Die Regierung führt unter dem Stichwort Kampf gegen „Hass im Netz“ eine Identifikationspflicht für Poster in Online-Foren ein. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?

Ingrid Brodnig: Zum einen ist nicht zu erwarten, dass man damit den Hass im Netz massiv einschränkt. In Südkorea gab es ein vergleichbares System: Auch dort mussten sich Poster registrieren - sie durften weiter Pseudonyme nutzen, aber waren jederzeit ausforschbar. Das hat aber nicht maßgeblich geändert, wie hart oder grob gepostet worden ist. In meinen Augen stellt sich die Frage, ob das verhältnismäßig ist: Es müssen ja auch alle Bürger ihre Daten angeben, die vollkommen seriös und fair posten. Wir sind also alle identifizierbar, auch wenn wir nie etwas schlimmes schreiben.

Adressat dieser Regeln sind nicht nur österreichische Medien, sondern auch Weltkonzerne wie Facebook oder Google. Werden die mit so einem Gesetz problemlos kooperieren?

Wenn sie nicht kooperieren sollten, wäre dieses Gesetz eine Farce. Dann wäre es eine riesige Ungleichbehandlung von österreichischen Unternehmen, die es natürlich befolgen werden, weil sie Angst haben, hohe Geldstrafen zu bekommen. Ich glaube schon, dass es möglich ist, auch große Unternehmen zu greifen – ihnen über wirtschaftlichen Druck klarzumachen, dass sie österreichisches Recht zu befolgen haben. Ob das in diesem Fall gelingt, ist eine ganz zentrale Frage. Falls nur österreichische Medien zum Handkuss kommen, wäre das in Zeiten der Dominanz Facebook einfach ungerecht.

Ursprünglich hat die Regierung darüber nachgedacht, noch weiter zu gehen, und das Posten nur noch unter dem eigenen, echten Namen zu erlauben. Davon ist sie nun abgerückt, Pseudonyme bleiben erlaubt. Ist das sinnvoll?

Es wäre wirklich schlimm, würde Österreich die Anonymität komplett abschaffen. Das wäre auch kein populärer Zug. Es gibt gute Gründe, warum Menschen nicht ihren Namen angeben, wenn sie im Netz schreiben. Es wundert mich nicht, dass die Regierung das nun doch nicht angreift – was sie aber macht, ist ein flächendeckendes Überwachungssystem: Zumindest im Hintergrund muss von jedem die Identität gespeichert sein; keine Klarnamenpflicht, sondern eine Identifikationspflicht. Das ist auch nicht ohne.

Ganz so flächendeckend wird es nicht. Es gibt Schwellenwerte, registrieren müssen nur Plattformen, die mindestens 100.000 User oder 500.000 Euro Jahresumsatz haben oder mindestens 50.000 Euro Presseförderung erhalten. Ist das nicht zu hoch angesetzt, wenn Pöbel-Foren wie jenes von „unzensuriert.at“ davon nicht erfasst werden?

Es ist natürlich eine Absurdität, dass ausgerechnet unzensuriert, das als Treffpunkt von Hasskommentatoren bekannt ist, nicht dabei ist. Gleichzeitig muss es aber einen Schwellenwert geben: Es mag bitter sein, dass unzensuriert nicht erfasst ist, aber es ist schon ok, dass nicht jeder Tennisverein, der ein Forum betreibt, erfasst wird. Vielleicht muss man noch einmal über die Schwellenwerte reden, aber es wäre wirklich schlecht, wenn jedes Hobbyforum erfasst wird, das schlicht nicht das Kapital hat, die Anforderungen zu erfüllen oder eine hohe Strafe zu zahlen.

Andererseits kann ja auch ein Posting auf der Website des Tennisvereins potenziell hunderttausende Menschen erreichen – sollten daher nicht auch kleine Websites verpflichtet werden?

Das würde noch mehr Überwachung bedeuten. Ganz egal, wie sie das Gesetz ausgestalten, wie hoch die Schwellenwerte angesetzt werden: Nur weil Bürger sich identifizieren müssen, lösen Sie nicht das Problem des Hass im Netz. Es kann sein, dass ein paar User mehr damit ausgeforscht werden, aber es ist zu simpel gedacht, zu sagen: das ist die Lösung. Viele Hasskommentare fallen schon jetzt unter echtem Namen – es scheitert in vielen Fällen nicht daran, dass man nicht wüsste, wer etwas gepostet hat, sondern unter der Rechtslage oder daran, dass etwas gar nicht angezeigt wird.

Glauben Sie, dass mit dem neuen Gesetz Ende 2020 eine Klagswelle rollen wird?

Das ist meine größte Sorge: Es können auch Private bei Plattformen um Auskunft von Daten der Poster anfragen, wenn sie den Verdacht übler Nachrede oder Beleidigung haben. Ich habe die Angst, dass z. B. einzelne Politiker das missbrauchen könnten – indem sie reihenweise Rechtsanwaltsbriefe an Medien ausschicken, um unliebsame Poster auszuforschen. Hier ermöglicht der Gesetzestext, dass jeder, der eine Beleidigung oder üble Nachrede sieht, jeder, der sich beleidigt fühlt, die Identität des Posters verlangen kann. Wir hatten schon Fälle in der Vergangenheit, wo Politiker wie die Brüder Scheuch richtige Klagswellen losgetreten haben. Es ist eben nicht nur der Staatsanwalt, der diese Daten verlangen kann – sondern jeder.

Aber ist denn das ein Problem? Grundsätzlich ist es ja gut, dass jeder seine Rechte durchsetzen kann.

In dem Stadium, in dem die Auskunft verlangt wird, ist noch nicht klar, ob der Poster wirklich Beleidigung oder üble Nachrede begangen hat – es ist nur einmal das Ansinnen des Betroffenen, dass er sagt „Das war Beleidigung“. Die Gefahr besteht, dass manche Medien aus Angst, sonst eine Geldstrafe zahlen zu müssen, anfangen, diese Daten rasch herauszugeben. Ob dann ein Gericht das verurteilt oder sagt, das ist noch im Rahmen der Meinungsfreiheit, ist da noch lang nicht entschieden.