Sie sollten in Straßburg sein, nicht in der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung. Haben Sie ein schlechtes Gewissen?

WERNER KOGLER: Ich habe kein schlechtes Gewissen. Es war eine schwierige Entscheidung, das EU-Mandat nicht anzunehmen. Wir haben die Basis informell befragt, 95 Prozent wollten das so.


Halten Sie sich für unersetzbar?
WERNER KOGLER: Natürlich bin ich ersetzbar. Wir haben einige sehr gute Leute, nur besitzen sie noch nicht den Bekanntheitsgrad.


Warum legen die Grünen so zu? Ist es nur die Klimafrage?
WERNER KOGLER: Natürlich hat sich die Themenlage zu unseren Gunsten verändert. Andere Themen, die künstlich herbeihysterisiert wurden, gehen zurück. In vielen EU-Ländern geht es mit den Grünen aufwärts, aber eine so starke Wende gibt es nur hier.


Früher haben die deutschen Grünen nach Österreich geschaut, jetzt ist es umgekehrt. Was kann man von den Deutschen lernen?
WERNER KOGLER: Wir sind aus eigenem Verschulden hingefallen, aber schnell wieder aufgestanden. Wir haben uns von den bayrischen Freunden was abgeschaut. Trotz der Schwere der Themen – es geht um Leben und das Überleben des Planeten – haben die bayrischen Grünen eine Leichtigkeit, eine Frische, eine Fröhlichkeit an den Tag gelegt.


War man früher zu verbissen, mit dem erhobenen Zeigefinger unterwegs, eine Verbotspartei?
WERNER KOGLER: Das ist eine Zuschreibung der anderen. Bei Türkis-Blau stand ein Verbot nach dem anderen auf der Tagesordnung. Man kann nicht alles über Preise oder moralische Zurufe regeln, manches muss reguliert werden. Es wird auf die Dauer nicht gehen, dass die Bahn dreimal so teuer ist wie das Fliegen. Es ist gut, dass man mehr mit der Bahn fährt. Ich versuche das oft, aber es gelingt nicht immer. Ich verlange das übrigens von niemandem – nix Zeigefinger und Moral. Die Politik ist verantwortlich, dass die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Ich verlange nur, dass Airlines ebenso Steuern zahlen wie der Autofahrer.


Bei der Kerosinsteuer wäre ein nationaler Alleingang absurd?
WERNER KOGLER: Man könnte bei den Inlandsflügen beginnen. Richtig ist, dass es auf europäischer Ebene wirkungsvoller ist. Von Kurz und Köstinger habe ich dazu nie was auf europäischer Ebene gehört. Wir sind ohnehin die Letzten beim Klimaschutz. Ich habe demnächst einen Termin bei der Kanzlerin. Wir müssen bis Jahresende was tun. Das sagen nicht nur wir, sondern die Klimawissenschaftler oder das Umweltbundesamt.


Welche drei Maßnahmen fordern Sie konkret?
WERNER KOGLER: Man muss die Steuerprivilegien für Flugbenzin sowie für Diesel beseitigen. Die Lkw fahren extra über Österreich, weil das Tanken so billig ist. Ab 2025/2030 sollten in Österreich nur noch abgasfreie Autos zugelassen werden, die anderen können ohnehin bis 2050 fahren. Wir sind in guter Gesellschaft mit Deutschland und Frankreich. Wenn Sie mit dem VW-Chef reden, wissen Sie, dass das keine Utopie ist. Die technologische Wende ist eine Chance für die Wirtschaft.


Kurz setzt auf Wasserstoff.
WERNER KOGLER: Das ist ein langfristiges Projekt, aber weniger für den Individualverkehr, sondern für Lkws und große Busse. Die Technologie braucht noch länger. Die Voest forscht ja, wie man in zehn bis 20 Jahren Stahl ohne CO2 produzieren kann. Da ist Wasserstoff sehr sinnvoll. Ich weiß nicht, ob sich Kurz je ernsthaft damit beschäftigt hat oder ob ihm nur Lobbyisten da was zugeflüstert haben.


Wie steht es um die soziale Verträglichkeit des Klimaschutzes – Stichwort Gelbwesten? Wer sich nur bio ernährt, statt zum Diskonter zu gehen, muss tiefer in die Tasche greifen.
WERNER KOGLER: Mir hat Macron in der Kampagne sehr imponiert, in der Amtsführung war er sehr überheblich. Ich halte nichts davon, wenn jemand „CO2-Steuer“ schreit. Ich verwende nicht einmal den Begriff.


Was verwenden Sie?
WERNER KOGLER: Ich bevorzuge den Begriff, den auch die alte ÖVP verwendet hat: Ich will eine ökologisch-soziale Steuerreform. Der Begriff ist fader, aber zutreffender. Umweltschädliche Vorgänge müssen teurer werden, dadurch werden natürlich auch die Produkte teurer – ich verkaufe niemanden für blöd. Wir haben das öfters durchgerechnet. Wenn etwa acht Milliarden Klimaschutzabgaben eingehoben werden, werden vier Milliarden an die Wirtschaft (über die Senkung der Lohnnebenkosten) und vier Milliarden an den Konsumenten rückverteilt. Der Konsument bekommt es als Absetzbetrag über die Lohn- und Einkommenssteuer oder als Transfer in Form eines Klimabonus zurück. Der Klimabonus würde pro Jahr 500 Euro ausmachen, davon profitieren die unteren Einkommen mehr als die oberen.


Was würde bei Ihrem Modell teurer werden?
WERNER KOGLER: Die Flugreisen werden mit Sicherheit teurer. Mir geht es um das gute alte Prinzip der Kostenwahrheit. Die Bio-Produkte aus der Region werden tendenziell billiger. Wichtig ist, dass wir nicht nur über Abgaben reden, sondern auch über die Entlastung. Um das Vorhaben politisch durchsetzen zu können, brauchen wir von der ersten Minuten an den Ausgleich, sonst machen wir den selben Fehler wie Macron. In Summe werden weder Steuer noch Abgaben erhöht, alles ist aufkommensneutral. So wird die große Predigt lauten: Wir steuern um. Einstieg von CO-2- ins Solarzeitalter. Die acht Milliarden entsprechen dem Volumen der türkis-blauen Steuerreform. Fürchtet euch nicht!


Das können Sie nur in der Regierung umsetzen, also mit Herrn Kurz als Kanzler?
WERNER KOGLER: Ob in einer Regierungskonstellation was weitergeht, werden die Sondierungsgespräche zeigen. Die Grünen haben schon viel in den Land verändert, obwohl sie im Bund noch nie in der Regierung saßen.


Können Sie sich Gespräche vorstellen?
WERNER KOGLER: Wir werden nicht die Flucht antreten, wenn man uns zu Sondierungen einlädt.


Was sind die Koalitionsbedingungen?
WERNER KOGLER: Das sind keine Bedingungen, sondern Voraussetzungen für Gespräche. Kurz und Köstinger haben beim Klimaschutz bisher nur heiße Luft produziert. Bei der Besteuerung von Konzernen muss man sich schon was trauen, da ist Luft nach oben. Wichtig ist auch die Beendigung dieser unsäglichen Abschiebepraxis bei Lehrlingen. Da ist insbesondere die Wirtschaft dahinter. Wenn sich da nichts ändert, braucht man gar nicht weiterreden. Da sind noch weite Strecken zurückzulegen. Ich war daran beteiligt, dass die Grünen 2003 mit Schüssel verhandelt haben. Als wir gesehen habe, da geht nichts weiter, sind wir aufgestanden.


Beide Parteien, ÖVP und Grüne, müssten sich bewegen?
WERNER KOGLER: Natürlich. Wichtig ist die Botschaft: Man darf mit uns rechnen, wir kandidieren und schlagen nicht die Türe zu. Man darf nicht ewig nachtragend sein, denn es geht um die Zukunft. Derzeit fehlt mir die Fantasie, wie sich das ausgeht. Auch in der EU-Frage muss sich die ÖVP bewegen. Unter Türkis-Blau war Österreich Orban näher als Merkel.


Halten Sie Kurz für lernfähig?
WERNER KOGLER: Ja, denn ich halte ihn für ideologiebefreit.


Das ist dann eine Chance?
WERNER KOGLER: Es eröffnet mehr Möglichkeiten, als wenn du einen politisch überzeugten Menschen vor dir hast. Kurz hat im Wesentlichen blaue Politik gemacht. Es ist eine türkise Jungschnöseltruppe am Werk, der es mehr um dem Machterhalt als um Ideologie geht. Wenn die Blauen den Kurs bestimmt hat, wer sagt, dass es die SPÖ oder die Grünen nicht auch können? Mir ist alles lieber als eine blaue Politik.


Was wären Ihnen lieber? Eine Zweierkoalition mit der ÖVP oder ein Dreier mit ÖVP und Neos?
WERNER KOGLER: Das ist alles noch so weit weg. Ich gebe nur zu bedenken, wie schwierig die Dreierverhandlungen in Deutschland waren.


Also lieber Schwarz-Grün oder Türkis-Grün?
WERNER KOGLER: Wenn Türkis das ist, was es jetzt ist, wird es kein Türkis-Grün geben. Sollte so etwas möglich sein, würde ich vorschlagen, dass sich die ÖVP eine neue Farbe aussucht.