Nach der Entlassung von Susanne Wiesinger als Ombudsfrau für Wertefragen ist Bildungsminister Heinz Faßmann auf der Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für die in Ungnade gefallene Pädagogin. Man werde in jedem Fall die Stelle neu besetzen, heißt es dazu gegenüber der Kleinen Zeitung.

Am Rande eines anderen Termins hat Faßmann heute seine Irritation über Wiesinger unterstrichen. Die in ihrem Buch erhobene Vorwürfe - etwa, dass sie Interview-Antworten zwecks Kontrolle zuvor abgeben hätte sollen - wies er zurück. Bereits fertig ist Wiesingers Tätigkeitsbericht: Auf 135 Seiten empfiehlt sie etwa eine bessere Durchmischung an Schulen, mehr Fördermittel und Unterstützungspersonal an Brennpunktschulen sowie eine stärkere Kontrolle des islamischen Religionsunterrichts. Der Bericht ist online auf der Homepage des Bildungsministeriums abrufbar (hier).

Maulwurf? "Ehrenbeleidigung"

Wiesinger selbst hat unterdessen ihr Vorgehen verteidigt - insbesondere den Umstand, dass sie noch während ihrer geplanten Amtszeit als "Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte" das ministerium-kritische Buch veröffentlicht hat. Den Vorwurf der ihr vom Ministerium zur Seite gestellten Beraterin Heidi Glück, sie sei "mehr Maulwurf als Ombudsfrau" gewesen, weist sie zurück - und will deshalb klagen.

Glück, einst Pressesprecherin von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und Kanzler Wolfgang Schüssel (beide ÖVP) und nunmehr Kommunikationsberaterin, hatte Wiesinger auf Twitter vorgeworfen, sie habe das Vertrauen aller missbraucht, noch dazu werde der Titel des Buchs dem Inhalt nicht annähernd gerecht. "Es ist unanständig und desavouiert ihre eigene Arbeit. Sie hat ihre Rolle falsch verstanden, eher Maulwurf als Ombudsfrau". Die langjährige NMS-Lehrerin und SPÖ-Lehrergewerkschafterin will das nicht auf sich sitzen lassen. Sie erwägt deshalb eine Klage wegen "Ehrenbeleidigung", bestätigt man in Wiesingers Verlag, der Edition QVV von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, der APA.

Vertrauensbruch "nachvollziehbar"

Sie könne zwar nachvollziehen, dass man die Veröffentlichung des Buchs im Bildungsressort als Vertrauensbruch empfindet, betonte Wiesinger am Montag im Ö1-Morgenjournal". Als illoyal empfinde sie ihr Vorgehen dennoch nicht. Immerhin habe sie den Abschlussbericht ihrer Arbeit als Ombudsfrau, in dem sie die Ergebnisse ihres Austauschs mit "sicherlich 1.100 Leuten" festhält, bereits im Dezember der damaligen Ministerin Iris Rauskala vorgelegt.

"Wertvoller Beitrag"

Minister Fassmann sagte am Montagvormittag am Rande eines Termins, er habe in der Früh ein Gespräch mit Wiesinger geführt (die er Anfang 2019 selbst als "Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte" ins Ministerium geholt hatte). Er halte ihren Beitrag zum Aufzeigen von Problemen im österreichischen Schulsystem für wertvoll und danke ihr auch dafür, betonte Fassmann.

"Kabinette wollten mich instrumentalisieren"

Die bekannte Wiener Pädagogin hatte sich mit ihrem heute erscheinenden Enthüllungsbuch über die Vorgänge im Ministerium in die Nesseln gesetzt. Wiesinger fährt schwere Geschütze gegen die Kabinette der Bildungsminister Faßmann und Rauskala auf. Diese hätten versucht, sie, Wiesinger, parteipolitisch zu instrumentalisieren. Vor allem ortet die ehemalige Ombudsfrau eine tiefe Kluft zwischen der Ministerialbürokratie und der schulischen Wirklichkeit an Brennpunkt- und anderen Schulen.

Glück hatte für ihre Tätigkeit für die Ombudsstelle bis vergangengen Sommer rund 17.000 Euro erhalten, wie eine Anfragebeantwortung von Rauskala an SPÖ-Abgeordneten Philip Kucher zeigt.

Wiesinger in der Zib2

Zitate aus ihrem Buch

Die Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte im Bildungsministerium, Susanne Wiesinger, hat mit der Ankündigung eines neuen Buchs für Verärgerung bei ihrem Arbeitgeber gesorgt. "Machtkampf im Ministerium. Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört" wird am Montag präsentiert. Wir bringen Auszüge aus dem Buch:

Im vergangenen Jahr bekam ich nicht nur Einblick in Österreichs Brennpunktschulen, sondern auch in die Welt der Politik, besonders in die Arbeit des Bildungsministeriums.

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Die persönlichsten und offensten Gespräche führte ich mit Christian Kern und der damaligen SPÖ-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid. Beiden waren die Probleme gerade mit muslimischen Schülern bewusst. Als ich erwähnte, dass sozialdemokratische Politiker Wiens gerade in diesem Punkt hartnäckig wegschauen, kam kein Widerspruch. 

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Im Gegenzug betonte praktisch jeder konservative Politiker, dass die Veränderungen in unserer Gesellschaft neue Antworten erfordern. Niemand sprach sich gegen einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle aus. Aber man sei der katholischen Kirche und dem damaligen Koalitionspartner FPÖ verpflichtet und dürfe daher den konfessionellen Religionsunterricht nicht schwächen.

Genauso ernüchternd waren die Versuche, mich parteipolitisch zu vereinnahmen. Ob es nun ehemalige Gewerkschaftskollegen waren oder das Kabinett des Ministers. Wenn man in Österreich politisch tätig ist, muss man sich parteipolitisch irgendwo einordnen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, nirgendwo zugehörig zu sein. Aber die Ombudsstelle sollte parteipolitisch neutral sein. Dass an dieser Unabhängigkeit immer wieder gerüttelt wurde, war ein Grund für dieses Buch.

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Zu den meisten meiner Genossen aus der Gewerkschaft besteht kein Kontakt mehr. Offensichtlich habe ich sie vor den Kopf gestoßen. Das kann ich verstehen, dennoch würde ich meine Kritik genauso wieder äußern. Die sogenannten Linken sollten sich dringend den Realitäten in unserer Gesellschaft widmen. Ein Schulsystem mit veralteten bürokratischen Strukturen und Ideologien aus den 1970er-Jahren kann den heutigen Anforderungen nicht gerecht werden. „Wir machen eine Gesamtschule, und das Problem ist gelöst“, oder „Wir lassen den Eltern die Wahlfreiheit, ob Nachmittagsbetreuung oder nicht“ sind veraltete Ideologien, mit denen keine Schulentwicklung möglich sein wird. 

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Die Erfahrungen, die ich als Leiterin der Ombudsstelle gesammelt habe, und die Einblicke, die ich erhalten habe, haben meine Befürchtungen, wie es um unsere Schulen bestellt ist, leider noch übertroffen. Ich möchte aufzeigen, wie unser parteipolitisches System jegliche Reformen verhindert.

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Egal welcher Partei der Minister und sein Kabinett angehören: Unter Lehrern ist das Ansehen der vorgesetzten Behörde nicht wirklich hoch.

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Ob dies nun die Einführung der Neuen Mittelschule, der Deutschförderklassen oder die Fülle an Testungen bis hin zur Zentralmatura betrifft: Mit dem, was viele Schüler brauchen, haben diese Neuerungen nicht viel zu tun. Was im Klassenzimmer wirklich vor sich geht und was gebraucht wird, wissen im Ministerium nur die wenigsten.

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Bereits nach einigen Monaten im Ministerium bemerkte ich, dass die Leitung meiner Ombudsstelle vom Kabinett nicht weisungsfrei und unabhängig verstanden wurde, obwohl Minister Faßmann genau dieses Versprechen in der Pressekonferenz, die dies neue Initiative ankündigte, Ende 2018 abgegeben hatte. Das war die Theorie. Es klang gut für die Medien. Die Praxis war eine andere. Selbst in Gesprächen mit Lehrern sollte ich nicht von der parteipolitischen Linie des Kabinetts abweichen. … Meine Ombudsstelle bestehe allein darin, sich die Sorgen der Lehrer mit Schülern und Eltern anzuhören. Betrafen diese Sorgen auch strukturelle Aspekte, für die auch die ÖVP verantwortlich zu machen war, erklärte man mich für nicht mehr zuständig. Ich sollte diese Kritik weder besprechen noch dokumentieren.

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Die Lehrer beklagten stets die fehlende Durchmischung, kritisierten die Deutschklassen und forderten einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle. Doch davon wollte das schwarze Kabinett nichts wissen, denn es passte nicht in ihr ideologisches Konzept. Die Angst, dass etwas von mir nach außen getragen werden könnte, was nicht ihrer, also der türkisen, Linie entsprach, schien über die gesamte Zeit spürbar.

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Meine Arbeit als Ombudsfrau entwickelte sich von Monat zu Monat zu einem größeren Machtkampf um die Frage: Wie parteipolitisch ist diese Ombudsstelle? Sie wollten eine Ombudsfrau auf ÖVP-Linie. Über allem schien mir stets die Sorge zu stehen, dass ich irgendwo irgendetwas sagen könnte, was dem Minister schaden könnte.

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Dabei teilte Minister Faßmann die Befürchtungen der engsten Kabinettsmitarbeiter in dieser Form keineswegs. Dass ich parteipolitisch unabhängig und weisungsfrei agieren sollte, stand für ihn zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion. Er stärkte mir sehr oft den Rücken. Das muss ich ganz deutlich sagen: Die parteipolitische Vereinnahmung ging zu keinem Zeitpunkt vom damaligen Minister Faßmann aus, sondern immer nur von Mitgliedern seines Kabinetts.

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Ja, in Wien ist die Situation in einigen Bezirken besonders dramatisch, aber die integrationspolitischen Schwierigkeiten, die es an Wiener Brennpunktschulen gibt, gibt es an allen österreichischen Schulen in Ballungsräumen mit einem ähnlich hohen Anteil an muslimischer Schülerschaft. 

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Das Bildungsministerium erscheint von den Problemen an den Schulen entkoppelt. Zwischen der Realität im Klassenzimmer und den theoretischen Überlegungen im Ministerium klafft eine Lücke, die immer größer wird. Es ist, als hätten wir zwei Welten: auf der einen Seite die Schulen mit sehr spürbaren Konflikten und Herausforderungen, und auf der anderen Seite die oberste Bildungsbehörde des Landes mit unzähligen Arbeitsgruppen und Expertenrunden.

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Am meisten hat mich verwundert, wie wenig Handlungsspielraum ein Minister und sein Kabinett haben, wie wenig die oberste Bildungsbehörde in diesem Land gestalten kann, wie wenig sie reformieren kann. So, wie ich es erlebt habe, ist sie weitestgehend machtlos. Sie beugt sich dem System der parteipolitischen Interessenvertretungen. Sehr oft kann der Minister nichts gegen die über Jahrzehnte gewachsenen Verwaltungsstrukturen unternehmen. Der Apparat bestimmt. Die Folge dieser Ohnmacht sind oft überhastete Scheinreformen.

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Wie ernst ich es mit der parteipolitischen Unabhängigkeit dieser Ombudsstelle nahm, wurde von vielen im Ministerium unterschätzt. Wie sehr dem Kabinett diese Freiheit zuwider war und wie hartnäckig und hemmungslos es mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorzugehen versuchte, hatte ich unterschätzt. Die Enttäuschung des Kabinetts darüber, dass ich mich parteipolitisch weder zu- noch einordnen wollte, konnte ich nach jedem Schulbesuch spüren, wenn ich die Anliegen der Lehrer rückmeldete. Diese beklagten stets die fehlende Durchmischung, kritisierten die Deutschklassen und forderten einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle. Doch davon wollte das schwarze Kabinett nichts wissen, denn das passte nicht in ihr ideologisches Konzept. Dass sich selbst viele schwarze Schuldirektoren in den Bundesländern gegen das eingeführte Modell der Deutschklassen aussprachen, weil sie die Trennung der Schüler als kontraproduktiv für den Lernerfolg empfanden, wischten die Verantwortlichen im Kabinett einfach vom Tisch.

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Meine Arbeit sollte ausschließlich die politischen Positionen der Volkspartei untermauern – das war jedenfalls mein Eindruck.

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Dieser Konflikt überlagerte das gesamte Jahr im Ministerium. Mehrmals wollte ich meine Arbeit als Ombudsfrau vorzeitig beenden. Es ging einfach nicht mehr. Zu groß waren die Differenzen, zu groß das Misstrauen, zu klein mein Handlungsspielraum. Für mich war von Anfang an klar: Ich mache das, weil ich mehr über die Situation an Österreichs Schulen erfahren will. Doch das war unter diesen Umständen kaum  möglich. Eine ehrliche und konstruktive Zusammenarbeit auf Augenhöhe hat es aus meiner Sicht in der gesamten Zeit nicht gegeben. Im besten Fall war es ein Nebeneinander, leider aber oft eher ein Gegeneinander. Mein Wunsch, als Lehrerin in die Schule zurückzukehren, wurde von Monat zu Monat größer.

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Nach einigen Monaten verdichtete sich für mich der Eindruck, dass kaum jemand an einem ergebnisoffenen Bericht von mir interessiert war. Ich sollte Argumente und Beispiele für die parteipolitische Agenda der ÖVP sammeln. Wenn ich darauf gedrängt habe, dass auch Themen wie soziale Durchmischung, Gesamtschule und Ethikunterricht im Bericht umfassend behandelt werden müssten – also Themen, die nicht dem parteipolitischen Programm der ÖVP entsprachen –, kam es zu Konflikten mit dem Kabinett.

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Auf Unverständnis und Widerstand trafen im Ministerium besonders meine Versuche, den Einfluss der Religion in den Schulen zu problematisieren. Das betraf primär die katholische Kirche und die Islamische Glaubensgemeinschaft. Immer wieder bestätigten mir Lehrer, dass sie den Einfluss der Moschee, die ihre Schüler besuchen, für ein von der Politik unterschätztes Risiko hielten. Meine Beobachtung, dass der Imam in der Moschee sehr viel mehr Einfluss auf die Kinder hat als der Islamlehrer in der Schule, wurde an vielen Schulen bestätigt. Dies ist eine gefährliche Situation. In der Moschee werden eher antiwestliche Ressentiments geschürt als abgebaut. Und wie mir zahlreiche Leiter berichteten, trägt kaum ein islamischer Religionslehrer dazu bei, diese religiös aufgeladene Stimmung in den Klassenzimmern abzuschwächen. Umso irritierender war es zu erleben, wie viel Mitsprache man den Glaubensgemeinschaften gewährte. Dass in den westlichen Bundesländern Österreichs die katholische Kirche weiterhin beim Stundenplan einer öffentlichen Schule mitentscheidet, war überraschend für mich. Offenbar genügt ein Anruf aus der Erzdiözese, um den Religionsunterricht auf den Vormittag zu verlegen.

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Nach allen meinen Terminen kann ich eines mit absoluter Sicherheit sagen: Es gibt in ganz Österreich kaum eine Schule in einem Ballungsraum, die nicht mit beunruhigenden Sprachdefiziten zu kämpfen hat. Es ist ein Problem für diese Schulen in allen Bundesländern.