386 bis 764 Mio. Euro an Wertschöpfung und zwischen 7.000 und 13.900 Jobs könnten allein in Oberösterreich durch die Fusion der Gebietskrankenkassen jährlich verloren gehen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die der Linzer Volkswirtschafter Friedrich Schneider und Stefan Jenewein von der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung für die Oö. Gebietskrankenkasse (OÖGKK) erstellt haben.

Die negativen Wertschöpfungseffekte würden nur knapp zur Hälfte den Gesundheits- und Sozialsektor betreffen, zu fast 53 Prozent aber auch andere Sektoren, erläuterten die Ökonomen in einem Hintergrundgespräch am Dienstag. Das sei u.a. damit zu erklären, dass Aufträge - vom Bandagisten bis zu Bauprojekten - künftig zentral vergeben und europaweit ausgeschrieben würden, während die OÖGKK versuche, regionale Anbieter mit anständigen Produkten zu marktüblichen Preisen zu verpflichten, so OÖGKK-Obmann Albert Maringer. Ob diese sich dann noch halten könnten, sei fraglich.

Geld fließt ab nach Wien

Schneider und Jenewein haben bereits im Juni eine erste Version der Studie präsentiert, damals basierend auf dem Regierungsprogramm und dem Ministerrats-Vortrag. Nun wurde sie mit den Angaben aus dem im Begutachtungsprozess befindlichen Gesetzesvorschlag überarbeitet. Die Zahlen in der ersten Version waren noch nicht so drastisch - so war darin noch von 1.590 bis 3.348 wegfallenden Jobs die Rede. Die Autoren erklären das damit, dass damals noch nicht klar gewesen sei, dass jene Erträge, die die OÖGKK nicht aus Versichertenbeiträgen lukriert, abfließen würden.

Zum Hintergrund: Die Einnahmen der OÖGKK kommen zu 85 Prozent aus den Versichertenbeiträgen. Dieses Geld solle laut dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf auch künftig wieder ins Bundesland zurückfließen. Die übrigen 15 Prozent, die sich aus sonstigen Erträgen wie Selbstbehalten oder Kostenersätzen z.B. des Bundes für das Wochengeld etc. speisen, wären demnach aber für Oberösterreich verloren. Und diese Erträge machen laut den Berechnungen Schneiders und Jeneweins den Löwenanteil des zu erwartenden Mittelabflusses der OÖGKK, nämlich 346,7 bis 610,4 Mio. Euro aus.

Frage der Rücklagen noch offen

Die große Bandbreite der errechneten Zahlen ergibt sich daraus, dass zwei Szenarien angenommen wurden - ein vorsichtig konservatives und eines, "wenn das Gesetz so gelesen wird wie es dasteht", wie es Jenewein formulierte. Noch nicht eingeflossen in die Berechnungen ist die Frage, was mit den Rücklagen der OÖGKK passiert - von diesen knapp 500 Mio. Euro sei die Hälfte gebunden, was mit der anderen Hälfte geschehen werde, sei offen, sagte Maringer.

Schneider räumte zwar ein, dass bei allen Negativeffekten für die oö. Wirtschaft "vielleicht wo anders auch etwas Neues entstehen" - sprich eine andere Region profitieren - könnte, dennoch steht er dem Projekt der Zentralisierung prinzipiell skeptisch gegenüber: "Aus ökonomischer Sicht kann ich nicht die Sinnhaftigkeit der Maßnahme erkennen", sagte er. Zudem gebe es "kein Beispiel in der Literatur, aus dem man ein ähnliches Einsparungspotenzial wie die von der Bundesregierung angekündigte Milliarde ableiten könne, verwies er auf Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.

Verfassungsklage möglich?

Von den insgesamt 15 verfassungsrechtlich bedenklichen Punkten in der Stellungnahme des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger zur Kassenreform stellen für den Verfassungsrechtler Walter Berka die Beitragsprüfung durch die Finanz, die Parität in den Gremien, das Aufsichtsrecht der Ministerien und Unklarheiten bei den Zuständigkeiten die größten Probleme dar. Ob der Hauptverband eine Verfassungsklage einbringt, ist vorerst noch offen.

Berka bezeichnete es heute als eine „spannende Frage“, ob ein aufgelöster Träger (bis 2020 soll es die Träger in ihrer jetzigen Form noch geben, Anm.) noch eine Klage einbringen kann. Vermutlich werde diese Frage der Verfassungsgerichtshof (VfGH) klären müssen. Der Verfassungsrechtler verwies jedoch darauf, dass bei Vereinen nach deren Auflösung die Mitglieder noch klagen können.

Eine Reform mit der angestrebten Reduktion auf fünf Träger wäre nach Ansicht des Experten aus verfassungsrechtlicher Sicht durchaus möglich. Mit „mehr verfassungsrechtlicher Bedachtsamkeit“ könnte man seiner Auffassung nach Lösungen finden, ohne die zentralen Anliegen der Strukturreform zu gefährden.