Die Vorgangsweise der Regierung beim Standortentwicklungsgesetz ruft scharfe Kritik hervor. Angesichts "heimlicher" oder unterlassener Stellungnahmen, aber auch kurzer Begutachtungsfristen könne man "den Eindruck haben, dass der Staat auf seine Bürger pfeift" und "Gesetze am Bürger vorbei beschließen will", sagte Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff zur APA. Der Politologe Hubert Sickinger sieht einen "Aspekt von Spin Control".

Nach der harschen Kritik am geplanten Standortentwicklungsgesetz wird es nun eine umfassende Überarbeitung geben, berichtet die "Wiener Zeitung" (Mittwochausgabe) mit Verweis auf den Verfassungsdienst des Justizministerium. Dieser habe nämlich - völlig ungewöhnlich - gar keine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf abgegeben, da sich der Entwurf bereits erübrigt habe.

Für Rechtsanwälte-Präsident Wolff ist das "besorgniserregend": Vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes seien früher immer sehr gute und profunde Stellungnahmen gekommen. Seit dieser - unter der ÖVP-FPÖ-Regierung - zum Justizministerium gewandert ist, "ist er überraschend ruhig geworden".

"Gesetze am Bürger vorbei"

Das "Gefühl, dass die Regierung Gesetze am Bürger vorbei beschließen möchte", hat Wolff nicht nur angesichts der unter Schwarz-Blau intensiv genützten Praxis, Gesetze mittels Regierungsvorlage (ohne zu begutachtenden Ministerialentwurf vorher) oder Initiativantrag ohne Begutachtung zum Beschluss zu bringen. Auch dass die Begutachtungsfristen neuerdings sehr kurz gehalten werden, sei "vielleicht Teil einer Taktik, damit es nicht zur Begutachtung kommen kann".

Das Kanzleramt selbst habe sechs Wochen empfohlen, aber im Vorjahr waren drei Viertel der Begutachtungsfristen kürzer - manche nur zwei Wochen, zum Erwachsenenschutzanpassungsgesetz gar nur zehn Tage, hat der Österreichische Rechtsanwaltskammertag erhoben. Und zum Datenschutzanpassungsgesetz 2018 gab es zwar eine Begutachtung, aber deren Ende wurde nicht abgewartet, sondern das Gesetz schon vorher beschlossen.

Transparentes Verfahren

Wolff gibt zu bedenken, dass der Verfassungsgerichtshof von 2014 bis 2016 281 Gesetze und Verordnungen ganz oder teilweise aufgehoben hat. Daher forderte er von der neuen Regierung ausreichende Begutachtungsfristen, ein transparentes Verfahren und die Nachvollziehbarkeit von Änderungen.

Das Standortentwicklungsgesetz wurde heute im Ministerrat behandelt und soll mit 1. Jänner des kommenden Jahres in Kraft treten. Insbesondere wird kritisiert, dass ein Großprojekt automatisch genehmigt ist, wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung über ein Jahr dauert, weil zum Beispiel der Projektwerber schlechte Unterlagen vorgelegt hat.

"Stellungnahme hat sich erübrigt"

"Eine Stellungnahme zum historischen Begutachtungsentwurf seitens des BMVRDJ (Justizministerium, Anm.) hat sich erübrigt, da vom BMDW (Wirtschaftsministerium, Anm.) bekanntgegeben wurde, dass dieser Entwurf maßgeblich überarbeitet wurde und weitere Arbeiten daran stattfinden", so das Justizministerium nun zur "Wiener Zeitung".

Das Wirtschaftsministerium relativierte allerdings die Aussagen der Justiz. "Es wird definitiv nicht neu aufgesetzt", so eine Sprecherin zur Zeitung. Man werde die im Begutachtungsverfahren eingelangten Stellungnahmen nur einarbeiten und gegebenenfalls einen Abänderungsantrag verfassen. Das entspreche dem normalen Ablauf der Gesetzgebung.

Kritik an der Vorgehensweise von der zuständigen Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) kommt von der SPÖ. Klubchef Andreas Schieder hat es nach eigenen Angaben noch "nie erlebt", dass der Verfassungsdienst derart umgangen wurde. "Demokratiepolitisch ist das ein No-Go", sagte er der Zeitung.

Laut Schieder prüft die SPÖ auch, ob man die vom Umwelt- und Landwirtschaftsministerium verschickte, aber nicht öffentliche Stellungnahme zum geplanten Gesetz das Parlament über eine Anfrage erhalten könnte.

"Politischer Maulkorb"

Der Politikwissenschafter und Parteienexperte Hubert Sickinger ist über die beiden prominenten Abwesenden im Begutachtungsverfahren überrascht. "Das ist ein völliger Bruch mit den Usancen. Das schreit ja danach, dass es hier einen politischen Maulkorb gab", so Sickinger. Er kritisiert das Abgehen vom transparenten Verfahren "aus kurzsichtiger Spin-Orientierung".

Im heutigen "Standard" übt der Verfassungsrechtler Heinz Mayer Kritik am geplanten Standortentwicklungsgesetz. "Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern muss zum Wohle des Staates und seiner Bürger tätig sein. Das neue Standortentwicklungsgesetz tut das nicht und gefährdet nebenher noch den Rechtsstaat", so der Experte. Weiters heißt es in seinem Kommentar: "Es geht schlicht um die Aushebelung des Rechtsstaates und um eine massive Verletzung des europäischen Rechts."

Und auch die Umweltschutzorganisation WWF lässt kein gutes Haar am Gesetzesentwurf. Sie spricht von einem "Freibrief für Betonierer" und fordert einmal mehr die Rücknahme des "völlig verpfuschten Entwurfs". Weiters fordert der WWF die Veröffentlichung der bisher nur intern übermittelten Stellungnahme des Umweltministeriums an das Wirtschaftsressort.