Ob Türkis-Grün jemals das Licht der Welt erblickt, ist von vielen Faktoren abhängig: der inhaltlichen Kompromissfähigkeit, der Bereitschaft beider Seiten, über ihren Schatten zu springen, vor allem von der Frage, ob die parlamentarische Mehrheit hält.

Türkis-Grün verfügt gemeinsam über 97 Abgeordnete, hat also einen Überhang von fünf Mandaten. Will heißen: Scheren sechs grüne Abgeordnete aus innerer Überzeugung oder anderen Gründen bei einer von vielen Abstimmungen aus, wäre das Projekt Geschichte. Hat Grünen-Chef Werner Kogler seinen 26-köpfigen Klub, der sich neu konstituiert hat, im Griff? Haben die Realos überhaupt die Mehrheit? Acht der 26 Mandatare sind politisch in Wien verortet.

Kogler gab heute eine Pressekonferenz zum Zwischenstand. Er präsentierte sein Verhandlungsteam: 

  • Birgit Hebein: Wiener Parteichefin, laut Kogler auch wichtig für ihn wegen ihrer Expertise in sozialen Fragen. Kogler an die Adresse all jener, die in den linken Wiener Grünen eine Hürde sehen: "Wir können gemeinsam zu Werke gehen", das sei ein Signal auch an die, "die schon ihre Doppelstrategie aufbauen". Gemeint: Die FPÖ.
  • Leonore Gewessler: Kontaktfrau zu den Öko-Initiativen und zu zivilgesellschaftlichen Organisationen. "Sie steht dafür, dass wir das einlösen, was wir im Wahlkampf versprochen haben."
  • Rudi Anschober: Oberösterreicher und der erste Landesrat, den die Grünen in Österreich stellten. "Er ist sondierungserfahren und war zuletzt auch in Integrationsfragen sehr aktiv."
  • Alma Zadić: Anwältin in einer Wirtschaftskanzlei, "die hervorragende juristische Expertise mitbringt", die junge Abgeordnete (bisher Liste Jetzt) habe im BVT-Untersuchungsausschuss bewiesen, dass sie in sicherheits- und innenpolitischen Fragen mit den anderen mithalten kann
  • Josef Meichenitsch, ein enger Mitarbeiter Werner Koglers im früheren Klub mit ausgeprägter Finanz-Expertise

Die FPÖ nehme sich aus dem Spiel, stehe aber gleichzeitig zur Verfügung. "Es sind alle Optionen da, wir wissen das, haben das schon 2003 erlebt. Damals gab es eine Präferenz für die FPÖ und daher kaum Bewegungsspielraum bei Wolfgang Schüssel. Wie das jetzt ist, weiß ich nicht, aber ich kann das Tableau ausmessen und sehe, wie die Karten verteilt sind."

"Locker bleiben"

"Die inhaltlichen Divergenzen sind da, daraus ergibt sich eine besondere Herausforderung", so der Grüne Chef. "Wir haben aber auch viel Vertrauen bekommen, das bedeutet Verantwortung." Es gebe viel Erwartungen und Hoffnungen, Risken und Chancen: "Wir werden positiv an die Sondierungen herangehen."

Kogler selbst hält die Wahrscheinlichkeit, dass es gelingt, zu einer türkis-grünen Koalitionsvereinbarung zu kommen, für gering. Aber falls, dann sei die Stabilität auf Seiten der Grünen jedenfalls gegeben, wie die Koalitionen in den Ländern zeigten: Die "Geschiebelagen" innerhalb der Bünde der ÖVP im Westen Österreichs seien erheblich, auch die SPÖ in Wien habe immer wieder einmal ein Problem, "das dann die Grünen austarieren". Die Stadtregierung in Graz sei seinerzeit von der ÖVP "gecrasht" worden, "weil es gerade gepasst hat, umfragetechnisch". Also: "Locker bleiben" - so die Empfehlung Werner Koglers. "Wir haben bisher noch keine Koalition platzen lassen."

Viele Quereinsteiger

Seriöse Einschätzungen über das Kräfteverhältnis, vor allem über die interne Meinungsbildung sind zum heutigen Zeitpunkt schwierig. Die grüne Truppe besteht in erster Linie aus Quereinsteigern. Von den 26 Abgeordneten besitzen nur drei Nationalratserfahrung (Werner Kogler, Alma Zadic, Sigrid Maurer), zwei kommen aus dem  Bundesrat (David Stögmüller, Ewa Dziedzic), einer saß im  EU-Parlament (Michel Reimon).

Einige nunmehrige Nationalratsmandatare saßen in Länder- oder Gemeindevertretungen, die Salzburgerin Astrid Rössler war sogar stellvertretende Landeshauptfrau im schwarz-grün regierten Salzburg. Viele kommen aus dem NGO-Bereich, ein halbes Dutzend hat Migrationshintergrund. Einige, etwa Reimon oder Maurer, haben sich in den letzten Monaten als scharfe Kritiker von ÖVP-Chef Sebastian Kurz hervorgetan.

"Keine Wackelkandidaten"

Im Lager der Grünen will man von solchen Bruchlinien nichts wissen. „Sollten wir mit der ÖVP regieren, muss der Koalitionsvertrag von allen im Klub getragen werden. Da kann es keine Wackelkandidaten geben“, so ein Insider.

Ab Freitag kommen Grüne und ÖVP in großer Runde zu Sondierungen zusammen, aus grüner Warte sollte es bald ans Eingemachte gehen: „Natürlich braucht es Zeit, bis man Vertrauen findet. Bald danach sollte man beginnen, die Knackpunkte auszusortieren. Erst wenn wir das Gefühl haben, dass es die ÖVP ernst meint, werden wir in Koalitionsverhandlungen eintreten.“ Die Knackpunkte sind altbekannt: Transparenz und der Kampf gegen Korruption, der Klima- und Umweltschutz sowie die Kinderarmut, hinter Letzterem versteckt sich die politisch brisante Frage nach einer Mindestsicherung für Asylwerber. Ohne grüne Handschrift kein Eintritt in Koalitionsverhandlungen, keine Zustimmung zu einem Koalitionsabkommen.

Sondieren bis Ende November

Nicht nur aus türkiser, auch aus grüner Sicht sollte ein paar Wochen lang,  bis Mitte/Ende November, sondiert werden. Aus zweierlei Gründen: Zum einen will man nur dann in Koalitionsgespräche eintreten, wenn die Chance auf eine Einigung vorhanden ist, zum anderen will man die Steiermark-Wahl abwarten.

Die Basis entscheidet - 40 von 280 aus Wien

Ehe Regierungsverhandlungen aufgenommen werden, muss der erweiterte Bundesvorstand befragt werden. Ein Koalitionsabkommen muss der grünen Basis, konkret dem Bundeskongress mit seinen rund 280 Mitgliedern vorgelegt werden. Dem Kongress gehören Vertreter aus allen Bundesländern sowie alle Grünen, die auf EU-, Bundes- oder Länderebene in Regierungen oder Parlamenten sitzen, an. Entschieden wird mit einfacher Mehrheit. Von den 280 Mitglieder kommen, so Schätzungen, 40 aus Wien, die Wiener Grünen sind in einer klaren  Minderheit.

"Wünsche dem Werner viel Glück"

Unter ehemaligen ranghohen Grün-Politikern ist man unterschiedlicher Meinung, ob Türkis-Grün funktionieren könnte, ob der grüne Klub hält. "Es hängt einzig und allen von der Disziplin im Klub ab", erklärt eine grüne Ex-Politikerin. „Auf ein Koalitionsabkommen mag man sich vielleicht noch verständigen, aber wenn dann plötzlich neue Themen auftauchen, etwa ein Fall mit Flüchtlingen oder sonst eine neue Lage, kann es schnell sehr emotionell werden. Ich wünsche dem Werner viel Glück."

Ein anderer ehemaliger grüner Spitzenfunktiinär sieht es genau anders und verweist auf die Regierungserfahrung in den Bundesländern, wo die Grünen diszipliniert und professionell an der Politik mitwirken. "Wenn die Grünen sehen, dass es sich tatsächlich die Möglichkeit besitzen, einen Teil ihre Vorstellungen in Politik zu giesen, werden sie einem türkis-grünen Projekt keinen Stolperstein in den Weg legen." Voraussesetzt, dass der Koalitionsvertrag eine grüne Handschrift trägt.

Schwarz-Grün in Vorarlberg

In Vorarlberg deutet sich nach der Wahl eine Präferenz für eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition an (im Ländle bekennt sich die ÖVP nach wie vor zur Farbe schwarz). ÖVP-Chef Landeshauptmann Markus Wallner verhandelt noch mit allen Parteien, aber die Vorarlberger Wählerinnen und Wähler haben am Sonntag mit der Stärkung von ÖVP und Grünen indirekt auch die schwarz-grüne Landesregierung bestätigt.

Wer gehört dem grünen Klub an?

Stefan Kaineder und David Stögmüller sind zwei junge Kräfte, die bei Oberösterreichs Grünen für die Nach-Anschober-Ära aufgebaut werden. Kaineder hat familiäre Berührungspunkte zur ÖVP, ist Theologe. Beide sind eher grüne Pragmatiker, sie würden sowohl mit der ÖVP als auch mit der SPÖ eine Zusammenarbeit akzeptieren. Ralph Schallmeiner hat eine rote Vergangenheit, er war bei der SJ engagiert, mit der Welser SPÖ geriet er in Konflikt wegen der sogenannten „braunen Flecken“.

Starke Kärntner und Steirer

Olga Voglauer, seit Juni Landessprecherin der Kärntner Grünen, ist dem Realoflügel zuzuordnen. Die 39-Jährige betreibt mit ihrem Mann eine Bio-Landwirtschaft. Voglauer ist in einer zweisprachigen Familie aufgewachsen.

Zwei starke, aber pragmatisch orientierte Abgeordnete kommen - zusätzlich zum Steirer Werner Kogler - aus der Steiermark. Bedrana Ribo (37) ist gebürtige Bosnierin und  eine überzeugte Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Ihre Kraft liegt in der wirtschaftlichen Kompetenz. Damit trieb sie in  den vier Jahren als Gemeinderätin seit 2015 die ÖVP immer wieder in die Enge. Ribo ist umgänglich in ihrer Art, aber hart in der Sache - eine praxiserprobte Kommunalpolitikerin, die zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterscheiden kann. Jakob Schwarz (34) ist neu in der Politik. Er studierte Physik und Volkswirtschaftslehre, seine Jobs als (damals schon grün-aktiver Student zeigen, dass er keine Berührungsängste hat: Er arbeitete als Erntehelfer, als UN-Soldat im Kosovo, als Messtechniker in deutschen Kernkraftwerken, etc. Schwarz arbeitete zuletzt als Atmosphären-Physiker am Wegener Centerin Graz und danach als Strategieberater bei McKinsey in Genf.  Er kämpft für effiziente Maßnahmen in Sachen erneuerbare Energie und nachhaltige Landwirtschaft, und er wird keinen Zweifel daran lassen, was er (auch im Sinne der Wirtschaft) als zielführend erachtet.

Barbara Neßler war bislang Gemeinderätin in Innsbruck. Die Jungpolitikerin zählt klar zum Realoflügel. Sie gilt in Tirol als Nachwuchshoffnung. Hermann Weratschnig machte sich im Tiroler Landtag vor allem bei den Verkehrs- und Energiethemen als Realo einen Namen. Nina Tomaselli schaffte 2014 den Einzug in den Vorarlberger Landtag, im Landtag fungierte sie als Reibebaum zur ÖVP. Eine Abgeordnete mit Ecken und Kanten.

Astrid Rössler gilt als Grüne aus dem Lehrbuch. Die Salzburgerin radelt, fährt Bahn und E-Auto, gartelt und kauft bio ein. Fünf Jahre saß sie als Landeshauptmann-Stellvertreterin in Salzburg mit der ÖVP in einer Regierung und weiß daher, was es heißt, Kompromisse zu schließen. Ihre umstrittenste Entscheidung: Tempo 80 auf der Salzburger Stadtautobahn. Elisabeth Götze und Ulrike Fischer kommen aus der Kommunalpolitik - und sind dort beide Vizebürgermeisterinnen in schwarz-grünen Koalitionen im Wiener Speckgürtel.

Sibylle Hamann war bis vor Kurzem Journalistin, parteipolitisch ist die Wienerin ein unbeschriebenes Blatt. Eva Blimlinger war bis 1. Oktober Rektorin der Wiener Universität für bildende Künste, zuletzt auch Vorsitzende der Österreichischen Universitätenkonferenz. Leonore Gewessler war zuletzt Chefin von Global 2000, Faika El-Nagashi Gemeinderätin in Wien, Meri Disoski Büroleiterin von Ex-Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, Lukas Hammer Sprecher bei Greenpeace. Markus Koza ist ein unbeschriebenes Blatt.

Mitarbeit: Wolfgang Braun (OÖN), Mike Prock (VN), Michael Sprenger (TT), Heidi Huber (SN), Georg Renner, Wolfgang Fercher (Kleine Zeitung)