Herr Präsident Sobotka, die Veranstaltung zur Befreiung von Mauthausen, zu der die Präsidien von Bundesrat und Nationalrat einladen, widmet sich dem Thema von Gewalt und Rassismus. Wo orten Sie das heute?

Wolfgang Sobotka: Viele gesellschaftliche Räume sind von Gewalt betroffen. Die beste Gegenwehr ist eine klare rechtsstaatliche Ordnung. Das ist das beste Gegengift. Gewalt geht immer von einem Individuum aus, Gewalt passiert nie einfach so. Die grösste Herausforderung ist sicherlich der Rassimus im Internet.

Studien sehen wachsenden Antisemitismus. Was ist schief gelaufen in der Bildungsarbeit?

Antisemitismus ist etwas anderes als Rassismus. Antisemitismus ist eine epigenetische, leider tief verwurzelte Geisteshaltung. Sich nur auf die Bildung zu verlassen, ist zu wenig. Wir müssen klarer gegen den Alltagsantisemitismus auftreten. Antisemitismus kommt nicht von den Rändern, sondern aus der Mitte. Sich nur auf den rechten Antisemitismus zu konzentrieren, ist zu wenig. Es gibt einen Antisemitismus, der sich als Antizionismus tarnt sowie eine Form im Kontext der Migration.

Was muss getan werden?

Wir müssen das Bewusstsein ändern. Wenn man die Leute fragt, ob sie glauben, dass es in Österreich noch eine antisemitischen Grundeinstellung gibt, sagt eine deutliche Mehrheit: Ich kann mir das nicht vorstellen. Die alte Gleichung, ein linker Antifaschist kann kein Antisemit sein, hat uns den Blick verstellt. Es gibt sechs Millionen Gründe, warum wir gedenken. Es muss Teil unseres Lebens sein.

Getarnt als Antizionimus - darf man Israel nicht kritisieren?

Wenn man sagt, Israel müsste aus der eigenen Geschichte etwas gelernt haben für den Umgang mit den Palästinensern, die Israelis behandeln die Palästinenser so wie die die Deutschen die Juden, dann ist es schon schwer antisemitisch. Es ist Unsinn, wenn man darüber klagt, dass man Israel nicht kritisierten darf, weil man ins Nazieck gestellt wird. Es geht um die Wortwahl, die Diktion.

In Deutschland wird Rabbinern empfohlen, in der Öffentlichkeit keine Kippa zu tragen. Wie ist die Lage in Österreich?

Ein Rabbiner hat mir einmal gesagt. Wenn er in Paris von der Metro aussteigt, dauert es keine zwei Minuten, bis er beschimpft wird, in Berlin sind es 30 Minuten. Wir leben auf keiner Insel der Seligen. Wie brauchen nicht nur das Strafgesetzbuch, wir brauchen auch eine Art von Kodifizierung für das Netz, um zu sehen, was antisemitisch ist.

Bedarf es noch weiterer gesetzlicher Änderung? Vielleicht im Bereich von Social media?

Ja, da müssen wir nachschärfen. Ich bin für das Redaktionsprinzip. Blogs mit tausenden Followern kann man nicht einfach als private Meinungsäußerung abtun, da bedarf es auch einer redaktionellen Verantwortung. Mit Zensur hat das überhaupt nichts zu tun.