Nach 25 Jahren bei der Caritas und 14 Jahren als Chef der Auslandshilfe verlassen Sie die größte Hilfsorganisation Österreichs. Wo steht die Welt im Vergleich zu damals?

CHRISTOPH SCHWEIFER: Bei allem Elend, das es noch immer gibt, und allen Problemen, die weiterhin existieren, waren die vergangenen 25 Jahre eine Erfolgsgeschichte. Anfang der 90er-Jahre hatten wir noch 1,2 Milliarden hungernde Menschen weltweit, heute sind es 820 Millionen. Natürlich ist das viel zu viel. Aber die Zahl hat sich substanziell verringert, obwohl das Bevölkerungswachstum in den am meisten betroffenen Ländern hoch ist. Auch sind noch nie so viele Kinder in die Schule gegangen, in absoluten und auch prozentualen Zahlen. Die Kindersterblichkeit hat sich ebenfalls deutlich reduziert.

Das sind viele Erfolge.

SCHWEIFER: Das gibt Mut. Viele haben ja das Gefühl, alles wird schlechter. Das stimmt nicht. Vieles wird besser – auch dank der Entwicklungszusammenarbeit. Es ist allerdings beunruhigend, dass in den vergangenen zwei Jahren die Zahl der hungernden Menschen erstmals seit Jahren wieder angestiegen ist. Das hat viel mit der Klimakrise zu tun.

Schweife mit Caritas-Präsident Michael Landau
Schweife mit Caritas-Präsident Michael Landau © (c) APA/HELMUT FOHRINGER

Also neue Herausforderungen?

SCHWEIFER: Bei meinen ersten Reisen in die Krisenländer des Südens war vom Klimawandel noch keine Rede. Mittlerweile ist das auf allen Kontinenten ein elementarer Aspekt. In Nepal haben mir Kleinbauern erzählt, dass ihre bisherige Anbauweise nicht mehr funktioniert, weil sich die Regenzeiten verschieben und unbeständig sind. Und in Nordkenia erzählen mit alte Menschen, dass es früher einmal in einer Generation eine große Dürre gegeben habe. Heute erleben wir alle fünf bis sechs Jahre riesige Dürren. Die Auswirkungen des Klimawandels sind weltweit zu spüren und für die Kleinbauern ist die Klimakrise eine tödliche Bedrohung.

Hat sich die Arbeit verändert, weil man etwa aus Erfahrungen gelernt hat und Situationen anders bewertet als vor 25 Jahren?

SCHWEIFER: Es hat sich sehr viel geändert. Es gibt in nahezu allen Ländern einheimische Expertinnen und Experten. Menschen für eine Expertise aus Europa einfliegen zu lassen, ist heute die absolute Ausnahme. Das Bildungsniveau ist weltweit substanziell gestiegen. Das bringt viel für die Entwicklungszusammenarbeit. Es ist heute eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe – ein Austausch von Experte zu Experte. Vor 25 Jahren haben wir noch gesagt, wir müssen beispielhaft helfen. Aus guten Projekten werden andere lernen und dann wird sich daraus etwas entwickeln. Das hat sich geändert.

Was war der Antrieb?

SCHWEIFER: 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 mit ihren nachhaltigen Entwicklungszielen beschlossen. Diese Ziele besagen, dass es nach 2030 keinen Hunger mehr geben soll. Alle Kinder sollen in gute Schulen gehen. Das sind sehr anspruchsvolle Ziele, die wir aber erreichen können. Wenn es darum geht, Projekte für die Entwicklungszusammenarbeit aufzusetzen, geht es darum, Situationen im großen Stil und nachhaltig zu verändern. Das ist ein umfassenderer Arbeitsansatz.

Wie funktioniert das praktisch?

SCHWEIFER: Wir arbeiten mit anderen Caritas-Organisationen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Es werden aber auch lokale Verwaltungen und die Wissenschaft in die Programme eingebunden.

Wo steht die Caritas Österreich im internationalen Vergleich?

SCHWEIFER: Als Vertreter der österreichischen Caritas habe ich den Eindruck gewonnen, dass Österreich insgesamt einen sehr guten Ruf genießt. Das hat historische Gründe, liegt an der hohen Qualität der Arbeit und am Engagement in der UNO. Es hängt auch mit dem Auftreten der Hilfsorganisationen zusammen. Da gibt es hohe Anerkennung für unsere Arbeit. Ein Vorteil war immer, dass Österreich keine imperialen Interessen hat – auch im historischen Kontext. Wir haben keine Kolonialgeschichte. Wenn wir da sind, dann nur, weil wir ehrliche Makler für das Interesse der Menschen vor Ort sind. Das wird so anerkannt. Wer besser oder schlechter ist, lässt sich schwer sagen. Es braucht die Kooperation aller Beteiligter und die geht über Grenzen hinaus.

Eine Kritik an Regierungen in Wien war stets, dass der Anteil der Entwicklungshilfe am Budget zu niedrig sei. Nun hat Ex-Kanzler Kurz betont, dass das wirksamste Mittel gegen die Migrationskrise die Hilfe in Ursprungsländern ist. Das Budget wurde aber nicht höher. War das früher besser?

SCHWEIFER: Das war schon immer problematisch, egal wie die Regierung zusammengesetzt war. Es ist nie gelungen – dies ist vielleicht ein Resümee der 25 Jahre –, eine Bundesregierung davon zu überzeugen, dass es auch im österreichischen Interesse ist, wenn es über mehr Engagement in Afrika und Asien auch mehr Sicherheit und Stabilität in der Welt gibt. Finanzierung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist auch ein Investment in die Stabilität auch unseres Kontinents.

Spüren Sie nach 25 Jahren einen Wandel im Bewusstsein?

SCHWEIFER: Ausgelöst durch die Migrationsbewegungen und die Klimakrise entwickeln die Menschen in Österreich ein Gefühl dafür, dass wir voneinander abhängig sind und dass es Auswirkungen hat, wenn es Menschen anderswo schlecht geht. Dieses Bewusstsein ist substanziell gestiegen, hat sich aber noch nicht in Regierungshandeln niedergeschlagen.