Haben Sie schon einen Anruf vom Kanzler oder der Sozialministerin bekommen wegen Ihrer harschen Kritik an der Kassenfusion?

MARGIT KRAKER: Nein. Ich weiß auch nicht, was harsch daran ist, wenn man sich zu finanziellen Auswirkungen äußert. Ich mache meine Arbeit. Die Regierung wird sich daran gewöhnen müssen, dass es mit dem Rechnungshof ein unabhängiges Korrektiv gibt.

Haben Sie den Eindruck, dass es in der Koalition mehr um PR, weniger um solide Politik geht?

Das kann ich nicht so sagen. Ich bin sehr damit einverstanden, dass die Neuorganisation der Sozialversicherung kommt. Seit Jahrzehnten wird darüber geredet, jetzt geht man es an. Wir haben ein sehr kompliziertes, zersplittertes System. Dass man hier einen Reformbedarf erkannt hat, verdient Anerkennung. Die Reduktion der Träger, die Effizienzsteigerung, die Leistungsvereinheitlichung, das sind Ziele, die ein Rechnungshof gerne unterstützt.

Die Berechnungen sind offenkundig auf Sand gebaut: Die Regierung redet von einer Milliarde, Sie kommen auf 33 Millionen?

Ich habe Verständnis dafür, dass die Regierung gerne Überschriften verwendet. Hinter den Überschriften müssen die Inhalte stimmen. Unsere Experten haben sich im Zuge der Begutachtung den Entwurf genau angeschaut, vor allem die Kosten. Das ist eine unserer Kernaufgaben. Die Kostenabschätzungen sind unvollständig und widersprechen dem, was öffentlich kommuniziert wurde. Im Entwurf ist von 33 Millionen Euro bis 2023 die Rede, auch dieses Ziel geht von einer Reduktion von zehn Prozent im Bereich der Verwaltungsaufwendungen aus. Das konnten wir nicht ganz nachvollziehen, weil wir die Berechnungsgrundlage nicht kennen.

Wenn es nicht eine Milliarde ist – wie viel kann man durch eine Fusion einsparen?

Die Kostenfolgen abzuschätzen, ist nicht unsere Aufgabe. Die Regierung müsste was vorlegen. Außerdem wissen wir aus früheren Prüfungen, dass Fusionen am Anfang immer mehr kosten. Die Mehrkosten werden auch nicht beziffert.

Warum legt die Regierung nicht alles offen? Steckt Absicht dahinter. Oder ist es Unvermögen?

Ich glaube nicht, dass es absichtlich passiert ist, denn man hat sich öffentlich zu der Milliarde bekannt. Es fällt einem natürlich leichter, die Zustimmung zu bekommen, wenn man das mit einer plakativen Zahl macht. Mir erschiene es wichtig, dass man sich nicht nur an Zahlen orientiert, sondern die Reform tatsächlich ordentlich über die Bühne bringt.

Es gibt Experten, die meinen, man hätte die Kassen auf drei reduzieren sollen, also auch Beamte und ASVG zusammenlegen?

Es geht immer mehr. Es ist gut so, dass man das Thema überhaupt angeht.

Die Koalition will die Funktionäre von 2000 auf 400 reduzieren und die Zahl der Dienstautos verringern.

Bei den Dienstautos stimmen die Zahlen nicht. Und es ist eine politische Debatte, wie man die Kassen künftig funktionärsmäßig ausstattet. Finanziell fällt das nicht so ins Gewicht.

Die Koalition verspricht einen Budgetüberschuss 2019 und eine Steuerentlastung 2020. Angesichts der wenig schmeichelhaften Expertise: Wie sehr kann man den Zahlen der Koalition trauen?

Solche Zahlenspiele tragen natürlich dazu bei, dass man ein bisschen skeptischer wird. Beim Budget ist die Regierung in einer angenehmen Situation wegen der Wirtschaftsentwicklung. Die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik sind geringer, dafür sind die Steuereinnahmen höher. Man muss aufpassen, dass man bei den Einsparungen ambitioniert genug ist.

Ist die Regierung ambitioniert genug?

Da gibt es momentan eine Bereitschaft, die Dinge anzugehen. Dass der Bundeskanzler das Pflegethema umfassend lösen will, sehe ich positiv.

Wegen der Entlastung im Jahr 2020 – geht sich das aus?

Das Ziel ist sicherlich ambitioniert. Ein Teil ist schon im Budget eingepreist, aber das ist nicht ausreichend. Nicht minder wichtig ist die Vereinfachung des Steuerrechts. Damit man sich eine Steuerreform leisten kann, muss man diese einmal verdienen. Die Konjunktur kann auch wieder nachlassen, deshalb muss man Strukturreformen angehen.

Sehen Sie Strukturreformen?

Lassen wir die Regierung die Kassenreform angehen. Wenn man das Pflegesystem reformiert und entsprechend finanziell unterfüttert, hat man einiges für die Menschen bewirkt.

Wie kann die Pflegefinanzierung langfristig gelöst werden? Durch eine Versicherung?

Das ist eine Möglichkeit, die ich gut finden würde. Ich bin mir sicher, dass die Bereitschaft zur Vorsorge für den Pflegefall da ist.

Ihr Vorgänger hat eine Art Kompetenzentflechtung vorgelegt. Ist das so ein großer Schritt?

Das ist tatsächlich ein kleinerer Schritt, aber das sind Dinge, die auf der Hand liegen. Das wechselseitige Zustimmungsrecht bei Bezirksgerichten oder Bezirkshauptmannschaften ist nicht mehr zeitgemäß. Diesen formalen Reformen müssen auch inhaltliche folgen.

Letzte Frage: Die Regierung hat kürzlich ein Gesetz ohne Begutachtung vorgelegt. Was sagen Sie zu dieser Praxis?

Manchmal gibt es Momente, wo man schnell handeln muss. Grundsätzlich ist es eine gute Tradition, dass die Regierung Entwürfe vorlegt. Das zwingt zu Kostenabschätzungen und macht eine Begutachtung erforderlich. Das ist eine gute Tradition.