Wenige Tage vor der Wahl steht auch die Frage der Regierungsbildung im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Wie schaut die nächste Regierung aus, wer wird Bundeskanzler, welche Parteien unterstützen die neue Regierung im Parlament? Wie selten zuvor haben sich alle Parteien dazu erklärt, die wahrscheinlich im nächsten Nationalrat vertreten sein werden.

Die ÖVP als wahrscheinlich stärkste Partei ist offen für eine Zusammenarbeit mit allen. Sie hat wahrscheinlich drei Wahlmöglichkeiten. Die SPÖ schließt eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aus – für sie gibt es nur eine Möglichkeit: die Zusammenarbeit mit den Türkisen – und das strebt sie auch offen an. Die Freiheitlichen wollen die Zusammenarbeit mit der ÖVP erneuern und schließen alles andere aus. Die beiden kleineren Parteien stehen für jede mögliche Regierungsbildung zur Verfügung – haben aber auch nur eine wirkliche Wahl: eine Dreierkoalition mit der ÖVP – alles andere geht sich rechnerisch nicht aus. Drei mögliche Regierungen zeichnen sich also ab, alle geführt von der ÖVP – 2 mittelgroße Koalitionen, entweder mit den Sozialdemokraten oder den Freiheitlichen, oder eine kleinere Koalition mit Grün und Pink.

Erinnerungen an die Verhandlungen 2003

Was kommt wahrscheinlich? Das kann heute noch niemand sagen, weder die drei wichtigsten Entscheider (Sebastian Kurz, Pamela Rendi-Wagner, Norbert Hofer) noch die bestunterrichteten Beobachter und Edelfedern der Republik. Ich erinnere mich gut ans Jahr 2003, als Wolfgang Schüssel zuerst eine Regierung mit Alfred Gusenbauer und dann mit Alexander Van der Bellens Grünen anstrebte – und dann musste die zerzauste und vor der Spaltung stehende FPÖ als Notnagel herhalten.

Die Antwort auf die spannende Frage nach der nächsten Regierung ergibt erst ein Verhandlungsvorgang, in dem die Parteiobleute, die Parlamentsklubs und der Bundespräsident zusammenwirken. Mit drei bis vier Monaten ist zu rechnen. Im Ablauf wird die Regierungsbildung nach einem ähnlichen Muster verlaufen wie 2002/2003. Damals wurde im November gewählt, die Regierung stand Ende Februar.

Die Tapetentür in der Hofburg

Kaum ist das vorläufige Wahlergebnis verkündet, beginnt einmal der Bundespräsident mit seiner Arbeit: Er wird mit allen Parteiobleuten hinter der berühmten Tapetentür in der Hofburg die Lage abstecken. Dann wird er wohl, vorsichtig wie immer, dem Obmann der stärksten Partei noch nicht gleich den Auftrag zu einer Regierungsbildung geben. Zuerst gibt es einmal Sondierungen. Er könnte ihm aber auch gleich den Auftrag zur Regierungsbildung geben, das ist seine freie Entscheidung.

Sebastian Kurz, nehmen wir einmal das Vorausgesagte als auch eingetreten an, wird mit allen Obfrauen und Obmännern reden und dem Bundespräsidenten dann das berichten, was ich oben umrissen habe: Alle sind bereit und willig, alle haben Bedingungen, die es erst auszuloten gilt. Der Bundespräsident wird nun den Auftrag zu Verhandlungen erteilen, die beiden Herren werden sich ausmachen, in welcher Reihenfolge verhandelt wird. In dieser zweiten Gesprächsrunde wird ernsthaft gearbeitet, aber noch nicht abgeschlossen – denn es muss mit allen geredet werden.

Die Umrisse des nächsten Regierungsprogramms werden klar. Die ÖVP wird ihre 100 Projekte einbringen, die SPÖ ihr Wahlprogramm, die Schnittmenge beträgt fast 50 Prozent, über die anderen Fragen wird in Arbeitsgruppen verhandelt, am Ende bleiben dann erfahrungsgemäß an die zehn Fragen offen. Darüber müssen die beiden Chefs reden – sich einigen oder nicht. Da werden Fragen der Sozialpolitik (Pensionsreform, Sozialhilfe, Pflege), der Umweltpolitik (ökologische Steuerreform), der Migrationspolitik strittig sein, aber Kompromisse sind erwartbar.

Schwieriger Streitpunkt mit der SPÖ: Gesamtschule

Schwierig wird die Bildungspolitik – vor allem wird die leidige Gesamtschule das Klima verpesten, und die Steuerfrage: Neue Steuern auf Erbschaft und Vermögen; besonders lästig: Schenkungen über Jahre hinweg zusammenrechnen und versteuern? Das wird haarig.

In dieser Runde werden nur einige wenige Fragen offen bleiben, auch die Personalfragen bleiben offen, da gärt es in den Parteien selbst … Zwar wird immer wieder das schlechte Klima zwischen den beiden Parteien, die wechselseitige Abneigung der Funktionäre besprochen, aber diese Fragen sind lösbar – so war das (ungleich giftigere) Klima nach der Ära Schüssel auch positiv gestaltbar gewesen – die größten „Problembären“ wurden aus dem Verkehr genommen. Schwierig bleibt natürlich die Ressortverteilung: Hier steht das Finanzministerium im Mittelpunkt!

Knackpunkt mit der FPÖ: was wird aus Herbert Kickl?

Dann kommen die Gespräche mit den Freiheitlichen. Die Schnittmenge der beiden Programme liegt bei über 80 Prozent! Auch da gibt es strittige Projekte – es sind lösbare Fragen dabei: Direkte Demokratie, Festhalten am Rauchverbot, Umweltsteuern, die Freihandelspolitik, die Bauernförderung – aber die zentrale, vielleicht unlösbare Frage ist eine Personal- und zugleich Inhaltsfrage: Für den Bundespräsidenten und für Sebastian Kurz kommt Herbert Kickl als Innenminister oder in sonstiger Regierungsfunktion (auch der Klubobmann ist kooptiertes Regierungsmitglied und Teil der Regierungskoordination!) nicht infrage, die ÖVP beansprucht das Innenministerium. Dieser Stolperstein bleibt vorerst liegen.

Die Gespräche mit den Grünen und den Neos sind schwieriger. Die Schnittmenge der Arbeitsvorhaben ist gering, die Vorhaben der Neos mit jenen der Grünen auf weiten Strecken unvereinbar, aber auch mit der ÖVP. Beide Parteien sind hoch ideologisiert, haben dazugewonnen, ihre Grundprinzipien in der Sozialpolitik, Flüchtlingspolitik, vor allem aber in der Bildungspolitik sind fast Dogmen! Beide wollen alles ändern, grundsätzlich und schnell, und sind überzeugt, dass nur sie recht haben. Das trifft auch die Reform der gesamten Parteienfinanzierung. In der Wahlauseinandersetzung wurde überdies viel Vertrauen verspielt; ordinäre Anpatzerei und Kriminalisierungen werden schwer zu vergessen sein. Die heiklen Fragen der Zusammenarbeit im Parlament und die Ämterverteilung wird die Liste der unterschiedlichen Meinungen sehr lange machen.

Personalentscheidungen, Richtungsentscheidungen

Über all das wird der vom Bundespräsidenten Beauftragte berichten und dann in der dritten Runde, im Dezember, mit den harten Verhandlungen beginnen. Mit wem zuerst, den Sozialdemokraten oder Freiheitlichen, wird davon abhängen, wie der Bundespräsident und sein Kanzlerkandidat die Erfolgschancen beurteilen. Inzwischen müssen nämlich in allen möglichen Regierungsparteien jene Veränderungen vorbereitet werden, die die Kompromissfindungerleichtern könnten: teils öffentlich (Personalentscheidungen), teils in vertraulichen Gesprächen. Das trifft alle Parteien, auch den Wahlsieger!

Die FPÖ hat es schwerer – ihr Stolperstein kann nur öffentlich aus dem Weg geräumt werden. Aber auch die SPÖ muss endlich entscheiden, ob sie einen Kurs der Mitte oder einen Linkskurs fährt – Prüfsteine Steuern, Schule, Migranten. Wie das ausgeht, weiß heute niemand. Auch die ÖVP wird vielleicht Wasser in ihren Wein der Politik der rechten Mitte gießen müssen … Am Ende könnte es mit beiden größeren Parteien nicht klappen und die schwierige Zusammenarbeit mit den beiden Kleineren muss möglich gemacht werden … Wie also die Regierungsbildung ausgeht – alles ist offen, es bleibt spannend!