Wenn es Tag ist, scheint die 2000-Seelen-Gemeinde Weikendorf in Niederösterreich zu schlafen. Die Fenster der gepflegten, bunt gestrichenen Häuschen, die von perfekt getrimmten Grünflächen umarmt werden, verbergen sich hinter schweren Rollläden. Sie werden erst am Abend hochgezogen, wenn die Pendler aus der per S-Bahn in 25 Minuten zu erreichenden Hauptstadt Wien oder den umliegenden Ortschaften zurückkehren.

In einer noch ruhigeren Straße mit Einfamilienhäusern bröckelt die Farbe von Steinlöwen, die jenes Haus bewachen, das den Ort vor vier Wochen in die Schlagzeilen gebracht hatte. Das in die Jahre gekommene Gebäude mit Rosenbüschen im Garten hätte an eine neunköpfige Familie aus Wien verkauft werden sollen. Doch der ÖVP-Bürgermeister des Ortes legte ein Veto ein. Der Grund: Das Religionsbekenntnis der palästinensischen Familie. Die Gemeinde habe „kein Interesse“ an einem Zuzug.

Die Rollläden sind unter Tags zu, auch Gelsennetze  mit Muster gibt es hier.
Die Rollläden sind unter Tags zu, auch Gelsennetze mit Muster gibt es hier. © Akos Burg
Löwen bewachen das Haus
Löwen bewachen das Haus © Akos Burg

Dass eben diese Gemeinde überhaupt Mitspracherecht hat, liegt daran, dass in der Familie Abu El Hosna niemand eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die Familie kam vor neun Jahren nach Wien und erhielten Asyl. Die Grundverkehrskommission des Landes Niederösterreich muss deshalb einem Verkauf zustimmen, die Gemeinde hat Mitspracherecht. Bürgermeister Johann Zimmermann hatte in seiner Stellungnahme an die Kommission jenen Satz festgehalten, der die Geschichte ins Rollen gebracht hatte: „Die unterschiedlichen Kulturkreise der islamischen sowie der westlichen Welt“ würden „in ihren Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen weit auseinander liegen“.

Im Rathaus wollte niemand eine Stellungnahme abgeben.
Im Rathaus wollte niemand eine Stellungnahme abgeben. © Akos Burg

Inzwischen wurde die erste Stellungnahme zurückgezogen, in der zweiten sprach sich die Gemeinde aber erneut gegen den Verkauf aus. Beide Stellungnahmen will Zimmermann nicht kommentieren, eine Anfrage der „Kleinen Zeitung“ im schmucken Rathaus von Weikendorf wurde mit den Worten „Sie sind die 47., die anruft, irgendwann muss es auch genug sein“, abgeschmettert.

Genug hat auch der Bewohner eines Hauses in jener ruhigen Straße im Ortsteil Dörfles, in der das von Löwen bewachte Haus steht. Er ist einer der wenigen, die – erst nach einigen Anläufen – überhaupt noch über die Causa sprechen will. „Wir werden durch diesen Fall in ein falsches Licht gerückt“, klagt er. Dass zahlreiche Journalisten in den letzten Wochen den Ortsfrieden gestört haben, habe alles nur noch schlimmer gemacht. „Der Ort wird im Internet teils wüst beschimpft. Die nennen uns Nazis. Dabei kennen die uns doch gar nicht.“ Er selbst habe kein Problem mit Ausländern, „erst letzte Woche war ich beim Grillfest meines bosnischen Nachbarn. Wir kommen hier alle gut miteinander aus“.

Gepflegte Häuser
Gepflegte Häuser © Akos Burg

Ein Eindruck, den Khalid Mansor Abu El Hosna nicht teilen kann, wie er sagt. Der Vater der Familie, um die es geht, sitzt 40 Kilometer entfernt in einem Lokal im 10. Bezirk, das er in Kürze leiten wird. Er wirkt müde. „Ich habe meinen Kindern immer von Österreich vorgeschwärmt. Davon, dass es ein freies Land ist. Aber jetzt frage ich mich: Ist Österreich wirklich so?“ Dass die Familie überhaupt auf das Haus aufmerksam geworden war, sei Zufall gewesen. Man habe eine Anzeige im Internet gesehen, der Preis habe gepasst, die Nähe zu Wien auch. „In der Stadt können wir uns als große Familie einfach nichts leisten“, sagt er.

Familienoberhaupt Khalid Mansor Abu El Hosna
Familienoberhaupt Khalid Mansor Abu El Hosna © Akos Burg

Die Stellungnahme des Bürgermeisters, mit der er aufgeregt wedelt, habe ihn schockiert. Ebenso wie Berichte, wonach er seiner vorherigen Vermieterin Geld für die Miete schulde. „Ein Missverständnis“, sagt er. „Und das hat auch alles nichts mit diesem Fall zu tun.“ Er weiß auch von der Liste mit Unterschriften, die im Ort gegen den Zuzug der Familie gesammelt wurden.

Dabei wäre sie nicht die einzige mit anderer Staatsangehörigkeit in der Gemeinde. Rund zehn Prozent der Einwohner haben keinen österreichischen Pass, ein Viertel der Kinder in der Volksschule hat eine andere Muttersprache als Deutsch. Zu viele, finden vier ältere Herren mit Sonnenhüten, die sich unweit vom Rathaus ihr Bier schmecken lassen. „Da wird auf unseren Straßen ja bald nur mehr ‘Allahu Akbar’ gerufen“, sagt einer. „Die passen einfach nicht zu uns in den Ort,“ sagt ein anderer. Auch nach vier Wochen scheint die Familie Gesprächsthema Nummer eins zu sein.

Klare Worte
Klare Worte © Akos Burg

Das bestätigt man auch beim Kebab-Geschäft um’s Eck. „Wir haben nur gehört, dass der Bürgermeister sie nicht will“, sagt einer. „Aber ja, die Leute reden drüber.“ Über das Leben im Ort kann hier niemand etwas sagen, die Mitarbeiter wohnen woanders. „Sonst ist es hier eigentlich idyllisch – zumindest wirkt es so nach außen“, sagt ein junger Mann und lacht nervös.

Wie es in der Causa weitergeht, ist unklar. Die Grundverkehrskommission werde ihre endgültige Entscheidung „in den kommenden Wochen fällen“, heißt es auf Anfrage. Heute, Sonntag, findet zudem am Rathausplatz eine Kundgebung statt, bei der „Klischees und Vorurteile abgebaut“ werden sollen, erklären die Veranstalter. Abu El Hosna hat mit der Organisation dieses Termins nichts zu tun, er bedankt sich aber für die Unterstützung. Würde er trotz alledem nach Weikendorf ziehen, sollte die Kommission grünes Licht geben? „Ja, das würde ich. Ich glaube, dass es keine Probleme mehr gibt, wenn uns die Leute kennenlernen.“