Auch um den Vorwurf zu entkräften, die Koalition sei nur auf die Migration fixiert und betreibe eine Politik der sozialen Kälte, will sich die Regierung in den nächsten Monaten einem Thema zuwenden, das immer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, von der Politik durchaus aufgegriffen wird und bei dessen Lösungen oft nur Stückwerk (siehe die ganze Regressdebatte) produziert wird: die Frage der Pflege. Bis Mitte nächsten Jahres soll diese auf neue Beine gestellt werden, gestern fiel im Ministerrat der Startschuss mit der Verabschiedung eines 15-seitigen Masterplans. Studien, runde Tische, eine parlamentarische Enquete sollen den Prozess begleiten.

Ob das Vorhaben gelingt, ob die Defizite im Pflegebereich behoben werden oder ob alles nur türkis-blaue PR ist, wird sich weisen. Grundsätzlich soll der Pflege daheim wie bisher Vorrang eingeräumt werden. Rund 950.000 Menschen pflegen derzeit Angehörige im Familienverband, 460.785 Personen beziehen Pflegegeld, 85 Prozent werden in den eigenen vier Wänden gepflegt. Neben einer Fülle von wichtigen Detailfragen (Ausbildung und Bezahlung der Pflegekräfte, 24-Stunden-Pflege, Palliativbetreuung, Qualitätssicherung, Unterstützung von pflegenden Angehörigen, Einführung einer Pflege-Hotline) steht ein Punkt im Zentrum der Debatte: Wie kann die Pflege finanziell langfristig abgesichert werden?

"Kann nicht davon ausgehen, dass Pflege nichts kostet"

Franz Küberl, langjähriger Präsident der Caritas, fordert die Politik zu einer ehrlichen Debatte auf: „Der Traum, dass die Pflege nichts kostet, wird sich nicht bewahrheiten. In einer Gesellschaft, wo alles was kostet, kann man nicht davon ausgehen, dass das Alter nichts kostet“, so Küberl im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

Derzeit wird die Pflege überwiegend aus dem Budget finanziert, wenngleich seit 1992 ein Zuschlag auf die Krankenversicherung von 0,5 Prozent existiert. „So wie man gegen Krankheit, gegen Arbeitslosigkeit, gegen Unfälle versichert ist, wäre es logisch, dass man auch eine Pflegeversicherung abschließt“, so Küberl. Haken dabei: Das brächte eine Erhöhung der Lohnnebenkosten mit sich.

Die Regierung macht um die Frage der Finanzierung derzeit noch einen großen Bogen.

Was sind die Varianten?

Pflegeversicherung. Elegant wäre die Einführung einer Pflegeversicherung nach dem Vorbild der Kranken-, Unfall-, Pensions-, Arbeitslosenversicherung. Deutschland und die Niederlande kennen das Modell. Der Nachteil ist allerdings, dass sich dadurch die Lohnnebenkosten erhöhen. Im Gegenzug müssten, so Küberl, in anderen Bereichen steuerliche Entlastungen vorgenommen werden. Ex-IHS-Chef Bernhard Felderer lehnt die Variante komplett ab. „Wir haben jetzt schon die höchste Abgabenquote bei den Sozialversicherungen in Europa. Das geht einfach nicht.“

Steuerliche Zweckbindung. Zahllose Optionen liegen auf dem Tisch. Möglich wäre, dass die Tabak-, die Alkohol- oder ein Teil der Lohnsteuer für die Pflegefinanzierung zweckgewidmet werden. Ein Experte bringt neuerlich die Idee einer Handymasten-Steuer ins Spiel. Die türkis-blaue Koalition hat zumindest eine Pflegefinanzierung durch eine Erbschafts- und Schenkungssteuer ausgeschlossen. Felderer lehnt die Idee einer Zweckbindung komplett ab: „Das ist finanz- und budgetpolitisch unsinnig, weil sich der Staat jeglichen Spielraums beraubt.“

Feiertag. In Deutschland wurde 1995 auf Betreiben des damaligen CDU-Sozialministers Norbert Blüm der Buß- und Bettag als Feiertag abgeschafft. Durch die zusätzliche Einführung eines Arbeitstages, also durch eine Erhöhung der Produktivität, sollten die Mehrkosten, die eine verpflichtende Pflegeversicherung mit sich bringt, kompensiert werden. Felderer sieht das Modell skeptisch – und gibt außerdem zu bedenken, dass damit wahrscheinlich kaum alle Kosten abgedeckt werden können.

Urlaubstag. Küberl bringt als Alternative zur Abschaffung eines Feiertags die Abschaffung eines Urlaubstags ins Spiel. Ob die Gewerkschaften da mitspielen, ist fraglich. Eine zweite Alternative wäre, so Küberl, dass die von der Regierung in Erwägung gezogene Abschaffung der kalten Progression zu einem Teil für die Finanzierung der Pflege aufgewendet wird.

So wie bisher. Derzeit wird die Pflege zum überwiegenden Teil aus dem Budget bestritten, 4,7 Milliarden wenden Bund und Land auf. Felderer findet das jetzige System gar nicht so schlecht. Die Abschaffung des Regresses sei allerdings ein schwerer Fehler gewesen. „Wir sollten uns in Ruhe hinsetzen und alle Möglichkeit durchdenken“, warnt Felderer vor Schnellschüssen.