Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein schlägt den derzeitigen österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP), derzeit zuständig für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, für eine weitere Amtszeit vor. Der ehemalige Wissenschaftsminister ist bereits seit 2010 EU-Kommissar.

In einer am Donnerstag an die Medien übermittelten Stellungnahme schreibt Bierlein: "Im Lichte der bisherigen Gespräche mit den im Nationalrat vertretenen Parteien beabsichtige ich, der Bundesregierung vorzuschlagen, vorbehaltlich des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss des Nationalrates, den bisherigen Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, Bundesminister a.D. Dr. Johannes HAHN, als österreichisches Mitglied der Europäischen Kommission zu nominieren."

Die Nominierung muss nun im Hauptausschuss des Nationalrats diskutiert werden; Sowohl die ehemaligen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ als auch die Liste Jetzt kündigten an, den früheren Wiener ÖVP-Obmann zu unterstützen.

Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner erklärte ihre Zustimmung, allerdings unter Vorbehalten. Sie forderte Hahn auf, sich dazu zu bekennen, eine ganze Periode im Amt zu bleiben, da es nur so Chancen gebe, dass Österreich ein wichtiges Ressort erhält. Und lieber wäre es der SPÖ-Chefin gewesen, hätte die Regierung eine Frau nominiert. Der SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Andreas Schieder, forderte Bierlein auf, auch einen Vorschlag mit einer weiblichen Kandidatin zu unterbreiten.

NEOS-EU-Parlamentarierin Claudia Gamon hätte sich gewünscht, dass auch eine Kandidatin ins Rennen geschickt werde: „Von unserer ersten Bundeskanzlerin hätte ich mir dahingehend mehr erhofft.“ Zudem betont Gamon die aus ihrer Sicht bestehende Notwendigkeit eines öffentlichen Hearings: „Die Abgeordneten müssen die Chance bekommen, Fragen zu stellen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.“

Verlässlichkeit

Hahn sei ein sehr erfahrenes Kommissionsmitglied und in Europa bestens vernetzt und über die Parteigrenzen hinweg angesehen, argumentierte ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Mit ihm werde Österreichs Verlässlichkeit und Kontinuität in der EU Kommission fortgesetzt.

Auch die FPÖ wird der Nominierung zustimmen. Er habe mit Kanzlerin mit Bierlein schon darüber gesprochen, sagte FPÖ-Chef Norbert Hofer zur APA: "Es ist eine kluge Entscheidung, in der jetzigen Situation einen erfahrenen Kommissar zu nominieren, der in der Kommission das nötige Gewicht einbringt."

Bessere Kandidaten hätte sich der geschäftsführende Klubobmann der Liste Jetzt, Wolfgang Zinggl vorstellen können. Er verstehe aber, dass es schwierig sei, in der aktuellen politischen Situation Mehrheiten zu bilden. Nachdem Hahn in den letzten Jahren als Kommissar eine gute Arbeit geleistet und auch im Interesse Österreichs agiert habe, "werden wir ihn als Kompromisskandidaten natürlich unterstützen."

Als erster Gratulant beglückwünschte Hahn Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), der Hahn gerade in Brüssel besuchte:

Name bei Gespräch mit Von der Leyen kein Thema

Während Bierlein heute mit Ursula Von der Leyen, wahrscheinlich Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission, telefoniert hat, war die Personalie Hahns kein Teil des Gesprächs. "Es war ein Kennenlerngespräch anlässlich der Kandidatur Von der Leyens. Die Bundeskanzlerin hat ihr viel Glück für die Wahl kommende Woche gewünscht", sagt ein Sprecher Bierleins zu der Kleinen Zeitung. Die Entscheidung für Hahn habe damit nichts zu tun gehabt.

Das EU-Parlament wird am Dienstagabend über Von der Leyen als Kommissionschefin abstimmen.

"Gio" kam über die Junge Volkspartei

Geboren wurde Johannes Hahn am 2. Dezember 1957 in Wien. Nach seiner Matura im Jahr 1976 begann er zunächst ein Jusstudium, schwenkte dann jedoch um auf Philosophie. Der Titel seiner 1987 an der Uni Wien eingereichten Dissertation: "Perspektiven der Philosophie heute - dargestellt am Phänomen Stadt". 30 Jahre später sollte ihm dieses Werk eine schwere Amtskrise bescheren, warf der "Plagiatjäger" Stefan Weber dem damaligen Wissenschaftsminister doch vor, in seiner Dissertation "absolut schlampig gearbeitet" und "seitenweise abgeschrieben" zu haben. Nach einer Prüfung verzichtete die Universität Wien aber auf die Einleitung eines Plagiatprüfungsverfahrens, weil Hahn nie fremdes geistiges Eigentum als sein eigenes ausgegeben habe.

Ungeachtet des philosophischen Hintergrunds startete Hahn seine politische Laufbahn bereits in den 1970er-Jahren und fungierte zwischen 1980 und 1985 als Landesobmann der Jungen ÖVP Wien. 1992 stieg Hahn samt Spitznamen "Gio" zum Landesgeschäftsführer der Partei auf und blieb in dieser Funktion bis 1997. Ein Jahr zuvor war er ins Wiener Stadtparlament eingezogen.

EU-Kommissar Johannes EU-Kommissar Johannes Hahn mit seiner Frau, der ehemaligen Vizekanzlerin Susanne Riess.
EU-Kommissar Johannes EU-Kommissar Johannes Hahn mit seiner Frau, der ehemaligen Vizekanzlerin Susanne Riess. © (c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)

Karriere bei Novomativ und Schüssel

1997 wechselte Hahn in die Privatwirtschaft und wurde Vorstand des niederösterreichischen Glücksspielkonzerns Novomatic AG. 2003 wurde er schließlich Vorstandsvorsitzender der Novomatic AG sowie Aufsichtsratsvorsitzender von deren Tochterunternehmen Admiral Sportwetten GmbH. 2003 übernahm er dann für die ÖVP den nicht amtsführenden Stadtrat. Mit der Angelobung auf diese Funktion verabschiedete er sich von Novomatic.

Dafür ging es auf der politischen Karriereleiter weiter, löste Hahn 2005 doch Alfred Finz an der Spitze der Wiener ÖVP ab. Als Spitzenkandidat bei der Gemeinderatswahl im gleichen Jahr eroberte er für seine Partei den zweiten Platz von der FPÖ zurück, blieb aber bestenfalls auf Rufweite zur SPÖ. Für den Ruf nach Brüssel trat Hahn 2009 dann die Landesparteiführung an Christine Marek ab.

Zuvor war Hahn aber noch in die Bundesregierung gewechselt. Als Minister musste er sich 2007 gleich nach seinem Amtsantritt als Krisenfeuerwehr betätigen und die Quotenregelung für das Medizinstudium auf EU-Ebene verteidigen. Im Uni-Bereich wurden gegen seinen Widerstand die Studiengebühren von SPÖ, Grünen und FPÖ de facto abgeschafft, was zu einem Ansturm auf die Unis führte. Zugleich war der dem liberalen ÖVP-Flügel zugerechnete Hahn gesuchter Gesprächspartner bei diversen Bildungsreformen.

Für die EU-Kommission Barroso II zog es den einstigen Regionalpolitiker Hahn dann in die Regionalpolitik - auf europäischer Ebene. Anders als sein österreichischer Kommissionsvorgänger Franz Fischler blieb Hahn hierbei zurückhaltend und mischte sich nur selten in heimische Debatten ein. Nach kurzem Zögern nominierte die Regierung von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) Hahn erneut als österreichischen Kommissar.

Schwerpunkt Westbalkan

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker teilte dem Wiener 2014 die Bereiche Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen zu. Gemeinsam mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini leitete Hahn eine umfassende Reform der EU-Nachbarschaftspolitik in die Wege.

In der kommenden Amtsperiode der EU-Kommission könnten die Beitrittsverhandlungen mit mehreren Ländern des Westbalkan beginnen. Da sich Österreich in der Vergangenheit diesbezüglich immer sehr stark eingebracht hat, war in den vergangenen Tagen schon spekuliert worden, dass Österreich das Dossier für Nachbarschaftspolitik behalten könnte.

Dass mit Hahn, der sich zweifelsohne in der Materie auskennt, nun von der Bundesregierung nominiert wurde, ist also keine wirkliche Überraschung. Noch muss allerdings das EU-Parlament die von den Staats- und Regierungschefs als Kommissionspräsidentin vorgeschlagen deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bestätigen. Erst danach wird von der Leyen, sollte sie gewählt werden, die Mitglieder ihrer Kommission auswählen. Einen Vorschlag aus Österreich hat sie nun immerhin.