Prioritäten einer Partei im Wahlkampf: Als die Freiheitlichen am Montagvormittag ihre Kandidatenliste für die Nationalratswahl bei der Bundeswahlbehörde einreichen, lachen die beiden Spitzen der Partei, Norbert Hofer und Herbert Kickl, selbstbewusst in die Kameras.

Als es am späten Nachmittag um die Geschichte der Partei, um die Ergebnisse der seit langem angekündigten Historikerkommission geht, fehlt derartige Prominenz: Gerade einmal Christian Hafenecker, einer der beiden Parteisekretäre, stellt sich vor die Kameras und Mikrofone.

Gemeinsam mit Wilhelm Brauneder, ehemals Dritter Nationalratspräsident und Professor für Rechtsgeschichte an der Universität Wien, und Andreas Mölzer, langjähriger Abgeordneter und Parteiideologe, veröffentlicht Hafenecker aber nicht den rund 1.100 Seiten starken Rohbericht der Kommission – sondern nur eine gerade einmal 24-seitige Kurzfassung des unfertigen Berichts, ein Inhalts- und Autorenverzeichnis.

Polit-Experte sieht "parteipolitischen Spin"

Der Polit-Berater Thomas Hofer bewertet den Rohbericht der Historikerkommission als "Pflichtübung", "getrieben vom Marketinggedanken". Die Zusammenfassung weise teils einen "parteipolitischen Spin" auf, etwa wenn von "aufgeblasenen" Einzelfällen gesprochen wird. "Das ist nicht etwas, das man sich von einer Historikerkommission erwarten würde."

"Man konzediert in manchen Bereichen des vorläufigen Berichtes das allzu Offensichtliche", sagte Hofer im Gespräch mit der APA. So räume der Bericht etwa ein, dass im Vergleich mit SPÖ und ÖVP viele FPÖ-Parteimitglieder zuvor in führenden Funktionen bei der NSDAP tätig waren, "versieht das aber mit einem parteipolitischen Spin": Im Resümee der Zusammenfassung wird etwa darauf hingewiesen, dass die Aufnahme von "Ehemaligen" zur Integration dieser in das politische System sowie in die Zivilgesellschaft der Zweiten Republik beigetragen habe.

"Vergebene Chance"

Auch die Historikerin und Expertin für Erinnerungskultur Heidemarie Uhl ortet beim vorläufigen Rohbericht der FPÖ-Historikerkommission handwerkliche Mängel. Im APA-Gespräch kritisierte sie etwa die schon im Vorfeld fehlende Transparenz, wurde doch die vollständige Autoren-Liste erst am Montag bei der Präsentation genannt. Sie hätte sich erwartet, "dass die FPÖ diese Chance besser nutzt", sagte sie.

Uhl, die u.a. an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig ist, betonte im Gespräch mit der APA, dass man den gesamten Rohbericht wie auch die Endfassung noch nicht kenne - schließlich wurde am Montag nur eine 32-seitige Kurz-Zusammenfassung des noch nicht veröffentlichten Rohberichtes an die Journalisten verteilt. Die vorgelegte Zusammenfassung lasse aber darauf schließen, dass wissenschaftliche Standards nicht eingehalten wurden. Sie kenne keinen einzigen Historikerbericht, "wo nicht von Beginn an feststand, wer daran beteiligt ist, und welche Institute". Auch stelle sich angesichts der am Bericht beteiligten FPÖ-"Referenzgruppe" die Frage nach der Unabhängigkeit der beteiligten Wissenschaftler. Denn es sei nirgends dargelegt, welche Rolle die Referenzgruppe spielte.

"Fertig redigiert"

Den ganzen Bericht, an dem 16 Historiker nun 16 Monate lang gearbeitet haben, wolle man veröffentlichen, wenn er „fertig redigiert“ ist – was noch eine Weile dauern werde: bis zur Wahl dürfe man wohl nicht mehr damit rechnen, heißt es aus der Partei, unter anderem sollten noch israelische Forscher die Kapitel über Antisemitismus und die Haltung der FPÖ zu Restitution prüfen.

„Man wirft uns immer vor, nicht wissenschaftlich zu arbeiten“, sagt Hafenecker, also nehme man sich nun die Zeit, zu prüfen, „Erkenntnisse in entsprechende Form zu bringen, und dann zu präsentieren.“
Was dabei herauskommt, nimmt Brauneder aber schon vorweg: „Die FPÖ ist eine Partei wie nahezu jede andere“. Und was dabei nicht herauskommt – Mölzer, deftig: „Dass Heinrich Himmler aus dem Grab heraus die FPÖ gegründet hat“.

SPÖ sieht "peinlichen Eiertanz"

Die SPÖ hat die Veröffentlichung eines Teilberichts der FPÖ-Historikerkommission als "peinlichen Eiertanz" bezeichnet. Der Bericht sei von den Freiheitlichen "nahestehenden Personen ohne Anbindung an eine Universität verfasst" worden, lautete etwa die Kritik der SPÖ-Abgeordneten Sabine Schatz.

Die FPÖ habe nichts aus ihrer Vergangenheit gelernt, wie "64 rechtsextreme, antisemitische und rassistische Vorfälle in den vergangenen 17 Monaten im Umfeld der FPÖ und ihre Inserate-Politik für rechte Medien" zeigten, argumentierte Schatz in einer Aussendung am Montagabend. Die Partei betreibe mit dem Bericht lediglich "Imagekosmetik", so Schatz. Schließlich habe sie "mehr Burschenschafter als Frauen ins Parlament geholt".

Kurzfassung

Was die Kurzfassung für den Gesamtbericht verspricht, geht dann aber doch noch detaillierter in die Geschichte der Freiheitlichen und ihres Vorläufers, des „Verbands der Unabhängigen“ (VdU) ein: „Die personellen Berührungspunkte (mit der NSDAP) waren mit Sicherheit größer als bei den anderen Parteien“, heißt es da, und in Teilen der Programme sowie in Redebeiträgen seien „durch teilweise an NS-Terminologie angelehnte Wortwahl immer wieder Signale an ehemalige Nationalsozialisten als potenziellen Wähler gesendet worden“.

ÖVP: FPÖ braucht Gegenwartskommission

Die ÖVP sieht die FPÖ nach Präsentation des Historikerberichtes nicht nur gefordert, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern auch die Gegenwart: "Es geht nicht nur darum, die Geschichte aufzuarbeiten, sondern auch und vor allem darum, aus der Geschichte zu lernen", sagte ÖVP-Abgeordneter Martin Engelberg am Dienstag. Die FPÖ benötige "eine Gegenwartskommission, keine Vergangenheitskommission".

"Heute genauso wie praktisch jede Woche" zeige die FPÖ eine "unzulängliche Abgrenzung zu Rechtsextremen und Identitären" und nehme Positionen ein, "die eine höchst mangelnde Sensibilität im Umgang mit der NS-Zeit und Antisemitismus zeigen", kritisierte Engelberg in einer Aussendung. Als aktuelles Beispiel führte er FPÖ-Abgeordneten Martin Graf an, "der Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia ist und mit seiner Teilnahme an einer Sitzung des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus provoziert - wohlwissend, dass ihm bereits einmal die Berufung in dieses Komitee verwehrt wurde, das über die Zuerkennung von Leistungen an NS-Opfer entscheidet".

"Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik"

Fazit: Die FPÖ sei keine direkte Nachfolgerin der Nationalsozialisten – aber Nazis fanden den Weg in ihre Führungsgremien. Dadurch seien diese aber nach dem Krieg in die demokratische Gesellschaft geführt worden, „daher sollte die Geschichte der FPÖ (...) als wichtiger Beitrag zur Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik gewürdigt werden“.

Der Großteil des – wie gesagt vorerst unveröffentlichten – Rohberichts wird sich auch um den Übergang von der NSDAP zum VdU zur FPÖ drehen – welche Personen wo Funktionen innehatten, wie sich politische Positionen fortsetzen oder änderten. Brauneder und sein Team haben dazu unter anderem Parteiarchive, das DÖW und deutsche Akten sowie Parlamentsprotokolle durchforstet, in einem Gastbeitrag beleuchtet Historiker Stefan Karner das Dritte Lager aus Sicht der Sowjetunion, auch der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz zeichnet die Geschichte des VdU nach.

Weitere, von der aktuellen Politik – etwa dem Auslöser der Kommission, der „Liederbuchaffäre“ – getriebene Kapitel befassen sich mit „Liedgut des Farbstudententums“, der Position von Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache zu Israel oder einer von Hafenecker selbst verfassten Sammlung an Vorwürfen gegen die Freiheitlichen – und deren Reaktionen darauf.