Wir haben Halbzeit bei der Matura. Einige Maturanten haben das neue Regime zum Anlass genommen, um nach fünf Minuten aufzustehen mit dem Argument: Ich hab’s eh schon geschafft. War es ein Fehler, die Matura zu verwässern?

HEINZ FASSMANN: Insgesamt bin ich froh, dass uns viel gelungen ist. Wir haben die Schule wieder aufgesperrt. Es gab ja die Idee, die Schule bis zum Herbst zugesperrt zu lassen. Ich bin auch froh, dass wir eine Matura organisiert haben. Dass ein paar Rumpler passieren, es also Einzelfällen gibt, die eine situationsangepasste Matura ausnützen, muss man hinnehmen. Zufrieden bin ich nicht, denn das ist eine ernsthafte Prüfung.

Sie halten an der Idee fest, dass auch künftig die Matura-Prüfung nicht mehr die alles entscheidende Prüfung ist, sondern auch die Jahresleistung zählt?

HEINZ FASSMANN: Wir werden uns die Einzelfälle anschauen, im Prinzip sprechen viele gute Argumente für diese Vorgangsweise. Die Schüler sollen merken: Matura ist etwas Wichtiges, wo man nicht nur einen Zettel abgibt.

Was sagen Sie zum Einwand, wer heuer maturiert, trage das Kainsmal einer Corona-Matura auf der Stirn?

HEINZ FASSMANN: Matura ist Matura. Beim Wechsel auf die Hochschule oder die Universität benötigt man die Matura. Im Leben kommen dann andere Urkunden und Zertifikate hinzu.

Der Koalition will Lockerungen am Freitag ankündigen. Wird es solche auch an Schulen geben?

HEINZ FASSMANN: Es geht weniger um Lockerungen als um Vereinheitlichungen. Wir haben ein viel zu kompliziertes Regelwerk. Wir haben uns bei der Wiedereröffnung der Schulen eines einfachen Regelwerkes bedient: Schichtbetrieb, Distanzhalten, Hygiene, Mund-Nasenschutz.

Soll der Mund-Nasenschutz gelockert werden?

HEINZ FASSMANN: Ich habe immer aufgerufen, den Regeln mit Hausverstand zu folgen und eine kindgerechte Normalität an Schule zu erzeugen. Wenn die Maske einmal verrutscht, ist das kein Malheur, auch wenn man einen Bleistift weitergibt. Wichtiger als die Maske sind Abstandhalten und Händewaschen.

Als Wissenschaftler müssten Sie glücklich sein, wie wissensbasiert die Politik agiert. Wenn man sich allerdings die Debatte über die virologische Gefährlichkeit von Schulen vor Augen führt, kommt man zum Schluss: drei Virologen, vier Meinungen. Orten Sie einen Konsens, wie gefährlich Schulen sind?

HEINZ FASSMANN: Im März galt die Meinung, die Schule ist ein Ort der Infektion, die ins Elternhaus weitergetragen wird. In der Zwischenzeit haben wir eine gewisse Klarheit erlangt: Die Viruslast sowie der Infektionsvorgang sind zwar bei Kindern ähnlich wie bei Erwachsenen. Kinder reagieren allerdings anders und haben in einem viel höheren Ausmaß einen asymptomatischen Verlauf der Krankheit. Wer nicht hustet, überträgt auch keine Viren, daher sind die Kinder, wenn sie nach Hause gehen, nicht die großen Virenüberträger.

Hätte man nicht gleich großzügiger bei Schulen sein können?

HEINZ FASSMANN: Man musste vorsichtig sein, weil man das Virus nicht gekannt hat.

Wird es noch Änderungen am Schulkalender geben?

HEINZ FASSMANN: Wichtig ist, dass wir Schule, Lehrer, Eltern und Kinder nicht überfordern und wir dieses Schuljahr gut über die Runden bringen.

Wie sieht im Herbst der Schulalltag aus? Muss man nicht am Schichtbetrieb festhalten? Solange es keine Impfung gibt, werden Abstandsregeln ihre Gültigkeit behalten?

HEINZ FASSMANN: Wenn es die Infektionslage insgesamt erlaubt, und da bin ich sehr optimistisch, hoffe ich auf eine Rückkehr zum normalen Schulbetrieb.

Ohne Teilung der Klassen?

HEINZ FASSMANN: Genau, ganz normal, ohne Maske. Die Teilung der Klasse hat große Vorteile, aber natürlich kommt man nur mit halber Geschwindigkeit voran.

Dann sitzen die Schüler auf engsten Raum zu 30 in einer Klasse? Ist das nicht unverantwortlich?

HEINZ FASSMANN: Die durchschnittliche Klassengröße in der Volksschule liegt bei 22. Wenn es eine lokale Infektion gibt, wird man schnell reagieren, etwa, indem wir zum Schichtbetrieb zurückkehren.

Wie sieht es mit der „Sommerschule“ für Schüler aus, die in Zeiten von Corona ins Hintertreffen geraten, abgehängt worden sind?

HEINZ FASSMANN: Wir halten am Plan fest und sind derzeit dabei, das gleichsam auf den Boden zu bringen, mit all den Fragen, die damit zusammenhängen: Wird es verpflichtend sein? Wer zahlt’s? Wer unterrichtet?

Ist eine verpflichtende Sommerschule möglich? Es gibt ja keinen Rechtsanspruch auf neun Wochen Urlaub für Schüler?

HEINZ FASSMANN: Rechtlich gesehen wäre es eine sogenannter „Ergänzungsunterricht.“ Dieser kann verpflichtend oder auch freiwillig angeboten werden.

Das überlegen Sie noch?

HEINZ FASSMANN: Ja, es gibt gute Argumente für eine Verpflichtung. Das Gegenargument dazu wäre, dass man es flächendeckend anbieten muss. Das ist in erster Linie eine Organisationsfrage, in zweiter Linie eine Kostenfrage.

Wer soll unterrichten?

HEINZ FASSMANN: Studierende des Lehramts konnten derzeit keine schulpraktischen Veranstaltungen absolvieren. Es können aber auch Lehrer sein, die es freiwillig machen. Sie werden dafür entlohnt.

Hat es schon Gespräche mit der Gewerkschaft gegeben?

HEINZ FASSMANN: Ja, es gab auch Gespräche.

Was ist der Grund für die generelle Freistellung von Lehrern über 60? Das versteht kein Mensch?

HEINZ FASSMANN: Wir haben nach wie vor die Home-Office-Regelung für öffentlich Bedienstete, die Bundeslehrer gehören dazu. Und ältere Lehrer haben ein höheres Krankheitsrisiko.

Warum haben Lehrer ein höheres Krankheitsrisiko?

HEINZ FASSMANN: Vergleichen Sie den Lehrberuf mit jeder anderen Berufsgruppe. Überall gibt es Masken oder Plexiglas. Als Lehrer kann man nicht mit einer Maske unterrichten. Aber die meisten Lehrer haben sich ohnehin für den Unterricht an den Schulen entschieden.