Es sind im Wesentlichen drei Themen, um die sich die ORF-Debatte gebetsmühlenartig dreht: Unabhängigkeit, Qualität und Finanzierung.

Erstgenanntes ist theoretisch schnell abgehandelt, in Wiederholung von vielfach Gesagtem. Selbstverständlich müssen die Journalisten im ORF frei und unabhängig von Eigentümern, Politik und Geschäftsführern arbeiten können. Diese Grundsätze sind nicht verhandelbar. Punkt. So einfach und doch nicht so schön. Denn so funktioniert das System ORF nicht. Geschäftsführung und leitende Positionen bis weit hinunter werden unter Einfluss von und Mitwirkung der Politik und dem Versuch, diese „gnädig“ zu stimmen, vergeben. Unter Führung eines Generaldirektors, der „Dealen“ als die ihm eigene wesentliche Eigenschaft bezeichnet hat und der seine politische „Unschuld“ spätestens mit seiner Bestellung im Jahr 2006 verloren hat. Kritiker meinen, Alexander Wrabetz führe nicht, er laviere den Tanker ORF durch die Begehrlichkeiten der Politik, aber auch der Privatsender geschickt hindurch. Es gibt Stimmen, die meinen, ohne ihn gäbe es den ORF in seiner aktuellen Form nicht mehr. Mag sein, es steht außer Frage, dass der ORF mit ihm schon längst anders aufgestellt sein sollte.

All das wirkt sich praktisch überall auf die Qualität aus. Der gemeinsame Standort kommt am falschen Platz und um viele Jahre zu spät, er schlittert dank mangelhafter Planung auf dem Niveau des Plans B herum und ist mit dem Herzstück, einem gemeinsamen Newsroom von Fernsehen, Radio und Online, bereits in der Planung hoffnungslos veraltet. Es fehlt die so überfällige Antwort auf die Frage, wie sich das Unternehmen in Zeiten von Digitalisierung, Facebook und Google positionieren muss, um zukunftsfähig zu sein. Der amtierende Generaldirektor hat einmal den Satz gesagt: „Es geht in der Zukunft darum, dass die ORF-App überall auf der Startseite sein muss.“ Schön, aber wie schafft der ORF das? Wie soll und wird Fernsehen, Radio, Internet, wie wird Information in zehn Jahren aussehen? Qualität hat ohne Plan keine Zukunft.

Michael Csoklich
Michael Csoklich © www.bigshot.at

Wahrscheinlich haben die wichtigen Leute im ORF auch keine Zeit für solche Überlegungen. In Zeiten politischer Umbrüche müssen sie schauen, dass ihnen nicht der Sessel weggezogen wird. Und es wird viel Zeit dafür verwendet, neue Channel-Manager und Chefredakteure zu installieren – was oft die eigene Position festigt, wenn die richtigen Namen bestellt werden. Ein leidiges Spiel zulasten der Zukunft des ORF. Und wer jetzt jammert, wenn durchaus auch qualifizierte Mitarbeiter ihren Job verlieren, soll nicht vergessen, warum diese ihn bekommen haben. Die Politik gibt, die Politik nimmt.

Verpolitisierung

Diese völlige Verpolitisierung des ORF wirkt sich auf alle Mitarbeiter aus und teilt aus meiner Sicht die Belegschaft in drei Teile. Ein Teil sieht sein Fortkommen im Unternehmen darin, sich der Politik in unterschiedlichster Form anzubiedern. Der zweite Teil macht Dienst nach Vorschrift, hat also innerlich gekündigt. Der verbleibende Teil ist der, der den ORF „über Wasser“ hält. Dieser Teil nämlich sieht seine Aufgabe darin, gute und qualitative hochwertige Arbeit mit großem Einsatz zu leisten. Leicht fällt das nicht immer, denn Desinformation und Demotivation im ORF gehören zum täglichen Brot. Und das ist der Qualität nicht förderlich.

Mit im Boot sitzen die Mitglieder des Stiftungsrats. Die wenigsten mit Medienexpertise ausgestattet. Es darf bezweifelt werden, dass sie immer die Konsequenz dessen verstehen, was sie beschließen. Abnicken ist an der Tagesordnung. Und der neue, 74-jährige Vorsitzende ist weder von der Fachkenntnis noch vom Alter her ein Signal für die Zukunft, das wird mit lauten Tönen zu überdecken versucht. „Die Mitglieder des Stiftungsrats dürfen bei ihren Entscheidungen keine eigenen Interessen oder die ihnen nahestehender Personen oder nahestehender Unternehmen verfolgen, die im Widerspruch zu den Interessen des Österreichischen Rundfunks stehen.“ So steht es in der Geschäftsordnung. Der Stiftungsrat hat also das Wohlergehen des Unternehmens im Auge zu haben, nicht das der Politik. Das Gegenteil ist der Fall.

Sparprogramme

Das zeigt der Beschluss eines Sparprogramms nach dem anderen, oft mit abstrusen Auflagen verknüpft. Das große Konzept dahinter ist den Mitarbeitern kaum ersichtlich. Es gibt nämlich offenbar keines. Selbst das des gemeinsamen Standorts ist eigentlich keines. Diese Entscheidung war mehr von der Not des Sanierungsfalls Küniglberg getrieben. Nach wie vor entspricht die Organisationsstruktur jener der 80er-Jahre oder noch früher. Die Riege der Techniker ist unverhältnismäßig groß, die der Journalisten klar zu klein. An die 1000 Mitarbeiter sind in vielen Jahren abgebaut worden. Die ORF-Führung und die meisten Stiftungsräte nennen das stolz „Sparen ohne Qualitätsverlust im Programm“. Müssen sie ja sagen, die meisten nicken brav ab, was ihnen vorgelegt wird und was ihnen und der Politik opportun erscheint. Gesehen und erkannt haben sie die Folgen dieser Sparpolitik nicht.

Trotzdem viel Qualität

Dass trotz dieser Anhäufung an Unvermögen der ORF so viel Qualität produziert, grenzt an ein Wunder und ist dem Einsatz und dem Können vieler Mitarbeiter geschuldet. Sie fordern und beschwören die Unabhängigkeit und Informationsfreiheit und verwehren sich zu Recht gegen Einmischungen und Drohungen von wem auch immer. Es gibt aber auch eine andere Form der Unabhängigkeit, und da gibt es durchaus Verbesserungspotenzial. Die Unabhängigkeit von der eigenen Meinung im Rahmen der Arbeit. Was der (oder die) Einzelne über z. B. Trump, Putin, Orbán denkt, wie er zu TTIP oder CETA steht, ob er Grasser, Kurz oder Kern mag, ob er die FPÖ in der Regierung gut findet, ob er glaubt, es gebe zu viel Armut und zu wenig Gerechtigkeit – all diese Meinungen haben für die Arbeit unerheblich zu sein. Da sollte der Redakteursrat ebenfalls wachsam sein.

Finanzierung

Bleibt als letzter der drei Diskussionspunkte die Finanzierung. Es gibt kaum ein Unternehmen in Österreich, wo das Gesetz die Einnahmen festlegt (die Gebühren und Werbezeit) und gleichzeitig über den Informationsauftrag und Sparauflagen auch die Ausgaben maßgeblich mitbestimmt. Selbstverständlich muss die Finanzierung des ORF gesichert und politisch unabhängig sein und bleiben. Ausreichend gesichert, sei ergänzt. Ob über Gebühren oder eine Haushaltsabgabe, ist wahrscheinlich am Ende vielleicht eine rechtliche, jedenfalls aber eine Geschmacksfrage.

Damit sind wir beim Thema: Wozu braucht man den ORF? Aus meiner Sicht ist die Frage wichtiger, wie ein Aus des ORF die Medienlandschaft und das Nachrichtenklima in diesem Land verändern würde. Und gibt es dann noch ein Gegengewicht zur Boulevard-Macht und den Social-Media-Konzernen? Diese Frage läuft parallel zur Diskussion, ob der Generaldirektor abgelöst werden soll. Hinausgeworfen ist rasch jemand, aber: Wer kann es besser? Wer kann den ORF so umrüsten, dass er die Zukunft über- und erleben wird? Sachliche Diskurse darüber gibt es leider nicht. Denn praktisch jeder Akteur spielt sein eigenes Spiel. Es gibt kein Unternehmen, das so unobjektiv in der Kritik steht, positiv wie negativ, wie der ORF. Ob Politik oder Printmedien mit ihren eigenen Radio- und/oder Fernsehkanälen – sie wollen sich Rosinen aus dem Kuchen picken. Der ORF und seine Zukunft haben keine Priorität.

Mut zum Risiko

Der ORF muss endlich seine Zukunft selbst in die Hand nehmen. Ohne nach links und rechts zu schielen, wem man gerade zweckdienlich sein möchte und muss. Wer, wenn nicht viele Mitarbeiter, haben das Zeug, entsprechende Zukunftskonzepte zu erarbeiten? Mit Mut zum Risiko, zur Veränderung und einem Bekenntnis zu Unabhängigkeit und Qualität. Dazu eine Führung mit Haltung im besten Sinn, die auch alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit auf den neuen Weg nimmt. Der ORF darf nicht warten, dass ihm die Politik über selbst ernannte Experten und eine Medienenquete ausrichtet, was er zu tun hat.