Wenn heute um 12.30 Uhr der Nationalrat zum ersten Mal in der neuen Form zusammentritt, wird eine bunte Truppe an Parlamentariern angelobt. Männer und Frauen, Junge und Alte, Landwirte und Angestellte, Menschen aus allen Ecken der Republik. Ein Querschnitt der diversen, pluralistischen Bevölkerung also, deren Interessen die Abgeordneten vertreten. Ein schönes Bild – das aber nur bedingt richtig ist.

Denn traditionell gibt es unter den Volksvertretern mehr Beamte und mehr Selbstständige als im Volk, das sie vertreten. Wohl auch, weil sich das Politikerleben damit besser vereinbaren lässt als mit einem Job mit Schichtbetrieb. Im Parlament tummeln sich deutlich mehr Akademiker als auf den Straßen des Landes. Und deutlich mehr Männer.

Seit etwa zwanzig Jahren sitzt nur auf jedem dritten Platz im Hohen Haus eine Frau. Der neue Nationalrat bringt hier etwas mehr Ausgleich: Heute werden 72 weibliche Abgeordnete angelobt. Damit ergibt sich ein Frauenanteil von fast 40 Prozent. Auch beim Durchschnittsalter gleichen sich die Parlamentarier immer mehr dem Rest der Bevölkerung an: Mit 46,8 Jahren ist der Altersschnitt im Nationalrat zwar höher als im Rest der Bevölkerung. Allerdings um fünf Jahre jünger als vor zwanzig Jahren.

Die ÖVP stellt diesmal mit Elisabeth Scheucher-Pichler (65 Jahre) die älteste Abgeordnete des Plenums. Der jüngste Volksvertreter ist mit 24 Jahren Yannick Shetty von den Neos.

Massiv unterrepräsentiert sind auch in diesem Nationalrat Menschen, die selbst oder deren Eltern nicht in Österreich geboren sind (siehe unten). Die Schieflage ist offensichtlich. Aber: Ein Parlament, das in allen Dimensionen repräsentativ ist, kann es gar nicht geben. Und es ist auch gar nicht nötig. Denn Abgeordnete können selbstverständlich auch Interessen von Gruppen vertreten, denen sie selbst nicht angehören.

Der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik warnt davor, sozioökonomischen Kategorien ein zu hohes Gewicht zu geben: „Das parlamentarische Verhalten spielt sich hauptsächlich entlang der Fraktionsgrenzen ab.“ Abgeordnete stimmen nicht nach Bildungsstand, Geschlecht oder Herkunft ab, sondern nach ihrer Klubzugehörigkeit.

Allerdings betont er auch: „Wenn eine Gruppe in einer Partei groß ist, beeinflusst das auch die fraktionsinterne Themensetzung.“ Und das wirkt sich in weiterer Folge auf die Entscheidungen aus. „Parlamente mit einem hohen Anteil an Frauen, ethnischen Minderheiten oder Menschen aus sozial schwächeren Schichten treffen andere Entscheidungen“, sagt er. Außerdem ist das Parlament eine Machtressource für die Besetzung von anderen Staatsämtern. Die (mangelnde) Diversität dort setzt sich in anderen Positionen fort.

Dazu kommt eine emotionale Komponente: „Wählerinnen und Wähler fühlen sich von der Politik besser verstanden, wenn die sozialen Gruppen, mit denen sie sich identifizieren, im Parlament eine adäquate Repräsentation haben“, sagt Ennser-Jedenastik. Das trifft auch auf die neun Bundesländer zu. Diese sind durch das Wahlsystem mit Landes- und Regionallisten im Parlament allerdings wirklichkeitsgetreu abgebildet.

So viele Frauen wie noch nie

Von den 183 Abgeordneten, die heute angelobt werden, sind 72 weiblich. Exakt 39,7 Prozent beträgt der Frauenanteil im Parlament. Das ist der höchste Wert jemals. Die Wirklichkeit bildet er trotzdem nicht ab. Dabei wurde extra ein Anreiz für die Parteien gesetzt, um mehr Ausgleich bei den Geschlechtern zu schaffen: Wenn mindestens 40 Prozent der Abgeordneten Frauen sind, bekommen sie um drei Prozent mehr Parteienförderung. Qualifizieren werden sich in dieser Periode dafür aber nur SPÖ und Grüne.

Die SPÖ bildet den ausgeglichensten Klub. 19 weibliche und 21 männliche Abgeordnete werden heute angelobt. Mit Rendi-Wagner stellt sie die einzige Klubobfrau. Die Grünen sind der weiblichste Klub. Sie haben mehr Mandatarinnen als Mandatare. Bei der FPÖ hingegen sind nur fünf der insgesamt 30 Abgeordneten weiblich. In der größten Fraktion, der ÖVP, sitzen 26 Frauen und 45 Männer. Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik sagt: „Frauen bringen einen anderen Blick auf Themen mit. Und: Korruption ist in den Ländern besonders niedrig, wo mehr Frauen im Parlament sitzen.“

Migrationshintergrund im Parlament

Rund ein Viertel der österreichischen Bevölkerung hat Migrationshintergrund, in Wien sogar knapp die Hälfte. Das macht fast zwei Millionen Menschen, die selbst oder deren Eltern nicht in Österreich geboren wurden. Würde der Nationalrat diese Realität abbilden, müssten 45 Abgeordnete Migrationshintergrund haben. Selbst unter Staatsbürgern hat mehr als jeder zehnte Migrationshintergrund – umgelegt auf den Nationalrat wären das 18 Mandatare.

Tatsächlich sind es aber nur neun. Zwei von ihnen, Nurten Yilmaz und Selma Yildirim, kommen aus der SPÖ und waren schon während der letzten Legislaturperiode im Parlament vertreten. Auch Alma Zadi(´c) ist keine Newcomerin mehr, sie wechselte von der Liste Jetzt zu den Grünen. Mit Süleyman Zorba, Bedrana Ribo, Faika El-Nagashi, Meri Disoski und Ewa Ernst-Dziedzic haben sechs der 26 grünen Abgeordneten Migrationshintergrund – mit 25 Prozent ein ähnlicher Anteil wie in der Bevölkerung. Bei den Neos hat Yannick Shetty indische und koreanische Wurzeln. Keine Mandatare mit Migrationsgeschichte gibt es aktuell bei ÖVP und FPÖ.