Überlang ist die Liste der Journalisten, die in die Politik gegangen sind - in der Annahme, ein bekanntes Gesicht würde der Partei den einen oder anderen Prozentpunkt bringen. Helmut Zilk wurde ein erfolgreicher Bürgermeister, Ursula Stenzel führte die ÖVP bei der EU-Wahl auf Platz eins, Hans-Peter Martin versetzte die etablierten Parteien in Angst und Schrecken. Es gibt aber auch die Gegenbeispiele. Wolfram Pirchner scheiterte im Mai kläglich bei den Vorzugsstimmen, Eugen Freund verschwand bald von der Bildfläche, Josef Broukal zog in einem Buch eine ernüchternde Bilanz über das parlamentarische Getriebe.

Alles deutet daraufhin, dass Ex-„Kurier“-Chefredakteur Helmut Brandstätter bei den Neos andockt, auch wenn Brandstätter erklärte, die endgültige Entscheidung würden die Neos und er erst am Donnerstag fällen. Am Mittwoch stellt der 64-jährige Wiener seine gnadenlose Abrechnung mit Kurz und Kickl in Buchform vor - ein bibliophil höchst ungewöhnliches Datum, werden für gewöhnlich Neuerscheinungen nicht im Hochsommer, sondern im Herbst oder im Frühjahr präsentiert.

Bei der Pressekonferenz zog er Bilanz über die Art von Druck, die die türkis-blaue Regierung auf Medien wie den "Kurier" ausgeübt hat. Sein Resumee: "Politische Systeme, die wissen, dass sie keine Lösungen haben, müssen Angst erzeugen", um die Bevölkerung von sich zu überzeugen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Türkis-blau sei eine Paarung gewesen zwischen einer FPÖ mit starkem ideologischem Hintergrund und einem Plan für starke Veränderungen sowie einer ÖVP ohne große gesellschaftliche Vorstellungen, die sich quasi fahrlässig auf diesen Plan eingelassen habe.

Brandstätter: "Missbrauch von staatlichen Institutionen hat auch früher stattgefunden, aber den Versuch, die Gesellschaft zu spalten, habe ich von damals nicht so in Erinnerung, jetzt habe das ständig gespürt."

Nach Informationen der Kleinen Zeitung wird sich der erweiterte Vorstand der Neos noch am selben Tag, am Mittwoch, mit der Brandstätter-Kandidatur befassen. Das 27-köpfige Gremium muss einen Personalvorschlag für die am Samstag in Salzburg stattfindende Mitgliederversammlung ausformulieren, wo Brandstätter mit einfacher Mehrheit bestätigt werden muss. Der Ex-Kurier-Chefredakteur soll ganz vorn auf der pinken Liste, womöglich auf Platz zwei hinter Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, bei der Wahl am 29. September antreten.

Wirbel beim Kurier

In gewöhnlich gut informierten Kreisen war zuvor zu vernehmen, dass Brandstätter, der im letzten Jahr als Chefredakteur gehen musste, zuletzt Verhandlungen mit dem „Kurier“ über die Auflösung seines - bestens dotierten - Vertrags als Herausgeber führte. Der Vertrag endet erst im nächsten Jahr, mit einem Wechsel in die Politik ist ein Verbleib als Herausgeber kaum vereinbar - außer im Imperium von Silvio Berlusconi.

Das Hin und Her über ein mögliches Antreten sorgte in den letzten Tagen innerhalb der Kurier-Redaktion für Unmut. Brandstätter ist zwar nur noch Herausgeber, darf aber dreimal die Woche eine Kolumne beziehungsweise einen Kommentar in der Zeitung verfassen. Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon zog am Montag die Notbremse und verhängte ein Schreibverbot, bis Klarheit herrscht.

Am Dienstag gab der Kurier bekannt, dass sich Brandstätter vom Kurier trennt. "Ich selbst werde am Donnerstag bekannt geben, ob ich in der Welt der Medien bleibe oder in die Politik wechsle", erklärte Brandstätter.

Griss war nie Neos-Mitglied

Brandstätter wäre nicht der erste Quereinsteiger bei den Neos. 2017 schmiedete die Bewegung eine Allianz mit Irmgard Griss, die die große Entdeckung der Hofburg-Wahl war. Griss wurde im Vorfeld der letzten Nationalratswahl auch von Kurz umworben, entschied sich anders. Griss, die nicht wieder kandidiert, trat nie den Neos bei.