Der Rückzug von Christian Kern von der SPÖ-Spitze hat alle Granden der Partei überrascht. Nach Informationen der Kleinen Zeitung wollte Kern zunächst aus privaten Gründen alles hinschmeißen. Dass er nach Europa geht, war nicht der große Masterplan. In Präsidium und Vorstand gingen die Wogen hoch. Viele hochrangige Parteimitglieder, insbesondere auch aus den Reihen der Gewerkschafter, waren empört über das eigenmächtige Handeln des Parteivorsitzenden. Die Parteijugend fordert die Direktwahl des neuen Vorsitzenden.

Private Gründe

Kern selbst begründete seine Spontanaktion mit seiner privaten Situation. Der Druck auf ihn, vor allem aber auch auf seine Frau, deren Firma mit zig Klagen belastet worden sei, sei zu groß geworden. Er wolle EU-Spitzenkandidat werden und wäre auch bereit, als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten in die Wahl zu gehen. Diesbezüglich sei aber noch nichts vorbesprochen. Es bedarf dafür der Unterstützung acht anderer Länder.

In zahlreichen Wortmeldungen wurde Kern vorgeworfen, die Partei mit seinem Handeln massiv beschädigt zu haben. Man stellte sich dennoch hinter ihn in seinem Bemühen, als SPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl anzutreten. Nur zwei Vertreter der Jugendorganisationen stimmten dagegen.

Gewerkschaft zeigt auf

Um die Positionierung innerhalb Europas müsse er sich selber bemühen. Und auch die Findung eines neuen Parteichefs delegierte man an ihn: Bis 15. Oktober soll er einen Kandidaten oder eine Kandidatin suchen und finden, "im Wechselspiel mit dem Präsidium". In den Gremien wurden Kriterien dafür festgelegt, die aber nicht kundgetan wurden.  Es hieß dazu nur, der "Kampf für die soziale Gerechtigkeit" stehe im Vordergrund. Auch das lässt darauf schließen, dass in das Vakuum nach dem Kern-Abgang die Gewerkschafter mit starker Stimme vorstoßen.

SJ fordert: "Basis soll entscheiden"

Mit einem Alternativvorschlag wartete die Parteijugend auf: Die Mitglieder sollten entscheiden, wie es weitergeht. Es muss Schluss sein mit Entscheidungen, die im stillen Kämmerchen getroffen werden. Unsere europäischen Schwesterparteien machen es uns vor: binden wir die SPÖ Basis bei dieser wichtigen Entscheidung ein!", fordert SJ-Vorsitzende Julia Herr.

Der Obmann der Wiener SPÖ, Bürgermeister Michael Ludwig, will verhindern, dass dem neuen SPÖ-Bundesparteiobmann das passiert, was ihm im Jänner widerfahren ist - nämlich sich einer Kampfabstimmung am Parteitag stellen zu müssen. Der neue Chef oder die neue Chefin sollen am 15. Oktober, also mit dem Ende der Bewerbungsfrist, feststehen.

Idealerweise sollte der neue Chef auch über ein Nationalratsmandat verfügen, befand der Wiener SPÖ-Chef. Es wäre seiner Ansicht nach sinnvoll, wenn die Person die Möglichkeit hätte, die "parlamentarische Öffentlichkeit" zu nützen.

Parteitag verschoben

Der Parteitag wird auf 24. und 25. November verschoben. Dort soll dann auch das neue Parteiprogramm samt Statut und Migrationspapier beschlossen werden. Am 6./7. Oktober - jenem Wochenende, an dem Kern wiedergewählt werden sollte, wird nun eine Klausur stattfinden.

Den offiziellen Stand der Dinge durfte nach Ende der Vorstandssitzung Parteigeschäftsführer Max Lercher verkünden. Der Steirer hängt selbst in der Luft: Erst vor 14 Tagen hatte er sein Mandat im Steiermärkischen Landtag zurückgelegt. Mit der Wahl eines neuen Parteichefs steht auch seine Position als Parteigeschäftsführer zur Disposition.

Vor einer Woche erst war die Wiederwahl Kerns als SPÖ-Chef vom Präsidium beschlossen worden. „Er ist ein unguided missile und hat uns in massive Turbulenzen gestürzt“, erklärt ein Insider, der nicht unbedingt zum Kern-Freundeskreis zählt. Zum Teil eine Folge der Eigendynamik nach 15 Uhr, als erste Gerüchte vom Abgang Kerns die Runde machten, urteil der steirische Parteichef Michael Schickhofer: "Aber das, was da abgegangen ist, darf nie mehr passieren. Das war unprofessionell."

"Nach dem gestrigen kommunikationsstrategischen Desaster war es wichtig, heute die Handlungsfähigkeit inklusive den notwendigen Beschlüssen für die Zukunft der Bundes-SPÖ unverzüglich wieder herzustellen", teilte der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser nach den Gremiensitzungen mit. Noch deutlicher wurde Alt-Kanzler Franz Vranitzky: "So kann man sich nicht verhalten, so kann man nicht abtreten", urteilte der langjährige SPÖ-Vorsitzende.

In einem Punkt war man bei der Krisensitzung im 12. Wiener Gemeindebezirk einer Meinung: Dass möglichst bald die Nachfolgefrage geklärt werden soll. Dem Vernehmen nach wurde im Renner-Institut am öftesten Doris Bures genannt. Die Zweite Nationalratspräsident gilt als Faymann und Ludwig-Vertraute, ihrer Karriereplanung sieht eine Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl vor. Heute Vormittag hat sie klar gestellt, dass sie nicht in die SPÖ-Parteizentrale in der Löwelstraße einziehen will.

Der in der SPÖ mächtige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig äußerte sich vor der Präsidiumssitzung im "Ö1-Mittagsjournal": "Erfreulicherweise hat die Sozialdemokratie eine ganze Reihe von geeigneten Persönlichkeiten, die in Frage kommen."  Trotz der Absage von Bures hält er das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen: "Es ist bekannt, dass ich eine hohe Meinung von Präsidentin Bures habe. Sie hat in vielen Funktionen bewiesen, dass Sie Politik kann und Sie ist für mich für viele Funktionen geeignet."

Drei Kandidaten sagten schon ab

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und und der designierte burgenländische Landeschef Hans-Peter Doskozil haben längst abgewinkt, sie wären schlecht beraten, auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Kern hätte gern Pamela Rendi-Wagner als Nachfolgerin installiert, doch gegen die smarte Ex-Gesundheitsministerin, die erst als Ministerin der Partei beigetreten ist, existieren in den traditionellen Reihen der SPÖ zum Teil massive Vorbehalte.

Auch der internationale Medienmanager, Ex-ORF-Chef und einstige Vranitzky-Sekretär Gerhard Zeiler wird genannt, dieser hatte sich eher Hoffnungen auf die Nachfolge von Faymann als Kanzler oder Häupl als Wiener Bürgermeister gemacht.  Ob er mit der Oppositionsbank - noch dazu ohne Nationalratsmandat - vorlieb nehmen würde, ist fraglich.

Amüsantes Detail am Rande: Kern hat in einem erst am heutigen Mittwoch erschienen Interview für die "Bezirksblätter" einen Rücktritt als SPÖ-Chef noch kategorisch ausgeschlossen: "Wenn man SPÖ-Chef ist, bleibt man SPÖ-Chef - und aus. Alles andere sind Gerüchte", sagte er laut dem Interview, das laut Bezirksblättern allerdings bereits vor zehn Tagen geführt wurde. Auch wolle er "mit sehr vielen" Stimmen am (nun abgesagten) Parteitag Anfang Oktober wieder zum SPÖ-Chef gewählt werden, kündigte Kern  an. Gefragt nach der Spitzenkandidatur für die EU-Wahl sagte er im Interview: "Wir werden den Spitzenkandidaten oder die Spitzenkandidatin im Dezember formell nominieren. Und wir haben eine Reihe von exzellenten Persönlichkeiten, die zur Auswahl stehen."