Für einen Aufschrei der Empörung sorgten die Umstrukturierungspläne von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in den Reihen der Opposition. SPÖ, FPÖ und NEOS sahen in der Verkündung heute, Mittwoch, zudem einen Versuch, von der Aussage des Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) im Ibiza-U-Ausschuss abzulenken - und zeigten sich unisono empört, dass dafür sogar die Sicherheit aufs Spiel gesetzt werde.

Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP) beschwichtigte. Bundespräsident Alexander Van der Bellen - er ist der Oberbefehlshaber - hat indes die Ministerin zu einem Gespräch über ihre Reformpläne geladen. Für die Zukunft wurde vereinbart, "einen intensiveren Informationsaustausch zu pflegen". 

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch war laut Aussendung "entsetzt" über die Absicht Tanners, beim Bundesheer "einen Kahlschlag vorzunehmen". Und stellte fest: Es sei "sicher kein Zufall, dass diese Absichten gerade heute bekannt geworden sind". Der ÖVP sei "offenbar jedes Mittel recht, um von Skandalen in den eigenen Reihen abzulenken". Dass sie dafür sogar die Sicherheit der Österreicher und die Neutralität aufs Spiel setze, "schlägt dem Fass den Boden aus und ist an Unverantwortlichkeit nicht zu übertreffen", meinte Deutsch.

"Massiver Kahlschlag"

Mit dem geplanten "massiven Kahlschlag" bei Personal und militärischem Gerät sowie beim Heeresbudget sei die Sicherheit und die Neutralität Österreichs gefährdet. Die in der Verfassung vorgegebenen Aufgaben des Heeres könnten nicht mehr erfüllt werden, kritisierte SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer - und hielt Tanner auch einen Verstoß gegen die vom Parlament beschlossenen Sicherheitsstrategie vor.

Einen "glatten Bruch des Verfassungsgesetzes" sieht FPÖ-Chef Norbert Hofer in der Absicht, die schweren Waffensystem weiter zu reduzieren. Mit Tanners Plänen würde das Heer zu einem "Technischen Hilfswerk Plus Cyber-Abwehr und ABC-Schwerpunkt" degradiert. Er hielte eine Stellungnahme des Oberbefehlshabers Bundespräsident Alexander Van der Bellen für geboten.

Viel schärfer fiel die Reaktion von FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz aus: "Hier zerstört man allen Ernstes unser Bundesheer und unsere Sicherheit aus politischem Kalkül zum Schutz der Machenschaften des Kanzlers Kurz. Tanner ist sofort zu feuern und für diese Aufgabe einer Verteidigungsministerin des österreichischen Bundesheeres nicht nur untragbar, sondern absolut unwürdig."

Verfassungsbruch?

Die Ministerin wollte den Vorwurf des Verfassungsbruchs nicht auf sich sitzen lassen. Sie relativierte in einer Aussendung: Die militärische Verteidigung bleibe "im völligen Einklang mit der Bundesverfassung" Kernaufgabe, versicherte sie. Aber man werde andere Aufgaben daneben in den Mittelpunkt stellen - und sich neben der "klassischen Landesverteidigung auch der zukünftigen Landesverteidigung widmen". "Das Bundesheer wird stärker als je zuvor", verwies sie auf eine zehnprozentige Budgetsteigerung.

"Empört" ist dennoch auch NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos: "Die ÖVP schreckt offenbar vor nichts zurück, um von der Kanzler-Befragung im Untersuchungsausschuss abzulenken. Die Verteidigungsministerin soll das Land verteidigen und nicht den ÖVP-Chef und seine Netzwerke", sprach er in einer Aussendung vom "verzweifelten Versuch einer Nebelgranate". Der Verteidigungsministerin sei offensichtlich "das Wohl ihres Parteichefs und Bundeskanzlers wichtiger als die Sicherheit Österreichs".

Schweizer Modell?

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) gibt sich in Hinblick auf die angekündigte Umstrukturierung beim österreichischen Bundesheer abwartend. Er wolle "keine vorschnellen Schlüsse ziehen" und warte auf ein detailliertes Konzept von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). Prinzipiell orte er aber ein "Abdriften in Richtung eines Schweizer Modells der Miliz".

Außerdem werde es wohl eine Reduktion im Bereich der Brigaden geben. "Das alles kann man aber erst beurteilen, wenn alle Fakten am Tisch liegen", betonte der ehemalige Verteidigungsminister am Rande einer Pressekonferenz am Mittwoch.

"Schleichende Aushöhlung"

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht "Spielraum" bei der militärischen Verteidigung. In der verfassungsrechtlichen Kontrolle sei man bei einer "schleichenden Aushöhlung" der militärischen Landesverteidigung weitgehend machtlos 

Die Frage, ob die türkis-grünen Pläne zum Umbau des Bundesheeres verfassungswidrig sind, sei nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. "Es gibt einen Spielraum."

Österreich hat sich - mit der Neutralität - völkerrechtlich zur umfassenden Landesverteidigung verpflichtet. In Artikel 9a Bundes-Verfassungsgesetz ist das Bekenntnis dazu festgehalten - mit der Aufgabe, "die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität". Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Verteidigung, steht da. Auch im Wehrgesetz sind die Aufgaben in Par. 2 aufgezählt, mit der militärischen Landesverteidigung als erstem Punkt.

Käme die Regierung auf die Idee, ganz auf die "militärische Landesverteidigung" zu verzichten und sie aus dem Wehrgesetz zu streichen, wäre das mit Erfolg beim Verfassungsgerichtshof anfechtbar. Aber: "Das läuft auf einer anderen Ebene", stellte Funk im Gespräch mit der APA fest.

Ministeranklage ohne Aussicht

Gegen eine "schleichende Aushöhlung" - wenn ohne Gesetzesänderungen die Mittel für militärische Landesverteidigung reduziert werden - "laufen die traditionellen Möglichkeiten der verfassungsrechtlichen Kontrolle weitgehend leer". Allenfalls möglich wäre da ein Misstrauensvotum oder eine Ministeranklage. Aber dafür ist eine Mehrheit im Nationalrat nötig, und somit die Zustimmung zumindest einer Regierungspartei.

Für den geplanten Umbau des Heeres - Reduzierung der militärischen Landesverteidigung und Ausrichtung auf Cyberdefence und Katastrophenschutz - hat die Regierung Spielraum. "Feste kalkulierbare Grenzen" für den Umfang der militärischen Landesverteidigung geben Verfassung und Gesetz nicht vor. Das Heer muss nur in der Lage sein, diese "erstrangige, aber nicht einzige Aufgabe" weiter zu erfüllen. Dafür wären laut Funk auch Kooperationen - etwa bei der Luftraumüberwachung mit der Schweiz - zulässig, nicht aber der Beitritt zu einem Militärbündnis wie der NATO.

Verfassungsrechtlich vorgegeben ist allerdings das "gemischte" System: Das Bundesheer muss nach dem Milizsystem organisiert sein. Neben den Berufssoldaten muss es auch ein "Volksheer" - die Miliz - geben. Aber auch hier gibt es keine Vorgaben zum Verhältnis. Die Regierung hat also ebenfalls Spielraum für die Absicht, das Bundesheer stärker auf die Miliz auszurichten.