In einer der letzten Sitzungen des alten Nationalrats vor der Wahl ist eine Abstimmungspanne passiert: Wie "Addendum" berichtet, hat die damalige Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller, die am Abend des 25. September die Sitzung führte, festgestellt, ein Entschließungsantrag Peter Pilz' für ein Verbot und Auflösung von Vereinen der "Identitären" hätte in der Abstimmung keine Mehrheit erzielt und sei somit gescheitert. Tatsächlich hatte er die nötige Mehrheit aber sehr wohl.

Wie bei jeder Sitzung hat Addendum mit Fotos der Abstimmungen - die Abgeordneten, die für einen Antrag sind, stehen auf - nachgezählt und kommt auf eine Mehrheit von 70 Stimmen für, 67 Stimmen gegen den Antrag "BVT, Extremismus und behördliche Auflösung der Vereine der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich".

Dass Kitzmüller den Antrag trotzdem für abgelehnt erklärt hatte, dürfte an den Gepflogenheiten des Nationalrats liegen: Üblicherweise zählen die Präsidenten nur nach, ob die zustimmenden Fraktionen zusammen eine Mehrheit haben, nicht jeden einzelnen Abgeordneten. Und in dem Fall hatten die Klubs von SPÖ und FPÖ gegen den Antrag gestimmt.

Normalerweise hatten diese beiden Klubs in der vorigen Legislaturperiode zusammen eine Mehrheit, hätten den Antrag also gemeinsam zu Fall bringen können. Während der betroffenen Abstimmung fehlten aber so viele Abgeordnete, dass ÖVP, Neos und Jetzt, die für den Antrag stimmten, eine gemeinsame Mehrheit hatten.

© Addendum

Die Folgen der Panne sind in dem Fall aber überschaubar: Nachdem keine genaue Zählung oder namentliche Abstimmung beantragt war, ist Kitzmüllers Feststellung verbindlich. Allerdings handelte es sich um kein Gesetz, sondern nur um einen sogenannten Entschließungsantrag: Das ist ein politischer, nicht bindender Wunsch des Nationalrats an die Regierung - sinngemäß hätte der Antrag die Übergangsregierung gebeten, Vorschläge für ein Verbot der Vereine der Identitären zu machen.

Vier Tage vor der Wahl - nach der die Mehrheiten völlig andere sein können - sind solche Bekundungen grosso modo eher wenig sinnvoll. Schlimmer wäre es gewesen, wäre ein Gesetz mit einer solchen Panne beschlossen oder abgelehnt worden. Wäre es durchgegangen, hätte der Bundespräsident die Beurkundung verweigern müssen, auch eine Aufhebung vor dem Verfassungsgerichtshof wäre möglich.

Der Grazer Verfassungsrechtler Klaus Poier warnt davor, die Schuld vor allem bei Kitzmüller zu suchen. Die Tradition, mehr auf Klubs zu achten als auf einzelne Abgeordnete entwerte das freie Mandat – weil das Augenmerk mehr auf Parteilinie als auf der Entscheidung des einzelnen Mandatars.

Abhilfe könnte eine elektronische Abstimmungsanlage schaffen, wie sie etwa im EU-Parlament inzwischen üblich ist – Abgeordnete stimmen per Knopfdruck ab, die Auszählung erfolgt sofort und es ist jederzeit dokumentierbar, wer wofür (und wogegen) gestimmt hat.Bisher hat das Parlament darauf verzichtet.

Das könnte sich aber ändern: Wie die Parlamentsdirektion bestätigt, wird im Rahmen der Sanierung des Parlamentsgebäudes bis 2021 eine entsprechende Anlage vorgesehen: Sie soll demnächst ausgeschrieben werden.Wie oft sie dann zur Anwendung kommt, ist aber offen: Derzeit sieht die Geschäftsordnung des Nationalrats nur vor, dass eine solche digitale Abstimmung genutzt werden kann – ob das zum Standard wird oder ob solche Pannen weiter möglich bleiben, werden die Klubs noch beraten müssen.