Wenn Sie raten müssten, welche Koalition in ihrem ersten halben Jahr mehr Reformen beschlossen hat: Rot-Schwarz unter Werner Faymann und Michael Spindelegger oder Schwarz-Blau unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache: Was würden Sie vermuten?

In den vergangenen Monaten war so oft die Rede vom Umbau des Staates, von dem enormen Tempo, das die Regierung Kurz im Vergleich zu der ewigen Lethargie unter der ehemals „Großen Koalition“ an den Tag lege, dass die erste Antwort wohl wäre: Klar, Kurz.

Genau dasselbe Tempo wie Faymann II

Allein: Dieser erste Impuls stimmt nicht. Wie die aktuelle Tagungsbilanz des Nationalrates zeigt – die Bestandsaufnahme, die der Gesetzgeber jedes Jahr zu Beginn der Parlamentsferien veröffentlicht –, hat Schwarz-Blau gesetzgeberisch im ersten halben Jahr 2017/18 exakt dasselbe Tempo wie Rot-Schwarz 2013/14 an den Tag gelegt.

In 37 Plenarsitzungen seit November hat der neue, schwarz-blau dominierte Nationalrat 62 Gesetze beschlossen. Vergleicht man das mit 2013/14, dem ersten Halbjahr der (fortgesetzten) rot-schwarzen Koalition, steht dort dieselbe Zahl: Auch damals beschloss der Nationalrat 62 Gesetze.

Geschwindigkeitsmeister in der Finanzkrise

Im Vergleich zum ersten Semester nach der Nationalratswahl 2008 stellt das sogar geradezu ein Schneckentempo dar: Die damalige Koalition Faymann/Pröll verabschiedete um die Hälfte mehr Gesetze als die beiden folgenden. Der Vergleich ist aber ein wenig unfair: Viele der Ende 2008/Anfang 2009 beschlossenen Maßnahmen waren kurzfristig konzipierte Bestimmungen, die Österreich – aus heutiger Sicht recht erfolgreich – helfen sollten, die Finanzkrise zu bewältigen, Stichwort Kurzarbeit und öffentliche Investitionspakete.

Einstimmigkeit kommt aus der Mode

Diesen Maßnahmen ist auch geschuldet, dass das erste halbe Jahr Faymann/Pröll von ungewohnter Harmonie zwischen Regierungsparteien und Opposition geprägt war: Fast die Hälfte aller Gesetze, 45 Prozent, wurde damals einstimmig beschlossen; unter der folgenden rot-schwarzen Koalition waren es 2013/14 nur noch weniger als ein Viertel aller Gesetze, 22,5 Prozent, auf die sich alle (mit BZÖ, Grünen und Team Stronach sechs) Fraktionen im Nationalrat einigen konnten – wieder ein Wert, der unter der aktuellen Koalition praktisch gleich geblieben ist: Im ersten Halbjahr des neuen Nationalrates wurden 22,6 Prozent der Gesetze einstimmig beschlossen.

Jetzt taugt die Zahl der beschlossenen Gesetze natürlich nur bedingt als Maßzahl, in welchem Ausmaß eine Koalition Österreich umbaut: Ein einziges, inhaltlich fundamentales Gesetz kann mehr verändern als Hunderte mit bloßen Verwaltungsanpassungen beinhalten. Aber diese Zahl gibt doch einen Maßstab, wie leicht es ist, sich von guter (oder schlechter) Kommunikation blenden zu lassen: Wer sagt, dass er viel tut, muss noch lang nicht genau der sein, der besonders viel auf den Boden bringt.