Bischof Bünker, warum ist für evangelische Christen der Karfreitag so wichtig?
BISCHOF MICHAEL BÜNKER: Martin Luther entwickelt eine Theologie des Kreuzes. Er sagt, wir sollen nicht nur daran denken, Gott in der Herrlichkeit, in Glorie und Allmacht wahrzunehmen, sondern auch dort, wo er sich als völlig ohnmächtiger, leidender, sterbender Mensch zeigt – am Kreuz. Deswegen gehört für Evangelische der Karfreitag ganz notwendig zu Ostern dazu, weil er den Blick schärfen kann für Menschen, die ohnmächtig sind, die unter Gewalt oder Krieg leiden. Unsere Gesellschaft könnte das brauchen – einen Tag der Besinnung auf das Leiden in der Welt.

Ist nicht die Auferstehung, das zentrale Fest?
Ohne Ostern würden wir den Karfreitag nicht verstehen. Es sind damals von den Römern Tausende Menschen gekreuzigt worden um Jerusalem, also wäre dann Jesus einer von diesen vielen Namenlosen, die alle bedauernswert sind, aber er wäre nicht der, von dem wir sagen, er ist das Zentrum der Heilsgeschichte. Aber auch der Auferstandene wird an seinen Wundmalen erkannt. Die Evangelischen betonen vielleicht gerade in einem traditionell katholischen Land wie Österreich den Karfreitag noch mehr. In anderen katholischen Ländern wie Spanien oder Portugal ist der Karfreitag übrigens selbstverständlich ein Feiertag.

Wie erklären Sie Ihren Gläubigen, was daran erlösend sein soll, dass die zentrale Person dieser Glaubensgemeinschaft ermordet worden ist?
Das Erlösende daran ist, dass letztlich diese Geschichte des katastrophalen Scheiterns den Weg zum Leben eröffnet. Das ist so paradox und widersinnig und gegen alle Erfahrung, dass man es nur glauben kann. Trotzdem geht von Ostern eine bejahende Lebenskraft aus. Sie überspringt das Leiden und das Finstere nicht einfach, sondern nimmt es mit. Das schärft unsere Verantwortung für den Einsatz für jene, die am Rande stehen, auch dort, wo wir selber das Leiden verursachen.

Den Christen wird immer wieder Leidensverherrlichung vorgeworfen. Hat man da falsche Akzente gesetzt?
Das kann schon sein. Leidensverherrlichung ist mir fremd. Es geht nicht darum, diese schrecklichen Ereignisse auch noch zu einem Ideal zu erklären, sondern der Realität ins Auge zu schauen und den grundsätzlichen Wert und die unantastbare Würde jedes Menschen anzuerkennen.

Wissen Sie, wie viele Menschen den Karfreitag als „persönlichen Feiertag“ angemeldet haben?
Ich habe keine Zahlen, wir führen keine Statistik.

Der Karfreitag wird zur Minderheitenfeststellung, wenn man sieht, wer den Feiertag beantragt. Stehen bald religiöse Feiertage generell zur Disposition?
Die öffentliche Religionsausübung wird radikal individualisiert und privatisiert. Es ist plötzlich die private Entscheidung jedes einzelnen: Nehme ich mir einen privaten, persönlichen Urlaubstag dafür oder nicht. Das sollte meiner Meinung nach nicht Schule machen.

Wie sind religiöse Feiertage in einer pluralistischen, säkularen Gesellschaft zu rechtfertigen?
Eine ideale Lösung gibt es nicht. Sie muss sicher anders sein als in den 1950er Jahren, als es 92 Prozent Katholiken gab und acht Prozent Evangelische. Nicht die große Zahl der Religions- und Konfessionslosen, das ist ja heute die zweitgrößte Gruppe und die am stärksten wachsende bei uns; keine Muslime, nicht die große Zahl der Orthodoxen. Die Voraussetzungen haben sich stark geändert und das sollte eine Regelung auch widerspiegeln.

Was schlagen Sie vor?
Unsere Synode hat vorgeschlagen – neben der Vorstellung, der Karfreitag sollte ein Feiertag für alle sein – einen zusätzlichen, 14. Feiertag einzuführen, der eventuell für Angehörige von Religionsgemeinschaften variabel ist oder persönlich zu bestimmen.

Was erhoffen Sie sich von Ihrer Klage beim Verfassungsgerichtshof?
Nur zum Beispiel zwei Fragen dazu: Wie kann ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin, die am 1. April in Beschäftigung kommt, schon am Karfreitag einen Urlaubsanspruch haben? Man könnte also gar nicht freibekommen. Das kann nächstes Jahr auch einige betreffen. Zweitens hält das Gesetz ausdrücklich fest, dass in künftigen Kollektivverträgen keine Regelungen stehen dürfen im Hinblick auf Evangelische und Alt-Katholiken und den Karfreitag. Für andere ist nichts geregelt. Ob das nicht diskriminierend für Evangelische und Alt-Katholiken ist?

Aber wenn Sie auf die Gleichbehandlung setzen, dann müsste das für Muslime genauso gelten.
Natürlich muss man das sehen. Wir haben doppelt so viele Muslime wie Evangelische und deutlich mehr orthodoxe Christen als evangelische, aber die genauen Zahlen kennt man nicht, weil sie nicht mehr erhoben werden.

Ihre Kirche wählt im Mai Ihren Nachfolger. Das Angebot an Kandidaten reicht vom linksliberalen ehemaligen Diakonie-Direktor bis zum angeblich evangelikalen Kandidaten aus Oberösterreich. Eine Richtungswahl?
Ich kenne alle drei sehr gut. Die Erwähnten sind beide äußerst unglücklich über diese Schubladen, in die sie gesteckt werden.

Wie würden Sie Andreas Hochmeir, den Kandidaten aus Oberösterreich beschreiben?
Er ist ein sehr guter Pfarrer, mit hohem diakonischen Engagement, auch für Flüchtlinge. Diese Kategorien passen einfach nicht. Die öffentliche Diskussion braucht offenbar Etiketten.

Beim Streit um die Homosexuellen-Ehe haben die drei unterschiedliche Positionen?
Ich kann mich nur auf die öffentliche Diskussion in der Synode beziehen. Von Michael Chalupka kenne ich die Position nicht, er ist nicht Mitglied der Synode und hat sich dazu nicht geäußert. Von Manfred Sauer ist bekannt, dass er sich dafür ausgesprochen hat, von Andreas Hochmeir weiß man, dass der für zwei Gemeinden tätig ist, die in dieser Frage unterschiedliche Positionen einnehmen. An ihm kann es weder so noch so gelegen sein.

Ist der Streit ausgestanden?
In der Intensität, in der wir ihn geführt haben, ist er, wie ich hoffe, erledigt.

Ist das Problem nicht, dass Homosexualität in der Bibel ausdrücklich verurteilt wird?
Es steht genau drei Mal ausdrücklich drin. Paulus zum Beispiel meint aber nicht die Partnerschaften, von denen heute bei uns die Rede ist. Er schreibt über Prostitution beim Heiligtum der Aphrodite in Korinth oder über heterosexuelle Männer, die noch nebenbei zu ihrer Lust Knaben sexuelle Gewalt antun. Heute geht es aber um zwei Menschen, die ihr Leben lang in Treue zusammenbleiben wollen. Von dieser positiven Form von homosexueller Partnerschaft spricht die Bibel nie, weder positiv noch negativ, sie kannte sie einfach nicht. Auch Luther kannte sie nicht. Wir kennen sie heute.

Die Kirchen eint das Problem, dass die Christen schwinden. Warum ist das so?
In Europa war Religion immer Schicksal, jetzt ist sie zur Wahl geworden, eine Option, und die nehmen die Menschen unterschiedlich wahr. Sie wechseln, sie konstruieren sich ihre eigene Form von Religion, vereinbaren die christliche Tradition mit der Lehre der Wiedergeburt und vieles mehr.

Stört Sie das?
Nein, ich glaube, dass es auch im Christentum in der frühen Zeit so etwas gegeben hat. Es ist ein Zeichen einer Transformation, in der sich auch Religionen heute befinden.

Werden sie noch gebraucht?
Sonst bleibt nur ein Konglomerat von Individualisten, die auf ihre eigenen Vorteile bedacht sind und nichts verlieren wollen, was sehr nachvollziehbar ist. Aber wer organisiert dann noch so etwas wie eine Wertegemeinschaft?

Noch eine private Frage: Freuen Sie sich auf den Ruhestand?
Uneingeschränkt Ja.

Was haben Sie vor?
Vorerst einmal wieder lernen, was ich als junger Mensch ganz gut konnte: nichts tun.