"Leben ist das, was einem zustößt, während man dabei ist, Pläne zu machen“. Das mag wie ein Kalenderspruch klingen, wie man ihn zu tausenden von entfernten, ein wenig peinlichen Facebook-Freunden in die Timeline gespült bekommt. Aber wenn ihn Beate Meinl-Reisinger sagt, wirkt das dann doch recht authentisch.

Erst im Vorjahr hat die heute 41-Jährige nach dem Rücktritt Matthias Strolz’ die Führung der Neos übernommen; jener Kleinpartei, die sie einst mitgegründet hat, mit der sie 2013 ins Parlament und 2015 in den Wiener Gemeinderat eingezogen ist – ihr 2017 erzieltes Nationalratsmandat nahm sie zunächst nicht an, erst nach Strolz’ Rückzug rückte sie nach.

Es sollte nicht die einzige Turbulenz im Leben der Wienerin und Wahl-Ausseerin bleiben: vor knapp einem Jahr erklärte die Neo-Parteichefin, ungeplant („der Zeitpunkt ist vielleicht nicht ganz ideal“) schwanger zu sein; im April, mitten im EU-Wahlkampf, kam ihre dritte Tochter zur Welt. Kurz darauf, im Mai, wurde klar, dass Meinl-Reisinger in dieser Situation einen Wahlkampf führen muss.

Was das bedeutet: Zunächst einmal viele Kompromisse. Weil Meinl-Reisinger Wien nur selten verlässt, um Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können, lässt sich, eingezwängt im Termin-Korsett zwischen TV-Duellen und Elefantenrunden („ich bin kurz davor, mir ein Feldbett im TV-Studio aufzustellen“) kein Termin für eine gemeinsame Zugfahrt für unser Gespräch finden – babybedingt setzen wir uns schließlich in der ÖBB-Lounge des Bahnhofs Meidling zusammen.

Bei der Aufnahme in der ÖBB-Lounge in Wien-Meidling

Fragen, wie sich das Leben als Spitzenpolitikerin mit junger Familie ausgeht, stören Meinl-Reisinger nicht: „Ich kann nachvollziehen, dass es die Leute interessiert“, so die Neos-Chefin: „Es ist eine wahnsinnige Strudelei, manchmal auch Management by chaos, so wie bei vielen Eltern, die sich zwischen Beruf und Familie zerrissen fühlen. Leicht ist da gar nichts, aber das erleben ganz viele tagtäglich.“

In politiknahen Kreisen gilt Meinl-Reisinger als Ausnahmetalent: Die Auseinandersetzung und die Arbeit mit Bürgern macht ihr sichtlich Spaß, egal ob im Parlament, im Wahlkampf auf der Straße oder in der TV-Debatte. Locker wechselt sie zwischen persönlichem Gespräch, harten Fakten und vorbereiteten Slogans („Kunasek hat sich damit gerühmt, das Binnen-I beim Heer abgeschafft zu haben; da hat es die FPÖ immerhin geschafft, das Binnen-I ganz, das Heer nur zur Hälfte abgeschafft zu haben.“)

Politisch sozialisiert worden ist Meinl-Reisinger in der ÖVP: nach ihrem Studium war die Juristin unter anderem Assistentin von Othmar Karas im EU-Parlament, später arbeitete sie im Kabinett der ehemaligen Familien-Staatssekretärin Christine Marek und direkt bei der ÖVP Wien, bevor sie zu Neos wechselte.

Was treibt jemanden, der bisher vor allem im staatlichen bzw. staatsnahen Bereich gearbeitet hat, zu einer liberalen Partei, die das Unternehmertum zelebriert? „Es geht immer um die Freiheit des einzelnen“, sagt Meinl-Reisinger, „Das ist gesellschafts- und wirtschaftspolitisch nachvollziehbar.“

Dass Meinl-Reisinger regieren will, macht sie unmissverständlich klar: „Ich hab nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich finde, die FPÖ ist nicht regierungsfähig“, sagt die 41-Jährige. Und die realistische Alternative dazu oder zu „Stillstand und Postenschacher unter türkis-rot“ sei nun einmal eine Koalition aus ÖVP, Grünen und Neos. „Wir sind bereit Verantwortung zu übernehmen“, sagt sie und kritisiert die Grünen, sich hier nicht eindeutig festgelegt zu haben. Ob sie ein bestimmtes (Regierungs-)Amt im Auge habe, will die Neos-Chefin nicht sagen: „Ich mach ihnen auch die Kanzlerin“, scherzt Meinl-Reisinger, „aber es geht da gar nicht um mich.“

Dass Meinl-Reisinger mit Freude an der Sache ist, merkt, wer sie auf eines ihrer Sachthemen anspricht: Ob Bildung („der Kindergarten muss zur ersten Bildungseinrichtung werden“), CO2-Steuer („Steuern steuern, das ist ein urliberaler Gedanke –und wer nicht verstanden hat, dass man jetzt etwas tun muss, der hat gar nichts verstanden“) oder Pensionen („auch, wenn das unpopulär ist: die Erhöhung ist nicht treffsicher – und unverantwortlich, während gleichzeitig Notstand in Justiz und Bundesheer herrscht“), Programm und Botschaften sitzen.

Wie lange sie in der Politik bleiben will? „Darüber denke ich noch nicht nach“, sagt Meinl-Reisinger, „aber ich weiß, dass ich in mich hineinhören werde – und an meine Familie denken.“