Zwei Wochen nach Auftauchen des Ibiza-Videos, das die Innenpolitik auf den Kopf gestellt hat, liegt erstmals eine umfassende Umfrage zu den turbulenten Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit vor. Ibiza hat das türkis-blaue Projekt beendet, Neuwahlen vom Zaun gebrochen, den Sturz des Kanzlers zur Folge und nun zur Installierung einer Beamtenregierung – mit einer Kanzlerin an der Spitze – geführt. Im Auftrag der Kleinen Zeitung und des Kurier hat der bekannte Meinungsforscher, OGM-Chef Wolfgang Bachmayer, 800 Personen zu den diversen Facetten der dramatischen Vorfälle befragt.

Im Zentrum steht freilich die Sonntagsfrage, und diese enthält doch die eine oder andere Überraschung. Aus heutiger Sicht wollen 36 Prozent der Befragten Sebastian Kurz im Herbst die Stimme geben, die ÖVP würde einen überzeugenden Wahlsieg mit einem Plus von 4,5 Prozent  einfahren. Von den 42,3 Prozent eines Wolfgang Schüssel (im Jahr 2002) ist Kurz allerdings weit entfernt.

Kampf um Platz zwei zwischen SPÖ und FPÖ

Eine schwere Schlappe würde die SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner mit nicht einmal 22 Prozent (minus 4,9 Prozent) einfahren. Kurz vom Thron zu stoßen, hat sich offenbar als Pyrrhussieg erwiesen. Spektakulär ist allerdings die Prognose für die FPÖ, die die schweren Turbulenzen ausgelöst hat: Sie käme unter dem neuen Parteichef Norbert Hofer auf immerhin 21 (minus fünf) Prozent. Kalkuliert man die Schwankungsbreite von 3,9 Prozent mit ein, würden sich SPÖ und FPÖ sogar ein Match um Platz zwei liefern – ein Desaster für die SPÖ, ein unerwarteter Effekt für die FPÖ. Die Grünen mit Werner Kogler als Spitzenkandidat kämen auf zehn Prozent und würden die Neos (acht Prozent) auf Platz fünf verweisen. Die Liste Jetzt von Peter Pilz ist ohne Chance.

Jeder Vierte wählt anders

Bachmayer will die Aussagekraft der Umfrage nicht überbewerten, wagt aber doch einige Schlussfolgerungen. „Auch wenn diese Prognose nur eine Momentaufnahme darstellt, so ist die Wählerwanderung größer als je zuvor. Bei der Herbstwahl dürfte jeder vierte Wähler, 1,3 Millionen Österreicher, eine andere Partei wählen als 2017.“ Die höchste Behaltequote weist die ÖVP (82 Prozent) auf, die geringste die SPÖ (62 Prozent).

SPÖ-Anhänger glauben nicht an Zugewinn

Dramatisch sind allerdings andere Werte für die SPÖ: Sogar die eigene Anhängerschaft geht von Stimmverlusten bei Herbstwahlen aus (46 Prozent), nur 41 Prozent sehen einen Trend nach oben. Realismus beweisen die blauen Wähler. 55 Prozent rechnen mit Verlusten. Generell werden der ÖVP (76 Prozent der Befragten), den Grünen (65 Prozent) und Neos (64 Prozent) gute Chancen eingeräumt, ihren Stimmenanteil zu verbessern. Nur je 21 Prozent glauben, dass SPÖ bzw. FPÖ im Herbst zulegen können.

Mehrheit für Dreier-Koalition aus ÖVP, Neos, Grüne

Spannend ist auch die Abfrage der Koalitionspräferenzen. Sollte die ÖVP wieder auf Platz eins landen, sollte Kurz, meinen 30 Prozent, eine Dreierkoalition mit den Neos und den Grünen eingehen. 24 Prozent präferieren ein Revival von Türkis und Blau, nur neun Prozent können sich eine Große Koalition vorstellen.

Kein Verständnis für Strache, kein Verständnis für die Falle

Gemischt sind auch die Reaktionen zum Ibiza-Video. 72 Prozent erachten das Verhalten von Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache als „sehr verwerflich“, nur 24 Prozent sprechen von einer „b'soffenen Geschichte.“ Allerdings verurteilen 53 Prozent die Falle, die Strache gestellt wurde, als „nicht tolerabel.“ Nur eine Minderheit, 39 Prozent, sind der Ansicht, dass der Zweck die Mittel heiligt. Von den FPÖ-Wählern verurteilen immerhin 40 Prozent Straches Verhalten.

Kickls Entlassung nachvollziehbar

Differenzierter ist die Meinung zur Entlassung von Innenminister Herbert Kickl. 54 Prozent begrüßen die Entlassung des blauen Ministers, 34 Prozent halten sie für eine falsche Entscheidung. Dass infolge der Entlassung die gesamte FPÖ-Riege die Regierung verlassen hat, können 42 Prozent der Befragten nachvollziehen. 50 Prozent zeigen kein Verständnis für den kollektiven Rücktritt.

54 Prozent gegen Kurz' Sturz

71 Prozent der Befragten begrüßen die von Kurz in die Wege geleiteten Neuwahlen, 54 Prozent verurteilen den Sturz des ÖVP-Chefs, immerhin 40 Prozent begrüßen den Misstrauensantrag und damit das Ende der türkis-blauen Regierung unter Kanzler Kurz. Abgesehen von den ÖVP-Wählern stehen auch die Neos- und Grünwähler der Abwahl mehrheitlich kritisch gegenüber. Laut OGM unterstützt die Mehrheit der SPÖ- (71 Prozent) und der FPÖ-Wähler (50 Prozent) den Misstrauensantrag.
Die gesamte Umfrage lesen Sie in der Sonntagsausgabe der Kleinen Zeitung.