Kardinal Christoph Schönborn ist mit der Asylpolitik der Regierung hart ins Gericht gegangen. "Eine kleine Gruppe von Menschen wird offensichtlich systematisch in ein schiefes Licht gerückt. Asylwerber werden unter Generalverdacht gestellt", kritisierte der Wiener Erzbischof in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag.

Das sei keine Generalkritik an der Regierung, diese mache vieles gut, aber "wir machen uns Sorgen um die Asylpolitik". "Ich beurteile diese insgesamt mit Sorge. Es gibt Signale, die nicht notwendig sind", so Schönborn. Die Anbringung des Schildes "Ausreisezentrum" an das Tor der Erstaufnahmestelle Traiskirchen - "Das ist einfach unmenschlich."

"Da ist schon Gesprächsbedarf, wenn eine kleine Gruppe von Menschen offensichtlich systematisch in ein schiefes Licht gerückt wird. Das tut weh, weil es um elementare Menschenrechte geht", so Schönborn, der selber als Flüchtling am Arm seiner Mutter, die heute ihren 99. Geburtstag feiert, gekommen sei.

Die meisten Flüchtlinge seien traumatisiert

Er bestreite nicht, dass es unter den Flüchtlingen auch welche gebe, die man möglichst schnell wieder nach Hause schicken solle, aber die meisten von ihnen seien vor Krieg und Tod geflüchtet und traumatisiert, redete der Kardinal der Regierung ins Gewissen. Besorgt zeigte sich der Kardinal auch über die "populistischen Tendenzen in ganz Europa, denen wir uns entgegenstellen müssen".

Die Karfreitags-Debatte

Unglücklich ist nach Meinung Schönborns die Karfreitags-Debatte gelaufen. Am besten wäre ein zusätzlicher Feiertag für alle gewesen. Die Lösung mit dem persönlichen Feiertag "ist ein bisschen hatschert, aber es ist eine Lösung". Zum diskutierten Austausch von Feiertagen zwischen Katholiken und Evangelischen, verwies Schönborn auf die Sozialpartner, die das hätten verhandeln müssen. Das müsse gesellschaftlich ausdiskutiert werden, "ich persönlich hätte nichts dagegen".

Missbrauchsfälle in der Kirche

Die erste Hälfte der ORF-Pressestunde mit Kardinal Christoph Schönborn drehte sich um Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Sein Verständnis und sein Glaube an die Geschichte des Missbrauchsopfers von Doris Wagner habe ihm "relativ wenig Kritik" eingebracht, sagte Schönborn. "Ich habe ihr Buch gelesen und war beeindruckt und dachte, es wäre gut, wenn jemand das Gespräch mit ihr sucht, der die Kirche offiziell vertritt." Das Gespräch, das dann in einem Auszug auch im Fernsehen ausgestrahlt wurde, werde man auch als Buch herausgeben, kündigte Schönborn an.

Er habe oft mit Missbrauchsopfern gesprochen und sie begleitet: "Es ist der wundeste Punkt, dass man ihnen nicht geglaubt hat." Indem er Doris Wagner Glauben schenkte, habe er aber keinen Rechtsakt gesetzt. "Ich bin kein Richter und habe nicht zu urteilen."

"Es gibt Aufholbedarf"

Zwei Drittel der Missbrauchsfälle in der Kirche hätten sich vor dem Jahr 1970 zugetragen, so der Kardinal. "Das hat viel mit geschlossenen und offenen Systemen zu tun. Geschlossene Systeme begünstigen Missbrauch." Gleichwohl werde es immer Missbrauch geben, "aber in einer offenen Gesellschaft ist die Gefahr geringer. Die katholische Kirche war in den 1950er und 1960er Jahren viel geschlossener und straffer organisiert." Nun gebe es aber deutliche Anzeichen einer Entwicklung hin zu einer Offenheit. "Ja, es gibt Aufholbedarf."

Die Zahl der Priester, die in den vergangenen Jahren wegen Missbrauchsvorwürfen ihres Amtes enthoben wurden, bezifferte Schönborn weltweit mit rund 300. "Für Österreich habe ich keine Zahlen, aber es ist auch in meiner Amtszeit vorgekommen."

"Mehr Platz für Frauen"

Angesprochen auf die Rolle der Frauen sagte der Kardinal, dass Frauen in der Kirche mehr Platz brauchten. Sollen sie Priesterinnen werden? "Sie sollen Diakoninnen werden", so Schönborn. Die Institution Kirche funktioniere nicht auf Knopfdruck. Von Papst Franziskus seien Reformen erwartet worden, "die er nicht bringen kann. Wir haben noch ein Problem mit der Lehre. Es braucht dafür Entwicklungen und das dauert in der katholischen Kirche lang." Schönborn pflichtet aber bei: "Die Frauenfrage ist entscheidend."

Verheiratete Männer als Priester

Auch beim Thema Pflichtzölibat kann sich Schönborn eine Entwicklung vorstellen. "Ich bin überzeugt, dass eine Form möglich ist, und zwar jene der bewährten Männer." Damit meint der Kardinal, dass verheiratete Diakone die Funktion des Priesters ausüben könnten. Das Thema werde bei der Amazonassynode im Herbst auf der Tagesordnung stehen.