Der Ex-Kanzler und frühere SPÖ-Chef Franz Vranitzky hat sich in einem Interview mit dem "Standard" besorgt über die aktuelle Situation der Sozialdemokratie geäußert und das mit deutlichen Worten artikuliert: "Eine so tiefe Krise habe ich noch nicht erlebt", so Vranitzky in Bezug auf den Umstand, dass sogar rote Hochburgen wie die Industriestädte in der Obersteiermark bei der Nationalratswahl zu Türkis gekippt seien. Er betont aber auch, dass er "vor Endzeitstimmung" warne. "Die Situation ist nicht rosig, doch um da herauszukommen, müssen die Sozialdemokraten kühlen Kopf und klaren Blick bewahren", Hoffnungslosigkeit sei der schlechteste Ratgeber. "Gesundbeten" helfe allerdings auch nichts.

Insgesamt fehle der SPÖ "die verlässliche Linie", so der Befund von Vranitzky. Das sei aus seiner Sicht aber auch "kein Wunder, schließlich ist die SPÖ von einem Unheil ins andere geschlittert". Die schädliche Entwicklung habe seiner Wahrnehmung nach damit begonnen, "dass Werner Faymann am 1. Mai 2016 vom Rathausplatz geschrien und gepfiffen wurde". Die Art und Weise "war nicht zu billigen". Faymanns Nachfolger Christian Kern habe "hoffnungsvoll begonnen, ist dann aber in sich zusammengebrochen", so Vranitzky, der Kerns persönliches Verhalten, also die Aufgabe nach der verlorenen Kanzlerschaft, als "unverständlich" bezeichnet.

Wahlrecht für Migranten

Die tiefer liegenden Ursachen für die Probleme der Sozialdemokratie ortet Vranitzky u. a. darin, dass die SPÖ wie ihre Schwesterparteien dazu neige, "die über Jahrzehnte errungenen Wahlerfolge als selbstverständlich anzusehen - und wenn sich diese Erfolge nicht mehr einstellen, greift sie auf alte Werkzeuge zurück". Diese "Antworten von früher gelten nicht mehr in einer Welt, die sich in rasender Eile verändert – von der Digitalisierung bis zur Zuwanderungswelle".

Mit dem Ausländer-Thema tue sich die "SPÖ zweifellos schwer". Denn "die Positionen klaffen von streng bis großzügig auseinander, die Überbrückung ist nicht gelungen". Als staatstragende Partei könne es sich die SPÖ nicht leisten, "das Thema wie bisher einfach zu meiden, sie muss sich eine Position erarbeiten". Vranitzky plädiert dafür, dass "Migranten, die viele Jahre hier arbeiten und Steuern zahlen, auch ohne Staatsbürgerschaft das Wahlrecht erhalten" sollen.