PRO:

Ja, sagt Hans Winkler. Unter der halben Million Arbeitsloser muss es genügend Menschen mit der nötigen „Grunderfahrung“ geben. Um sie zu verpflichten, sollte man die Zumutbarkeitsbestimmungen lockern.

Auf der einen Seite über eine halbe Million neuer und alter Arbeitsloser, auf der anderen Seite zwei Branchen, die „händeringend“ (Bundesministerin Elisabeth Köstinger) Arbeitskräfte suchen, weil die Ausländer, die sie bisher beschäftigt hatten, nicht mehr zu Verfügung stehen. Entweder dürfen diese nicht einreisen oder aus ihrer Heimat nicht ausreisen. Insgesamt werden in der Gemüse-, Obst- und Fleischproduktion und in der Lebensmittelverarbeitung 14.000 Arbeitskräfte gesucht. Da muss es doch eine Brücke zwischen Angebot und Nachfrage geben, möchte man meinen.

Doch so einfach ist das nicht. Die Betriebe verlangen von Bewerbern „Qualifikation und Grunderfahrung“. Das versteht man, denn sowohl in der Landwirtschaft und erst recht in der Fleischproduktion ist auch der Umgang mit Maschinen erforderlich. Unter der halben Million muss es aber genug Leute geben, die mit Maschinen umgehen können und „Grunderfahrung“ bei der Arbeit haben. Sie zu verpflichten, indem man Zumutbarkeitsbestimmungen lockert, sollte möglich sein.

Niemand wird bezweifeln, dass „Arbeit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb harte Arbeit ist“, wie es auf der Vermittlungsplattform „dielebensmittelhelfer“ lapidar heißt. Aber nicht jede Tätigkeit in der Landwirtschaft braucht eine besondere Qualifikation.

Es gibt in Österreich offiziell 32.000 arbeitslose Asylberechtigte. Viele von ihnen haben noch nie gearbeitet, beziehen also kein Arbeitslosengeld, sondern Sozialhilfe. In seinem Erkenntnis zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz hat der Verfassungsgerichtshof die Regelung, dass die Sozialhilfe gekürzt werden kann, wenn der Empfänger das Sprachniveau B1 nicht erreicht, aufgehoben.

Nicht aufgehoben hat das Höchstgericht aber den jetzigen Paragrafen 3, Absatz 4, dieses Gesetzes, der es erlaubt, „Leistungen der Sozialhilfe von der dauerhaften Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft und von aktiven, arbeitsmarktbezogenen Leistungen der Bezugsberechtigten abhängig zu machen“. Wird das verweigert, können Sanktionen ergriffen werden, was aber momentan wegen der Bewegungsbeschränkungen ausgesetzt ist.

Als Erntehelfer würden Asylberechtigte eine für Österreich und damit auch für sie selbst dringend notwendige Leistung erbringen. Für den Einzelnen kann das auch ein Einstieg in die österreichische Arbeitswelt sein und eine Erfahrung, woher der Wohlstand kommt, an dem sie teilhaben. Wenn die Ausgangsbeschränkungen vorüber sind, sollte einem solchen Einsatz nichts im Wege stehen.

KONTRA:

Nein, sagt Roman Hebenstreit. Zwang ist eine Zumutung und nicht die richtige Antwort auf die Coronakrise, im Gegenteil:
Verantwortungsvolle Politik bedeutet dieser Tage, den Druck und die Sorgen der Menschen zu mildern.       

Die Wirtschaftskapitäne und ihre politischen Leichtmatrosen fragen ernsthaft, ob man Arbeitslose zum Corona-Einsatz verpflichten soll. Sie panzern die Freiheit des Marktes gern mit Zwang.
Apropos panzern. Junge Soldaten beladen derzeit Lkw mit Gütern aus Supermarktlagern. So mancher, der da anpackt, ist ein Präsenzdiener, den man zu einer Ehrenrunde vergattert hat. Ohne lange Diskussion haben wir eine kleine Zwangsarmee geschaffen. Wir zwingen die Burschen, länger beim Bundesheer zu bleiben. Grundrechte und persönliche Lebensplanung? Wurscht.

Der „Zwangsdiskurs“ flammt jetzt wieder auf, aber er schwelt schon länger. Seit einiger Zeit wird der Ruf nach mehr Zwangsmaßnahmen bei der Arbeitssuche lauter – Stichwort Zumutbarkeitsbestimmungen. Die Bosse sind sich sicher, dass man eine arbeitslose Kellnerin aus Wien nach Tirol zwangsverschicken darf. Dann hätte die händeringende Suche nach Fachkräften für die Hotels und Restaurants in den Tourismusregionen endlich ein Ende. Wie gut man es mit den Angestellten meint, haben wir jüngst in Tirol gesehen. Man hat sie wissentlich der Infektionsgefahr ausgesetzt und dann ratzfatz vor die Tür gesetzt. Um offene Gehälter streiten sie vielfach immer noch: Infektion statt Lohn.

Wo sind die Neoliberalen, die uns seit Jahren mit dem Mantra vom Markt, der alles regelt, in den Ohren liegen? Auch am Arbeitsmarkt treffen sich doch angeblich Angebot und Nachfrage und bestimmen die Preise. Demnach müssten sich die Löhne für Pflegende, Kassierende und Paketschleppende eigentlich erhöhen. Doch für die Heldinnen und Helden des Krisenalltags heißt es: Nada, nix da.

Wohin geht die Reise? Welches Wirtschaftssystem streben wir für uns und unsere Kinder an? Es wird uns nicht von heute auf morgen gelingen, unsere Gesellschaft solidarischer, ökologischer und krisensicherer zu machen. Aber wir sollten die Wege dahin gemeinsam diskutieren. Die Betroffenen müssen zu Wort kommen, zu Beteiligten werden.

Das gilt auch und besonders für unsere arbeitssuchenden Mitmenschen. Mit ihnen reden statt über sie. Ich kenne derzeit niemanden ohne Arbeit, der mit seiner Situation glücklich ist. Viele haben ihre Jobs verloren. Sie sind verunsichert und wissen nicht, wie es weitergeht. Den 500.000 Arbeitssuchenden darf niemand mit Zwangsarbeit drohen. Das ist schäbig. Wenn wir in manchen Bereichen mehr Leute brauchen, habe ich einen einfachen Vorschlag: mehr Anerkennung, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Das wirkt üblicherweise.