Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl sieht in einem viel kritisierten E-Mail aus dem Innenministerium zum Umgang mit Medien und Informationen einen Versuch, Berichterstattung "strategisch zu steuern, um Vorurteile und falsche Einstellungen zu verstärken". Es gehe um "die Vorherrschaft im öffentlichen Diskurs", meinte er auf APA-Anfrage.

"Medienpolitik und Öffentlichkeitsarbeit sind in allen Ministerien, und ganz besonders unter dieser Regierung, ein absolut zentrales Thema", konstatierte Kreissl, Geschäftsführer des Vienna Centre for Societal Security (VICESSE). Die Annahme, das - nunmehr einem einzelnen Sprecher des Innenministeriums zugeschriebene - Mail sei "nur mal so rausgestürzt, ist in hohem Maße unwahrscheinlich".

"Das Gegenteil von verantwortungsvoll"

"Eine verantwortungsvolle Informationspolitik ist wichtig, um eine realistische Einschätzung möglich zu machen", betonte Kreissl. Die Aufgabe müsse sein, eine aufgeklärte Haltung der Bevölkerung zu fördern. "(Innenminister Herbert, Anm.) Kickl dreht das praktisch um", sagte der Kriminalsoziologe.

Die Informationspolitik der Polizei sei Grundlage für die öffentliche Wahrnehmung des Ausmaßes bestimmter Formen von Kriminalität. 90 Prozent des Wissens der Bevölkerung darüber stamme "aus den Medien", die sich in ihrer Berichterstattung aber auf dramatische Ereignisse konzentrieren. Das führe dazu, dass Gefahren überschätzt würden. Medien auf der einen Seite würden relativ selten vorkommende Fälle "hypen". Der dadurch entstehende Eindruck, solche Aufsehen erregenden, aber vergleichsweise raren Vorfälle passierten am laufenden Band, werde auf der anderen Seite noch "verstärkt durch diese ministerielle Strategie".

"Kein ethnisches Problem"

Die Nennung der Nationalität eines Verdächtigen hält Kreissl nur dann für gerechtfertigt, wenn sie für die polizeilichen Ermittlungen, vor allem die Fahndung, von Bedeutung ist: "Es geht um die Tat, nicht den Täter." Die in dem Mail angesprochene verstärkte Öffentlichmachung von Sexualstraftaten im öffentlichen Raum solle solche Delikte "als ethnisches Problem darstellen. Es findet sich aber quer durch alle Schichten, Klassen und Nationalitäten". Dass die Kommunikation mit als "kritisch" empfundenen Medien eingeschränkt stattfinde solle, wie in dem Mail empfohlen, kritisierte Kreissl hart: "Das ist einfach Zensur."