Ob es sich um eine konzertierte Aktion handelt oder nicht, ist ungewiss: Kaum hatte der frühere ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner am Rande einer Buchpräsentation seinen beispiellosen Rundumschlag gegen die türkis-blaue Regierung unter seinem Nachfolger Sebastian Kurz beendet, meldeten sich bereits ehemalige und dann auch amtierende  ÖVP-Politiker mit einer scharfen Replik zu Wort.

Spindelegger: "Kurz hat die ÖVP gerettet"

So erklärte Ex-ÖVP-Chef Michael Spindelegger, Mitterlehners Abgang sei keine Intrige "sondern die Rettung der Volkspartei" gewesen.  Die ÖVP sei von einer Wahlniederlage in die nächste getaumelt "und war unter Mitterlehner auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit", so  Spindelegger in einer Aussendung, die der Kleinen Zeitung vorliegt. Das Resultat der Parteiübernahme durch Kurz sei endlich wieder die ÖVP-Kanzlerschaft, soviel ÖVP-Politik wie schon lange nicht mehr und die Verhinderung von Rot-Blau unter einem Kanzler Heinz-Christian Strache, so der Alt-Vizekanzler. Spindelegger galt als Förderer von Kurz und holte diesen als Staatssekretär erst in die Regierung. Im Sommer 2014 schmiss Spindelegger aus Verärgerung über ÖVP-interne Querschüsse - unter anderem aus Mitterlehners Heimatbundesland Oberösterreich - alles hin.

Pröll: "Mitterlehner war Verwalter des Stillstands"

Nicht minder scharf reagierte Ex-ÖVP-Chef Josef Pröll in einer der Kleinen Zeitung übermittelten Stellungnahme. Pröll sprach angesichts Mitterlehners Buch von "verletzter Eitelkeit".  "Wenn wir ehrlich sind, wissen wir doch alle, in welchem Zustand die Partei unter Reinhold Mitterlehner war. Die Verwaltung des Stillstandes  war zentraler Inhalt der grossen Koalition. Die ÖVP hatte kein Profil mehr und ist unter Mitterlehner immer mehr nach links gerückt. Mit dieser Positionierung hätte Mitterlehner niemals mehr eine Wahl gewonnen. " 

Molterer: "Keinen Grund, das Buch zu lesen"

Vernichtend reagierte Ex-ÖVP-Chef Wilhelm Molterer in einer Stellungnahme gegenüber der Kleinen Zeitung: "Man muss nicht alles gelesen haben. Da ich nicht vorhabe dieses Buch zu lesen, kann und will ich auch zu dessen Inhalt keinen Kommentar abgeben“  

Mikl-Leitner: "Diskrepanz in der Wahrnehmung"

Weniger scharf, aber nicht minder deutlich fiel die Wortmeldung von  Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner aus. Es sei "traurig zu sehen, dass der Schmerz so tief" sitze, so Mikl-Leitner gegenüber der Kleinen Zeitung. Sie wolle in Bezug auf Mitterlehners Aussagen festhalten, dass es "zwischen seiner  Eigenwahrnehmung  und der Realität doch einige Diskrepanzen gibt. Mehr möchte ich dazu auch gar nicht sagen. Persönlich wünsche ich ihm dennoch alles Gute.“

Schausberger: "Gekränkte Eitelkeit"

Scharfe Kritik an übte der einstige Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger. „Ich halte nichts davon, wenn abgetretene Politiker ihren Frust abladen und ihre gekränkte Eitelkeit nach außen tragen“, empört sich Schausberger im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. „Ich hätte das auch machen können.“ Hätte es keinen Wechsel an der Spitze der ÖVP gegeben, wäre womöglich Strache heute Bundeskanzler. Schausberger erklärt, er unterstütze ausdrücklich die Wortmeldung von Mitterlehner-Vorgänger Michael Spindelegger, der gemeint hatte, Mitterlehners Abgang sei keine Intrige, "sondern die Rettung der Volkspartei" gewesen. Ohne Details anzuführen, fügt der ehemalige Landeshauptmann hinzu: „ich kann mich noch gut an den Wechsel von Spindelegger zu Mitterlehner. Ich wüsste nicht, warum man sich jetzt beschwert."

Präsentation am Geburtstag der ÖVP

Das Datum der Buchpräsentation hat Mitterlehner nicht zufällig gewählt - der 17. April ist der Gründungstag der Österreichischen Volkspartei. Er fühle sich den Prinzipien und Werten seiner Partei verpflichtet, versicherte er. Deshalb werde er Mitglied bleiben und sich "kritisch einbringen". In dem Buch mit dem Titel "Haltung" beschreibt Mitterlehner aus seiner Sicht den internen Machtkampf um die Parteispitze und seine Ablöse durch Sebastian Kurz im Mai 2017.

Detailliert rekapituliert Mitterlehner die zweieinhalb Jahre seiner Vizekanzlerschaft, insbesondere den Machtkampf mit dem damaligen Außenminister. Im Kern wirft Mitterlehner seinem Nachfolger vor, von langer Hand die Übernahme der ÖVP geplant zu haben. „Kurz hatte das Grand Design im Mai 2016 schon im Kopf, das er dann 2017 auch umsetzte.“ Damals wurde schon ein Meinungsforscher beauftragt, dessen Siegeschancen abzutesten. „Die Studie ergab, dass die ÖVP mit Kurz um 15 Prozent besser abschneiden würde. Mit diesem brisanten Ergebnis klapperte Kurz die Bünde und Parteiobmänner ab, um Unterstützung für Neuwahlen zu suchen.“

Mitterlehner: Schließe Rückkehr in Politik nicht aus

Dass ihm nun aus der Partei mit niedrigen Umfragewerten um die 20 Prozent unter seiner Obmannschaft gekontert wird, sieht Mitterlehner gelassen: "Für das, was da intern abgelaufen ist, war das noch eine sehr, sehr gute Ausgangsposition." Wäre die ÖVP einheitlich vorgegangen, hätte die ÖVP auch unter ihm gute Chancen gehabt, ist der Ex-Politiker überzeugt. Der Ansage seines Vorgängers Michael Spindelegger, wonach seine Ablöse keine Intrige, sondern "die Rettung" der Partei gewesen sei, regt ihn ebenfalls nicht auf: Wenn das Thema (sein Buch, Anm.) jetzt nicht überdeckt werden könne, "na dann wird man halt ein paar ausschicken, die nicht unbedingt oberste Ebene sind".

Die eigentliche Botschaft seines Buches beziehe sich ohnehin auf die Gegenwart. "Ich finde, dass wir uns insgesamt auf einem ausgesprochen problematischen Weg befinden von einer liberalen Demokratie zu einer autoritären Demokratie", übte er einmal mehr scharfe Kritik an Türkis-Blau. Als Beispiel nannte er etwa die Umbenennung der Erstaufnahmezentren in Ausreisezentren: "Ich hab' geglaubt, das ist Satire."

Eine Rückkehr in die Politik ist für Mitterlehner - zumindest derzeit - kein Thema: "Schau ma mal, aber jetzt hab' ich überhaupt keine Neigungen dazu." Er habe gelernt, "nie etwas anzustreben oder auszuschließen".

Geheimverhandlungen mit Griss und Strolz

Beschleunigt wurde die Entmachtung durch den Wechsel an der Spitze der SPÖ von Werner Faymann zu Christian Kern. Im Sommer 2016 soll Kurz laut Mitterlehner bereits bei Unternehmern wegen etwaiger Spenden für einen Wahlkampf vorstellig geworden sein. Auch habe Kurz Geheimverhandlungen mit Irmgard Griss und Matthias Strolz über die Bildung einer breiten Bewegung geführt. Als dann Kern seinen Plan A im Jänner 2018 vorstellte, habe sich die Lage zugespitzt. „Die Eskalationsspirale wurde weitergedreht, als hätte es den Relaunch des Regierungsprogramms nie gegeben. Kern und ich sollten einfach keine Erfolge mehr haben.“

Neben Kurz habe der damalige Innenminister und heutige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka federführend die Obstruktionspolitik betrieben. „Ich fühlte mich schon damals als Platzhalter, den man werken ließ, bis man die Stunde der Übernahme für günstig hielt.“ Der aktuellen Koalition wirft Mitterlehner vor, dass eine „vorrangig auf Stimmung und Anlass ausgerichtete Politik geltende Wertmaßstäbe beiseite“ schiebe.

Im Salon der Kleinen Zeitung

Am 8. Mai wird Reinhold Mitterlehner sein Buch in einem von der Kleinen Zeitung und der Buchhandlung Moser organisierten, von Michael Jungwirth moderierten Salon präsentieren. Das Buch erscheint heute im Ecowin-Verlag (24 Euro).