Im Bundesheer ist es fast schon zur Tradition geworden, dass der amtierende Generalstabschef Alarm um den Zustand der Armee schlägt. Zuletzt hat es auch Robert Brieger getan. Dessen Entwurf für eine Broschüre samt flammenden „Appell zur Landesverteidigung“ kam in der Vorwoche offenbar gewollt zu früh an die Öffentlichkeit.

Es war ein Auftrag des Verteidigungsministers an den Generalstab, den Budgetbedarf für die kommenden Jahre plakativ darzustellen. Das Papier taucht nicht zufällig vor den Budgetverhandlungen auf, die Minister Mario Kunasek (FPÖ) zur „Mutter aller Schlachten“ ausgerufen hat. Das erste Doppelbudget der Regierung war ja für die Landesverteidigung eher mager ausgefallen. Zumindest eine Sonderinvestition über knapp 400 Millionen Euro für ein Hubschrauber-Paket konnte Kunasek als Erfolg verbuchen.

Generalstabschef Robert Brieger
Generalstabschef Robert Brieger © APA/ROBERT JAEGER

Jetzt aber geht’s ans Eingemachte. Bis Ende 2022 müsse das Budget auf mindestens 3,3 Milliarden Euro anwachsen und ab dann mindestens 1 Prozent des BIP ausmachen, fordert Brieger: „Ansonsten wird das ÖBH nur mehr einfache Assistenzleistungen erfüllen können und seine militärische Leistungsfähigkeit weitgehend einbüßen“, warnt er. Heuer sind für das Heer 2,3 Milliarden Euro veranschlagt, was etwa 0,57 Prozent des BIP entspricht.

Düsteres Szenario

Die Militärs zeichnen ein düsteres Szenario ab 2025, sollte das Steuer nicht jetzt herumgerissen werden: Die Armee verfügt dann über keine schweren Waffensysteme mehr, auch nicht über eine Boden-Luftabwehr. Die Bataillone sind nicht nachtkampftauglich, nur zehn Prozent ihrer Soldaten haben lebensnotwendige Schutzausrüstung. Auch die Katastrophenhilfe büßt massiv ein, 60 Prozent des Pioniergeräts sind nicht mehr einsatzbereit. Der größte Bedarf (abseits der Luftraumüberwachung) liegt in der Mobilität. Bei geschützten sowie ungeschützten Transportfahrzeugen und bei Lkw sei fast eine Milliarde notwendig.

Mittelfristig rechnet der Generalstab mit einem Nachholbedarf von mindestens 4,2 Milliarden Euro. Dass darin auch die „Kampfwertsteigerung“ schwerer Waffensysteme wie dem Kampfpanzer Leopard oder dem Artilleriegeschütz M 109 eingerechnet ist, ruft auch Kritiker auf den Plan. Denn die Zukunft dieser Systeme ist selbst im Heer umstritten, vor allem, wenn das Geld ohnehin vorne und hinten nicht reicht. Es gibt für sie kaum Einsatzszenarios, sie dienen nur dem Erhalt der Fähigkeiten. 62 Prozent der schweren Waffen hat das Bundesheer in den letzten 15 Jahren schon eingespart.

Günter Höfler, ehemaliger Streitkräftekommandant
Günter Höfler, ehemaliger Streitkräftekommandant © ballguide/Pajmann

Die drastischen Zahlen aus dem Generalstab kann der frühere Streitkräftekommandant Günter Höfler weitgehend nachvollziehen. „Wir sind punktuell ganz gut, wenn man etwa die Auslandseinsätze hernimmt“, sagt er. Finanziell „grundle man im internationalen Vergleich aber am Boden herum“, der Großteil des Geräts in der Luft und am Boden sei total überaltert, die Milizbataillone schlecht ausgerüstet.

Nicht verfassungskonform ist der Zustand des Heeres. Den Befund des Generalstabs teilt nicht nur Bundespräsident Alexander Van der Bellen, er findet sich auch im Regierungsprogramm. „Die Verfassung sagt eindeutig, was Kernkompetenz und das Alleinstellungsmerkmal des Bundesheeres ist: Ihm allein obliegt die militärische Landesverteidigung“, sagt Erich Cibulka, Präsident der Offiziersgesellschaft und Sprecher der Plattform „Wehrhaftes Österreich“. Doch wie lässt sich ein Zustand definieren, der der Verfassung entspricht?

Erich Cibulka, Offiziersgesellschaft
Erich Cibulka, Offiziersgesellschaft © K.K.

Auch Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk sieht in dem Begriff eher ein politisches Schlagwort, das die Unterfinanzierung des Heeres hervorheben soll. Allerdings weist Funk auch auf mögliche juristische Konsequenzen hin. „Ich sehe diese aber weniger im Strafrecht im Sinne einer Ministerverantwortlichkeit als im Völkerrecht. Wäre Österreich in einem Krisenfall oder Neutralitätsfall nicht in der Lage sein Staatsgebiet zu schützen, könnte das für eine kriegsführende Partei das Recht bedeuten, selbst einzugreifen“, greift er zu einem eher extremen Szenario.

Schon plausibler ist da die sogenannte „hybride“ Bedrohung durch terroristische Gruppierungen. Auch hier könnten andere Staaten durch eine militärische Schwäche Österreichs Schaden nehmen und zur Selbsthilfe greifen. Darüberhinaus gibt Funk zu bedenken: „Der Schutz des Staatsgebietes umfasst ja auch den Luftraum“. Ab wann der Zustand des Heeres die Verfassung verletze, darüber gebe es breite Beurteilungsspielräume, sagt Funk: „Aber wie bei allen Spielräumen gibt es Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen.“

Klare Definition

Für Erich Cibulka ist das längst eingetreten. „Wenn sich das Selbstverständnis durchsetzt, es reicht ein besseres Hilfsheer und alles andere brauchen wir nicht, dann gibt es in Österreich keine Landesverteidigung mehr.“ Die Republik verzichte dann auch auf seine strategische Handlungsreserve im Krisenfall, wie es die Sicherheitsstrategie vorgibt.

Günter Höfler vermisst hingegen in der Debatte eine klare Definition, wie Landesverteidigung im 21. Jahrhundert aussehen zu habe. Nur daraus lasse sich ableiten, was das Heer wirklich braucht. Als Beispiel nennt der General im Ruhestand die Abwehr von Drohnen. „Davon geht heute eine der größten Gefahren aus, das unterschätzt man völlig.“ Auch der Cyber-Abwehr und dem Schutz der kritischen Infrastruktur müsse ein höherer Stellenwert zugewiesen werden.