Wie wohl ist Ihnen beim Gedanken an die neuen Lockerungen? Setzen Sie nicht das Erreichte aufs Spiel?

WERNER KOGLER: Wir setzen auf Verantwortungsgefühl und Hausverstand. Wenn sich die Gesundheitszahlen so weiterentwickeln, gibt es Erleichterungen beim Mund-Nasenschutz. Wo der Abstand von einem Meter nicht gesichert ist, soll sich nichts ändern. Wir haben einiges begradigt und damit das Durcheinander von Speziallösungen entwirrt.

Haben Sie virologisch entschieden? Oder ist es ein Kompromiss mit der Ungeduld der Menschen?

KOGLER: Jene, denen es nicht schnell genug geht, sind derzeit am lautesten. Jene, die sich sorgen, sind eine gleich große Gruppe. Wir haben nicht nachgegeben, sondern vieles vereinfacht. Das Virus ist allerdings nicht weg. Wenn sich die Lage verschlechtert, werden die nächsten Schritte nicht gemacht.

Heißt es, dass die Lockerungen, wenn in zehn Tagen die Zahlen hinaufgehen, gestoppt werden?

KOGLER: Das ist nicht zu erwarten, das wäre eine Riesenüberraschung. Ich sorge mich eher um den Herbst, wenn man den Aussagen der Experten folgt.

Ist der Sommer mit den hunderttausenden Touristen, die quer durch Europa fahren, ein Risiko?

KOGLER: Die Frage müssen wir genau diskutieren. Wir wollen alle die Reisefreiheit, die Grenzöffnungen müssen sich schon am Infektionsgeschehen orientieren. Man wird nicht in Regionen fahren können, wo die Infektionsgefahr dreißigmal höher ist als in Österreich.

Und die Idee, dass man den Sommer nicht am Meer, sondern in der Heimat verbringt?
KOGLER: Ich spreche mich für Differenzierung bei der Grenzöffnung aus, allerdings auf Basis objektiver Gesundheitsdaten. Ausschließlich politisch und wirtschaftlich begründete Kategorisierungen lehne ich ab. Eigentlich sollen die Leute ja selber entscheiden können, wohin sie auf Urlaub fahren

Was heißen die Lockerungen für den Sport?
KOGLER: Beim Spitzensport ist nahezu alles möglich. Die Zuschauerregelungen werden mit den Bestimmungen für die Veranstaltungen synchronisiert.

Das heißt, dass bei Fußballspielen ab August 1000 Leute zusehen können?
KOGLER: Es sind sogar 1250 möglich, wenn die Behörden das Veranstaltungskonzept nehmen, ab Juli 750, ab Juni 100. Ich denke nicht nur an den Fußball, sondern auch ans Tennis. Die Veranstalter müssen allerdings ein Konzept vorlegen.

Wie sehen Sie die Zustimmung zur Formel 1? Als Steirer und Sportminister mit einem lachenden, als Grüner mit einem weinenden Auge?

KOGLER: Das ist eine sachliche Entscheidung des Gesundheitsministers auf Basis der Coronagesetze. Klimaschutzpolitik ist für uns Grüne ein zentrales Anliegen, entscheidet sich aber nicht an einzelnen Autorennen.

Sie haben ja federführend die Milliardenpakete mitverhandelt. Es gibt viel Unmut, dass die Gelder nicht fließen. Wie das?

KOGLER: Ich wäre entschlossener an die Sache herangegangen, in der Abwicklung und in der Dimension. Wir haben inzwischen fünfmal nachgebessert und die Leistungen aus dem den Härtefallfonds verdreifacht. Ab Juni werden die Kleinstunternehmen im Schnitt voll kompensiert, was sie im letzten Jahr im Durchschnitt erhalten haben. Das bekommen sie ein halbes Jahr lang, nicht ein paar Wochen. Und es gibt Mindestauszahlungen von 1000 Euro im Monat.


Der Unmut bei den Betroffenen ist allerdings groß?

KOGLER: Ja, die Mittel müssen endlich fließen. Bisher waren es Millionen, ich hoffe, es sind bald Milliarden. Wie gesagt: Wir hätten entschlossener und großzügiger handeln müssen, aber jetzt steht das Gebilde.

Wer stand auf der Bremse?

KOGLER: Nicht der Finanzminister, sondern gewisse Abteilungen im Finanzministerium, die auf dem falschen Wirtschaftsdampfer gesessen sind und der Ansicht waren, sie müssen den Groschen zusammenhalten statt schnell Geld zu den Betroffenen rauszubringen. Ich unterscheide zwischen Beharrungskräften im Ressort und dem Finanzminister als Person.

Und der Kanzler?

KOGLER: Der Kanzler lässt sich von wirtschaftlichen Sachargumenten schnell überzeugen. Der Kanzler ist nicht der Engpass.

Wie schwer ist es für die Grünen, der türkisen Machtmaschinerie Parole zu bieten?

KOGLER: Sie sind eine gut geölte Maschine. Niemand ist mit absoluter Macht ausgestattet. Das Umfeld von Kurz versteht das Handwerk der Machtpolitik. Aber die letzten Tage haben gezeigt, dass wir uns stärker aufstellen und schnell lernen. Wir haben einige personelle und strukturelle Entscheidungen getroffen und bauen nach den Erfahrungen der ersten Monate jetzt unser Team und unsere Ressorts um. Es geht darum, jeden Tag ein bisschen besser zu werden.

Ging das Regieren nicht auf Kosten einer grünen Handschrift?

KOGLER: Anfangs wahrscheinlich ja, aber gerade die Konjunkturpakete haben einen viel stärkeren Klimaschwerpunkt als im Regierungsprogramm ursprünglich verhandelt war. Unter Türkis-Blau wären nie und nimmer so große Hilfspakete geschnürt worden. Es waren wir, die die Ausgangsbeschränkungen statt Ausgangssperren durchgesetzt haben. Uns ist es zu verdanken, dass die App auf freiwilliger Basis gekommen ist. Mit der FPÖ hätte es eine Ausgangssperre gegeben, und die berittene Polizei mit den Kickl-Pferden wäre in den Straßen patrouilliert.

Kurz wollte Ausgangssperren Mitte März?

KOGLER: Dass man die eigenen vier Wände verlässt, um Luft zu schnappen, sich die Füße zu vertreten, Sport zu betreiben, waren Rudi Anschobers und meine Bedingung. Die ÖVP hatte hingegen aufs Tempo gedrückt, was sich, wenn man sich die Zahlen ansieht, als richtig erwiesen hat. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Bei Türkis-Blau wäre Spazierengehen, Radfahren und Joggen nicht möglich gewesen.

Wie schwer war es, die ÖVP von der Entmachtung Pilnaceks zu überzeugen?

KOGLER: Mit der von Zadic eingeleiteten Justizreform werden die Fehler, die Frau Bandion-Ortner vor zehn Jahren angerichtet hat, beseitigt. Wir wollen keine ungesunde Verflechtung zwischen Legsitik und der Aufsicht.


Wie hart war das Gespräch, das sie mit dem Kanzler geführt haben?
KOGLER: Das war kein schwieriges, aber ein sehr klares Gespräch. Ich habe einfach die von Zadic ausgearbeitete Justizreform mitgeteilt. Wenn wir schon keine weisungsfreie Justizkette haben, dann müssen wir auf oberster Ebene für klare Gewaltenteilung sorgen.

War die Kür von Lunacek eine Fehlentscheidung?

KOGLER: Ulrike Lunacek konnte ihre großen Stärken in Zeiten von Corona leider nicht entfalten. Jetzt sind die Stärken von Andrea Mayer gefragt.