Für den ÖGB ungewöhnlich scharfe Worte waren Samstagnachmittag bei der Abschlusskundgebung der Demonstration gegen die Ausweitung der Höchstarbeitszeit zu hören. Der Vorsitzende der Postgewerkschaft Helmut Köstinger rief dazu auf, die unsoziale und ungerechte Regierung "zu stürzen".

Seiner Meinung nach greift die Koalition den Menschen nicht nur in die Tasche, sie spiele auch mit der Gesundheit der Arbeitnehmer. Ähnlich sieht das die Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend Susanne Hofer: "Die Regierung scheißt auf uns", konstatierte sie auf der Festbühne. Der Chef der "younion" Christian Meidling sprach an, dass mit Anfahrtszeiten Kinder bis zu 14 Stunden auf ihre Eltern warten müssten: "Geht's noch, liebe Regierung?"

ÖGB-Chef Wolfgang Katzian pfiff Köstinger später ein wenig zurück: Der ÖGB akzeptiere jede demokratisch gewählte Regierung, aber nicht automatisch jedes von deren Vorhaben. Davor hatte sich schon ÖGB-Vize Norbert Schnedl von Köstinger distanziert. Der Chef der Christgewerkschafter betonte, er sei nicht dafür da, die Regierung zu stürzen, sondern um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen zu verbessern.

Ansonsten zeigte sich aber auch Schnedl durchaus entschlossen. Er forderte den Ausbau der Sozialpartnerschaft und glaubt an die Durchschlagskraft der Gewerkschaft: "Die kommende Dekade ist die Dekade der Gewerkschaften."

Wolfgang Katzian hat zum Abschluss der ÖGB-Großkundgebung gegen die Ausweitung der Höchstarbeitszeit die Regierung aufgefordert, ein Referendum zu 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche abzuhalten: "Fragt das Volk", forderte der ÖGB-Präsident die Koalition auf.

Katzian betonte in seiner Rede, dass der heutige Tag erst der Anfang der Proteste sei und definitiv nicht das Ende: "Wir werden Widerstand leisten mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen."

Friedlicher Verlauf

Der Demonstrationszug mit fast 100.000 Teilnehmern vom Westbahnhof durch sechsten und siebenten Wiener Gemeindebezirk in die Innenstadt war dafür außerordentlich friedlich verlaufen. Mit Trillerpfeifen und diversen Transparenten, z.B. "Basti, glaubst du an ein Leben nach der Arbeit?", wurde aber stets deutlich gemacht, was man von den Regierungsplänen in Sachen Arbeitszeit hält.

Polizei erhöhte Teilnehmerzahl auf 80.000

Die Polizei hat am Samstagnachmittag die Zahl der Teilnehmer an der ÖGB-Demonstration gegen die Pläne der Regierung zur Höchstarbeitszeit auf 80.000 Personen erhöht, nachdem sie zunächst nur 25.000 bis 30.000 gezählt haben wollte. Der ÖGB sprach von mehr als 100.000 Teilnehmern. Gegen 17.00 Uhr fand die Schlusskundgebung am Heldenplatz statt.

Während erste Teilnehmer schon am Nachmittag wieder abströmten, fanden sich erst die letzten am Heldenplatz ein. Zuvor der Demonstrationszug vom Westbahnhof durch sechsten und siebenten Wiener Gemeindebezirk in die Innenstadt gezogen.

Der ÖGB reagierte mit der machtvollen Demonstration auf die Pläne der Regierung zur Ausweitung der Höchstarbeitszeit. Bei bestem Demo-Wetter, also Sonnenschein bei trotzdem moderaten Temperaturen, versammelten sich Zehntausende am Wiener Westbahnhof, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen.

Das Trillern der Gewerkschaftspfeifen begleitete die Gruppen auf dem Weg vom Bus zur Bühne, tausende Luftballons, hunderte Plakate auf Holzständern lagen bereit. Es soll ein eindrucksvolles Zeichen sein, dass die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen heute an Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und an die Nationalratsabgeordneten der Regierungsparteien senden wollen. Zum Teil in Abwesenheit: Die Regierungsspitze weilt ja auf der Planai.

Gekommen war das Who is Who der Gewerkschaft ergänzt um die sozialdemokratische Spitzenpolitik, repräsentiert an der Spitze durch Bundesparteichef Christian Kern (SPÖ) und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Auch zahlreiche Abgeordnete der SPÖ, Mitglieder der Wiener Landesregierung und der niederösterreichische SP-Chef Franz Schnabl scheuten den Marsch Richtung Heldenplatz nicht.

"Einen Finger könnt ihr uns brechen..."

Die neue Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend, die Steirerin SusanneHofer, bezog bereits ganz am Anfang Stellung. Unfassbar sei die Abschaffung der Jugendvertrauensräte, aber der Widerstand habe Kraft: "Einen Finger könnt ihr uns brechen, eine Faust nicht." Ein Postgewerkschafter schreit in die Menge: "Was haltet ihr von dieser unsozialen Regierung?" - und wieder ein Pfeifkonzert. "Wir sind viele, können viel bewegen." Laut werde man heute sein, heißt es, sehr laut. "Es hilft der Regierung nichts, sich in Schladming zu verstecken!"

Der Vorsitzende der Christgewerkschafter Norbert Schnedl versicherte zu Beginn der Demo, dass man sich nicht auseinanderdividieren lasse: "Nur gemeinsam können wir etwas bewegen." Er betonte: "Wir sind überparteilich". Es gehe um die Sozialpartnerschaft. "Die lassen wir uns nicht nehmen. Wir wollen Verhandlungen auf Augenhöhe." Er forderte Mitbestimmung. Auch AK-Präsidentin Renate Anderl äußerte in einer kurzen Ansprache ihre Solidarität mit den Gewerkschaftsfreunden und ärgerte sich, dass die Regierung das Gesetz durchpeitschen wolle. Dies würden sich die Menschen nicht gefallen lassen.

Genauso sieht das Alt-Kanzler Kern. Gegenüber Journalisten sagte er: "Die Menschen präsentieren der Regierung jetzt die Rechnung." Das zahlreiche Erscheinen der Kundgebungsteilnehmer sei eine Botschaft direkt an Kanzler Kurz.

Der Protest richtet sich vor allem gegen zwei Teilaspekte:

Ausweitung der Arbeitszeit

Zum einen gegen die generelle Ausweitung der maximal möglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden, die nicht mehr an einen "besonderen, vorübergehenden" Arbeitsbedarf gekoppelt ist. Die Zahl der maximal möglichen Überstunden erhöht sich dadurch von 320 auf 416 Stunden pro Jahr, und auch wenn im Gesetz jetzt die Freiwilligkeit verankert wird, fürchtet man, dass Arbeitnehmer dadurch unter Druck geraten.

Ausbremsen der Betriebsräte

Zum anderen protestieren Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Opposition dagegen, dass mit dem Gesetz die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausgehebelt wird: Betriebsvereinbarungen können, müssen künftig aber keine abgeschlossen werden, was vermutlich dazu führt, dass auch bestehende Vereinbarungen aufgekündigt werden. Und Kollektivverträge können, müssen aber keine Bestimmungen über die zeitliche Festlegung des Zeitausgleichs und allfällige höhere Zuschläge enthalten.

Arbeitskämpfe in Sicht

Beschlossen werden sollen die neuen Arbeitszeit-Regeln kommenden Donnerstag im Nationalrat. Die Gewerkschaft hat bereits jetzt für diesen Fall weitere Proteste angekündigt. Streiks werden nicht ausgeschlossen, zudem erwartet man sich eine sehr harte Herbstlohnrunde. Der soziale Frieden gerät massiv in Gefahr.

Das Worst Case Szenario: Arbeitnehmer könnten sich gezwungen sehen, die fehlenden Regelungen für Zeitausgleich und Zuschläge in die Kollektivverträge hineinzuverhandeln. Die Arbeitgeber wiederum könnten sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen und die Kollektivverträge womöglich überhaupt aufkündigen.

Als warnendes Beispiel mag Deutschland dienen: In Österreich sind die Rahmenbedingungen von rund 97 Prozent aller Arbeitsverhältnisse durch Kollektivverträge geregelt (Gehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Arbeitszeit, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, etc.), in Deutschland nur noch rund die Hälfte.