Demnächst tritt die Diskussion über die Reform der Mindestsicherung in eine heiße Phase: Im Herbst soll die Neuregelung beschlossen werden, die Details sind immer noch unklar, insbesondere die Frage, bis auf welche Summe die Sozialleistung gekürzt werden kann.

Die Mindestsicherung beträgt nämlich auch künftig 863,04 Euro, aber: Diese Summe kann von den Ländern gekürzt werden, und zwar sowohl dann, wenn von den Beziehern diverse Bedingungen nicht erfüllt werden, als auch dann, wenn die Länder aus anderen Gründen weniger auszahlen wollen.

Mit Vereinheitlichung gescheitert

Ziel ist eigentlich, die Mindestsicherung zu vereinheitlichen, dabei war diese Einheitlichkeit mit der vor einem halben Jahr außer Kraft getretenen 15a-Vereinbarung weitgehend gegeben. Einzelne Länder nützten den Spielraum, einen Teil der Geldleistungen in Sachleistungen umzuwandeln bzw. den Bezug an Arbeits- und Integrationsbereitschaft zu binden. Das wird auch künftig möglich sein, aber: Darüber hinaus soll es noch mehr Spielraum geben,  indem man etwa die Wohntangente weiter auszahlt oder kürzt.

Die neue Lösung wird also nicht einheitlicher, sondern im Gegenteil: Es werden erst recht neun verschiedene Lösungen provoziert. Mit dem Ziel der Vereinheitlichung ist die Regierung  - wie auch die vorige Regierung - an den unterschiedlichen Positionen der Länder gescheitert.

Was war eigentlich der Anlass?

Anlass der Diskussion war die Erkenntnis, dass ein System, das als Übergangslösung für Menschen in Not gedacht war, nicht funktionieren kann, wenn es ohne Veränderung der Systeme zu einer Grundsicherung für eine größere Anzahl von Menschen wird.

Diese Gefahr bestand, nachdem eine große Zahl von anerkannten Flüchtlingen Mindestsicherung beanspruchte: Menschen, die nichts   zu verlieren haben (kein Vermögen, das zuvor zu verwenden ist bzw. auf das der Staat gegebenenfalls zugreifen kann) und die auch wenig Chancen auf eine rasche Integration in den Arbeitsmarkt haben.

Ungerechtigkeiten verstärkt

Als Dauerlösung ist das System der Mindestsicherung nicht geeignet, und bestehende Ungerechtigkeiten wurden durch die wachsende Gruppe derer, die sie in Anspruch nehmen, noch verstärkt:

Selbstverständlich stößt es Österreicherinnen und Österreichern sauer auf, wenn sie selbst - im Gegensatz zu den besitzlosen  Neuankömmlingen - zuerst Haus und Hof veräußern müssen, um Anspruch auf diese Leistung zu haben. Oder aber jahrelang ins Pensionssystem eingezahlt haben und eine niedrigere Leistung herausbekommen als andere, die nichts eingezahlt haben ins System. Oder feststellen, dass Zuwanderer sich aufgrund dieser Existenzsicherung viele Kinder leisten können, sie selbst aber nicht.

Über nötige Formen der Existenzsicherung aller Menschen, die in Österreich leben (wohlgemerkt: Es geht auch bei den Zugewanderten nie um Asylwerber, sondern immer um Menschen, die bereits einen gültigen Aufenthaltstitel haben), über Absicherung in Notsituationen und Grundsicherungsmodelle, über Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit samt Unterstützung und "Motivationsinstrumenten" bis hin zur drohenden Kürzung der Sozialleistung ließ und lässt sich trefflich streiten.

Debatte ohne Tiefe

Genau das tut die türkis-blaue Bundesregierung bisher allerdings nicht. Daran, der Diskussion eine neue Tiefe zu geben, sind Kanzler Kurz und Vize Strache gescheitert. Über den Anti-Ausländer-Aspekt fand man bislang nicht hinaus.

Die Debatte wabert zwischen Asylwerbern und Asylberechtigten, Anspruch und Missbrauch, Bezugsberechtigten und potenziellen Beziehern, die man durch ein zu gutes System anlocken könnte, zwischen Fixbeträgen, Belohnungen für die "Braven" und Bestrafungen für die "Unwilligen" hin und her, ohne die entscheidenden Punkte anzusprechen, abzuarbeiten und einer sinnvollen Lösung zuzuführen.

Dies, obwohl sinnvolle Lösungen vorliegen, wie etwa das Vorarlberger Modell oder das sehr ähnliche steirische Modell der Mindestsicherung, das Sanktionen bei Arbeits- oder Integrationsunwilligkeit vorsieht. Die Zahlen: 2017 wurden exakt 1.073 Sanktionen an 746 Mindestsicherungsbeziehern ausgesprochen. Hauptgrund waren vor allem Gründe, welche mit Maßnahmen des Arbeitsmarktservice zusammenhängen, wie beispielsweise die Verweigerung der Begutachtung der Arbeitsfähigkeit oder die Verweigerung der Vormerkung beim AMS.

Erfolgreiche Modelle ignoriert

Betroffen waren übrigens 286 Drittstaatsangehörige, aber 423 und damit doppelt so viele Österreicher und 37 EU-Bürger. "Missbrauch wird streng geahndet", betont die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus. Die Geldleistung könne in Einzelfällen auch komplett gestrichen werden. Mindestsicherung mit einem generellen "Sozial-Schmarotzertum" zu verbinden sei allerdings unzulässig, "dagegen verwehre ich mich und sehe dies durch die Zahlen bestätigt".  

Die Bundesregierung griff diese Vorleistungen nicht auf. Und sie scheiterte bislang daran, Instrumente zu schaffen, wie Menschen in Arbeit gebracht werden und Zuwanderer integriert werden können. Statt dessen werden Kurse gestrichen, Mittel gekürzt und erprobte Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik abgeschafft.

Die dogmatisierte Ausländerphobie gipfelt darin, dass nun auch jugendliche Asylwerber, die erfolgreich im Wege einer Lehre in Österreich Fuß gefasst haben und die Österreichs Wirtschaft dringend braucht, abgeschoben werden sollen. Im selben Atemzug spricht man davon, dass Österreichs Wirtschaft die "geordnete Zuwanderung" braucht, um den Mangel an Fachkräften abzudecken. Die, die man schon hat, will man loswerden. Für die, die man braucht, findet man keine geeigneten Wege, sie ins Land zu holen.

Politische Agenda dünn geblieben

Ein Fortschritt durch die neue Regierung in Sachen Integrationspolitik einerseits und Mindestsicherung andererseits ist folglich nicht zu erkennen. Die Verantwortlichen und auch (zu) viele, die sich sonst noch berufen fühlen, sich zu äußern, verheddern sich in ihren Gefühlen, in mangelnder Sachkenntnis und in ihrem allgemeinen Bemühen darum, alles was vor türkis-blau war, schlecht zu reden.

Wie im Wahlkampf werden auch jetzt nur die Emotionen der potenziellen Wähler adressiert. Die politische Agenda in Sachen Sozialpolitik ist dünn geblieben.