Saal Metternich, das hatte was. Yuval Noah Harari, gefeierter Popstar unter den Historikern, setzt in seinen Büchern den Menschen mit manipulierbaren Tieren gleich, mit gefügig gemachten Wesen, domestizierten Datenträgern, die empathiefrei produktiv sind. „Supermenschen“ nennt er sie an anderer Stelle, die eine intime menschliche Verbindung mit der Maschine eingehen und durch Verschmelzung von Biotechnologie und künstlicher Intelligenz dauerhaft kontrolliert werden. Metternich, so heißt ein Sitzungssaal des Wiener Sacher-Hotels. Dort hat Harari Platz genommen und entrollt vor Journalisten seine „Landkarte der Zukunftsmöglichkeiten“.

Er sei kein Prophet. Er male Handzeichen, damit die Gattung Mensch, deren Potenzial zur Dummheit virulent bleibe, den Bedrohungen rechtzeitig begegnen könne. In den Bestsellern umkreist sie Harari. Es ist der Klimawandel, die atomare Gefahr, und es sind die technologischen Brüche.

Der Wissenschaftler, der an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrt, misstraut ihnen. Zum ersten Mal in der Geschichte sei das Hacken von Menschen durch den digitalen Abdruck möglich. Die Schöpfer der digitalen Riesen wie Facebook oder Google seien grandiose Entwickler und Techniker, aber „von Philosophie und der Psychologie des Menschen haben sie keine Ahnung“, so Harari. Daher würden sie, wenn wieder einmal von Manipulation, Denunziation oder Hass im Netz die Rede sei, unentwegt auf die „bad actors“ verweisen, die das System missbrauchen, ohne je das System selbst zu hinterfragen. Harari: „Die künstliche Intelligenz, die diese globalen Maschinen einsetzen, erkennt die menschlichen Schwächen und nützt sie. Wie eine Mutter erkennt auch der Algorithmus diesen emotionalen Knopf und drückt ihn, freilich ohne den Schutzinstinkt einer Mutter.“

Der Missbrauch der Aufmerksamkeit

Noch nie in der Geschichte der Menschheit sei die Ressource der menschlichen Aufmerksamkeit derart monströs missbraucht worden, befand der israelische, vegan lebende Universalhistoriker. „Wie schützt man die menschliche Aufmerksamkeit vor diesem Missbrauch?“ In den Augen des Bestseller-Autors ist das die „dringlichste Frage der Gegenwart“.

"Einsturz des Hauses Europa"

Auf das europäische Einigungswerk blickt der Zukunftsforscher, der auf Einladung der Wirtschaftskammer nach Wien kam, mit Sorge. Der Einsturz des Hauses Europa sei eine „reale Möglichkeit“. Harari fürchtet, dass die tiefen Einrisse die EU nach außen und innen lähmen und „handlungsunfähig“ machen. Das Projekt stehe auf dem gemeinsamen Fundament liberaler Demokratien. Durch das Erstarken autoritärer Strömungen sei dieser Boden erstmals brüchig geworden. „Da reichen ein, zwei Akteure, um das ganze Räderwerk zu zerstören.“

Bemerkenswert ist, dass Harari den wuchernden Nationalismus nicht als Wiedergeburt der alten Dämonen deutet. Er stellt dieses Wiedererstarken nicht in einen historischen Kontext: „Der alte Nationalismus war militant nach außen und bereit zum Blutzoll. Die italienischen Salvini-Nationalisten würden nicht einmal eine Handvoll Soldaten für ihre Parolen opfern. Die wollen nur keine Immigranten.“ Harari zieht den Begriff des Tribalismus vor: „Hier geht es eher um Spaltung nach innen. Es gibt keine Verständigung mehr über die politische Gegnerschaft hinweg. Das wirkt zersetzend auf jede Demokratie.“

"Nation wirkt einigend nach innen"

Einen gemäßigten Nationalismus hält Harari hingegen für keine Bedrohung, weil das Bekenntnis zur eigenen Nation „einigend nach innen“ wirke. Eine solche innere Kohäsion sei wichtig. Europa habe, wenn es sich besinne und seine Kraft nicht mit dem Brexit und der Vergangenheit vergeude, „das Potenzial zu einer großen Zukunft“. Harari: „Es gibt weltweit keine Region mit einem derartigen Konzentrat an Talenten und schöpferischer Begabung.“ Allerdings sei dieser Möglichkeitsraum auch ein Ort radikaler Veränderung. Das europäische Bildungssystem müsse die „Fähigkeit, lebenslang neu zu lernen“, in den Mittelpunkt rücken. Harari: „Diese geistige Offenheit, sich bis ins hohe Alter neu zu denken und zu entwerfen, wird für die Überlebensfähigkeit des Einzelnen und Europas entscheidend sein.“

Israels Überlegenheitsgestus

Zwiespältig beurteilt Harari die Verfasstheit seines Heimatlandes Israel. Der Wirtschaft und dem Militär gehe es blendend. Im Land selbst mache sich ein feindselig aufgeladener Überlegenheitsgestus gegenüber den Nachbarn breit. Diese innere Verhärtung bedrücke ihn. Harari: „Ich bin nicht besorgt um den Körper. Der ist robust. Besorgt bin ich um die Seele Israels.“