Die Befürworter der Arbeitszeitgesetz-Novelle sehen mehr Flexibilität. Es soll sich grundsätzlich nicht viel verändern. Was lässt Sie daran zweifeln?

WOLFGANG KATZIAN: Das Problem ist, dass genau das nicht im Gesetz drin steht. Wenn ich heute zehn Leute frage, ob sie flexibel arbeiten wollen, sagen neuneinhalb ja. Aber flexible Arbeitszeit ist nur dann wirklich flexibel, wenn ich selbstbestimmt die angesparte Zeit verbrauchen kann. Das ist nicht der Fall, der Verbrauch hängt von der Zustimmung des Arbeitgebers ab.

Sollen die Arbeitnehmer nicht mehr „individuelle Freiheit“ haben?

KATZIAN: Hinter dem Aus für die nötige betriebsrätliche Zustimmung zum 12-Stunden-Tag steckt der Angriff auf die betriebliche Mitbestimmung. Die Betriebsräte sind Teil der repräsentativen Demokratie auf Betriebsebene. Das ist, wie wenn ich ein Schild aufstellen würde mit dem Text: Sie verlassen jetzt das Hoheitsgebiet der Republik Österreich und betreten das Hoheitsgebiet der Firma xy. Das werden sich die 60.000 Betriebsräte nicht gefallen lassen.

Zur Vorgangsweise: Hat die SPÖ im vergangenen Herbst die Büchse der Pandora geöffnet, mit dem Beschluss der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten ohne Begutachtung?

KATZIAN: Das war etwas anderes. Kurz hat das Thema im Wahlkampf aufgebracht, die SPÖ hat die Idee aufgegriffen, es wurden Gespräche im Parlament geführt. Erstens ist dabei eine dreijährige Übergangsfrist vereinbart worden, zweitens eine branchenweise Umsetzung, weil es ja einen Unterschied macht, ob es dabei um die  Bauwirtschaft geht oder um eine andere Branche. Und drittens haben die Arbeitgeber ja ein Gegengeschäft gemacht, die Auflösungsabgabe wurde gestrichen. Jetzt gibt es keine Verbesserungen für die Arbeitnehmer, nur eine Husch-Pfusch-Aktion über Nacht.

Zur Sache: Was spricht dagegen, dass manches, was sich eingeschlichen hat, im Tourismus zum Beispiel, legalisiert wird? Dass Hürden zum betrieblich notwendigen 12-Stunden-Tag abgebaut werden?

KATZIAN: Da geht es immer um die Frage: Wer ist stärker und wer schwächer in der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung? Vorgangsweisen, die sich eingeschlichen haben, entstanden nicht, weil der Mitarbeiter sie sich gewünscht hat, sondern weil der Arbeitgeber sanften Druck ausgeübt hat. Aber wir wären ja vor einem Jahr dazu bereit gewesen, genau diese Dinge zu regeln. Das ist daran gescheitert, dass keine Bereitschaft der Wirtschaft dazu da war, auch nur einen Millimeter nachzugeben in Richtung  Verbesserung für die Arbeitnehmer. Da rede ich nicht von Arbeitszeitverkürzung und Urlaubsverlängerung, sondern von selbstbestimmten Freizeitblöcken. Wenn einer verbrieften Verschlechterung nichts gegenübersteht an  Verbesserungen, kann keine Gewerkschaft der Welt zustimmen.

Was ist der nächste Schritt?

KATZIAN: Nach dem Beschluss im Parlament richten wir das Scheinwerferlicht auf den nächsten Ort des Geschehens, den Bundesrat. Wie sehen das die Landeshauptleute? Was wird geschehen für den Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen? Wenn der Bundesrat das Gesetz ebenfalls durchwinkt, richten wir das Augenmerk auf die, die sich das Gesetz gewünscht haben.

Sie haben in Wien 100.000 Menschen auf die Straße gebracht. Gibt es weitere Demonstrationen? Streiks?

KATZIAN: Wir werden den Sommer nützen, aber ich will noch nicht über Details reden. Man wird es spüren, wenn es stattfindet.

Gibt es einen Zeitplan für eine Volksbefragung?

KATZIAN: Wir als Gewerkschaft machen kein Volksbegehren, wir wenden uns konkret an die, die etwas tun können, den Nationalrat, den Bundesrat, die Betriebe und Strukturen, die sich das gewünscht haben.

Die Bevölkerung wollen Sie nicht weiter hinter sich  versammeln, etwa mit einer Unterschriftenaktion, wie sie die Anti-Raucher-Front gestartet hat?

KATZIAN: Ich schließe das nicht aus, aber es ist im Moment nicht im Fokus.

Die „Besteller“ – ist das nur die Industriellenvereinigung?

KATZIAN: Das ist die Interessensvertretung, dahinter stehen aber die Betriebe. Da gibt es viele Aussagen, es wird verschiedenste Aktivitäten auch im Sommer geben…

Was hat sich für Sie verändert? Ist die Sozialpartnerschaft zerstört?

KATZIAN: Wenn ich gestern einige Aussagen im Parlament gehört habe, hat das fast so geklungen. Aber ich glaube das nicht, wir hatten ein erstes Treffen der Präsidenten der vier Sozialpartnerorganisationen, ein informelles Kennenlernen. Wir haben vereinbart, dass wir weiter miteinander sprechen. 

Redet der Präsident der Industriellenvereinigung mit Ihnen?

KATZIAN: Der ist kein Sozialpartner.

Haben Sie mit ihm ein Problem?

KATZIAN: Ich habe des öfteren interessante Gespräche mit Georg Kapsch geführt. In letzter Zeit aber nicht.

Hätten Sie sich gewünscht, dass Ihnen die Wirtschaftskammer als Sozialpartner beisteht?
Deren Präsident Harald Mahrer macht das auch erst seit ein paar Monaten. So etwas muss wieder wachsen. Es wird einfach schwieriger, weil gewisse Dinge im Regierungsprogramm stehen und nicht so einfach umzukrempeln sind. Wir wussten, was da auf uns zukommt. Zusammensetzen und reden, das ist normal, auch, dass dann Beschlüsse gefasst werden, die einem nicht passen. Aber gar nicht zu reden? Es gab kein einziges Gespräch mit ÖGB und AK. Wir hätten auf ein paar Blödheiten aufmerksam machen können. Heute sagen führende Juristen, dass gigantische Probleme auf uns zukommen, weil keiner weiß, was gemeint ist. Eine Flut an Klagen - die hätten wir uns ersparen können.

Veränderungen gibt es an vielen Ecken des Systems. Was ist Ihrer Meinung nach der große Plan?

KATZIAN: Was erkennbar ist, ist dass die Republik umgebaut wird, dass das Soziale einen geringeren Stellenwert hat. Das ist nicht gut für die Schwächeren in der Gesellschaft. Es werden die Innovatoren beschworen, die „hidden champions“, das sind die 5 oder 10%, die vorausgehen. Wir gehen halt einen anderen Weg. Wir würden die Menschen gerne beim Marsch über die Alpen mitnehmen und keinen zurücklassen, Seilschaft bilden, wo auch der Schwache mitkommt. Das ist der Unterschied. Welche Gesellschaft wird hier gerade errichtet, ist die  Frage. Es ist keine gute für die Schwächeren in der Gesellschaft. Da wird es Widerstand geben, nicht nur von uns.

Von wem sonst?

KATZIAN: Es gibt viele, die sich keine Gesellschaft wünschen, wo der Stärkere den Schwächeren tot beißt, sondern eine gerechtere Welt. Wir wollen nicht spalten, auseinander dividieren, mit Hass und Feindschaft arbeiten, und das bezieht sich nicht nur auf das Thema Zuwanderung. Denn als das führt zu einer Gesellschaft, vor der ich schon im Parlament gewarnt habe, zu einer Gefährdung der Demokratie. Ich möchte nicht in einem anderen System aufwachen!

Was wäre denn da der Nutzen für türkis-blau?

KATZIAN: Das Brechen der Gewerkschaften, das Beiseiteschieben der Sozialpartner, die Alleinbestimmung durch die beiden Parteien, der Umbau der Republik so, wie sie es für richtig halten.

Was genau haben ÖVP und FPÖ davon?

KATZIAN: Da steckt Kalkül dahinter. Es werden die Ängste der Bevölkerung bedient und gespielt, Und man setzt sich selber unter Druck, auch gegenüber den Medien, die Dinge so darzustellen, wie sie gewünscht werden, nicht so, wie sie sind. Dahinter steckt der Plan, dass es nicht nur eine Regierungszeit von einer Periode werden soll, sondern mehr.