoppelt werden. Auch in der Stadtregierung versuche man alles, um Arbeitsplätze zu sichern und neue Ausbildungsplätze zu schaffen, heißt es aus dem Büro von Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke. Dafür habe die Stadt Wien ein 150 Millionen Euro schweres Corona-Hilfspaket geschnürt, wovon ein großer Teil in ein Arbeitsmarktpaket fließt. So sollen etwa bei Gesundheits- und Krankenpflegeberufen die Ausbildungsplätze bis 2024 von derzeit 2.750 auf 7.650 aufgestockt werden. Auch die Neos sehen Potential für 56.000 neue Jobs in Wien, etwa durch Sonntagsöffnungen oder Investitionen aus öffentlicher Hand in Digitalisierung und einen S-Bahn-Ring nach Berliner Vorbild. Allen Maßnahmen zum Trotz rechnen Expertinnen und Experten aber schon jetzt mit noch mehr Insolvenzen als während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009.

Auch wenn niemand weiß, wohin sich die Pandemie und auch das Konsumverhalten entwickeln werden, Einkommensschwache spüren die Auswirkungen der Krise wie immer zuerst: „Zu uns kommen Menschen, die einen Kredit brauchen, wenn die Waschmaschine kaputt wird“, sagt Christian Neumayer. Rund ein Drittel der Menschen, die sich an die Schuldnerberatung wenden, sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Auf der Kärntnerstraße wird man sie wohl seltener mit vollgefüllten Shoppingtaschen sehen, die Klientinnen und Klienten stammen eher aus den Flächenbezirken. Am wichtigsten ist es, so Neumayer, die Miete weiter zu zahlen und damit die eigene Existenz zu sichern. Alles andere sei zweitrangig. Und auch wenn man sich bei der Schuldnerberatung freilich keine neuen Kundinnen und Kunden wünscht, sollte man sich besser früher als später melden.