Heute will die Regierung ihre Eckpunkte zur Sozialversicherungsreform durch den Ministerrat winken. Möglicherweise gibt es dazu auch inhaltlich noch weitere Details.

Der weitere Plan: Den Sommer über sollen die Gesetze dazu erarbeitet werden. Mit Beginn des Jahres 2019 soll die Reform in Kraft treten. Die Spitze der Arbeitnehmervertretung formiert sich indes zu ihrem Protest: Im Wiener Austria Center tagen ab 11 Uhr die ÖGB-Vorstände.

Lesen Sie hier die bisher bekannten Eckpunkte der Reform im Detail:

Wir übertragen live ab ca. 10.30 Uhr die Statements der Bundesregierung zum Ministerrat:

Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker ist "sehr skeptisch", dass die Regierung bei der Reform der Sozialversicherung das angekündigte Einsparungsvolumen von einer Milliarde erreicht. Im ORF-"Report" verwies sie darauf, dass der Verwaltungsaufwand in der gesamten Sozialversicherung bloß bei 750 Millionen liege. Die Zahlen der Regierung seien daher "nur schwer zu glauben." Zudem seien Kostenschätzungen "oft Wunschdenken".

Ausgenommen von der Reform sind ja die 15 Krankenfürsorgeanstalten für Beamte in Gemeinden und Ländern. An diese könnte man auch denken, meint Kraker.

Die kritischen Stimmen mehren sich. Auch Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS)  bezweifelte im ORF-Morgenjournal, dass binnen fünf Jahren eine Milliarde Euro eingespart werden kann. Sowohl der Umbau als auch die Leistungsangleichung würden eher etwas kosten. Allein im Bereich Physiotherapie oder Psychotherapie würde eine Angleichung der Leistungen die Kosten in die Höhe schnellen lassen, und die Bundesregierung habe ja versprochen, das die Leistungen für niemanden schlechter werden.

Czypionka bezeichnet es auch als problematisch, dass die berufsständische Trennung zwischen "normalen" Angestellten, Gewerbetreibenden und Bauern sowie Beamten bleibt. Der Grund dafür, dass die Zusammenlegung nicht zu Ende gedacht wurde, ist   die nötige Verfassungsmehrheit. Die Regierung will sich nicht in die Abhängigkeit von SPÖ oder Neos begeben.

FPÖ-Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein verteidigte in der ZIB2 am Dienstag die Reform und verwies auf die Zusammenlegung der Pensionsversicherungsanstalten für Arbeiter und Angestellte, die auch 50 Millionen Euro pro Jahr an Einsparungen gebracht habe. Was sie nicht dazu sagte: Diese Bilanz ergab sich erst nach fünfzehn, nicht nach fünf Jahren. Bei den Patienten werde nicht gespart.

Arbeitnehmerprotest formiert sich

Die Arbeitnehmervertreter beraten heute in Wien über Protestmaßnahmen. Der Leitende ÖGB-Sekretär, auch stellvertretender Vorsitzender im Hauptverband, Bernhard Achitz, glaubt der Ministerin nicht. Er fragt sich vor allem, was die Patientinnen und Patienten von der Reform haben. "Nämlich nichts, im schlechtesten Fall droht ihnen sogar eine Verschlechterung der Leistungen." Mit weniger Geld könnten nicht gleichzeitig die Leistungen gleich bleiben oder sogar nach oben angehoben werden.

Achitz kritisiert vor allem die Verlagerung der Verwaltung in eine Zentrale in Wien, die Ansprechpartner für die Patientinnen und Patienten seien künftig weit weg, Entscheidungen würden länger dauern, ihre Interessen würden nicht mehr im selben Ausmaß wie bisher gewahrt.

Reform verfassungswidrig?

Der ÖGB prüft auch die Frage, ob die Reform nicht verfassungswidrig sei. Achatz bezieht sich dabei auf die Frage, ob der der Gleichstand zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im künftigen Selbstverwaltungsgremium den Arbeitnehmern nicht zu wenig Mitsprache einräume, weil deren Beiträge inklusive weiteren Zahlungsverpflichtungen, etwa der Rezeptgebühren, wesentlich höher seien als jene der Arbeitgeber.

Umfrage: Ja zu Fusion, Nein zu AUVA-Zerschlagung

Sieben von zehn Österreichern befürworten indes eine Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger, aber nur vier sind mit der geplanten Umsetzung einverstanden. Eine etwaige Zerschlagung der AUVA sehen allerdings auch Fusions-Verfechter skeptisch. Das market-Institut hat allerdings schon in der Vorwoche - also noch vor der Präsentation der Pläne durch die Bundesregierung - die Stimmung eingefangen.

Demnach lehnen nur 14 Prozent der 503 online befragten Wahlberechtigten eine Zusammenlegung der Kassen prinzipiell ab, 71 Prozent befürworten dieses Vorhaben. Allerdings sind lediglich 39 Prozent auch mit der geplanten Umsetzung einverstanden, die im Detail ja noch gar nicht bekannt war.

Weitgehende Einigkeit herrscht allerdings, was das weitere Schicksal der AUVA angeht: Dem Vorhaben, sie in die verbleibenden Träger zu integrieren, wenn die geforderten Einsparungen von 500 Mio. Euro nicht realisiert werden können, stehen nur 14 Prozent der Fusions-Befürworter und sechs Prozent der Gegner positiv gegenüber.

>>>Infografik: Was ändert sich durch die neue Sozialversicherung

Der steirische LHStv. Michael Schickhofer (SPÖ) warnte nach der am Dienstag vorgestellten Sozialversicherungsreform der Bundesregierung vor einer Verteuerung für untere Einkommensschichten: "Die Vorschläge bergen das große Risiko, dass am Ende des Tages unsere 'Schepfer' und alle österreichischen Versicherten mit Selbstbehalten für die jetzigen Einsparungen zahlen."

"Die beste Gesundheitsversorgung für alle Österreicherinnen und Österreicher muss immer im Vordergrund stehen", meinte Schickhofer. Der Vorschlag der Bundesregierung klinge gut, "wird aber viel kosten". Die Zweiklassen-Medizin müsse bekämpft werden und dürfe nicht still geduldet oder sogar gewollt sein. Leistungskürzungen beim Arzt oder im Krankenhaus dürfe es unter keinen Umständen geben, so Schickhofer.

Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) betonte nach einem "mutigen erster Schritt der neuen Bundesregierung", dass es eben nur "ein erster Schritt" sei. Ankündigen sei etwas anderes, als Reformen auch umzusetzen. Er wolle die Regierung ermutigen, "sich nicht von ihrer Linie abbringen zu lassen. Denn der Widerstand wird sich formieren und die Gegenargumente werden nicht immer sachlich sein." Weit größere Brocken wie etwa das Thema Pflege würden schon warten.

>>>Kommentar: Die fälligste aller Reformen

Der steirische Ärztekammerpräsident Herwig Lindner war von der Ankündigung nicht überrascht, denn die Pläne seien seit Monaten bekannt. Er empfindet die Harmonisierung aller Kassenleistungen als grundsätzlich positiv: "Dass Versicherte um gleiche Beiträge überall in Österreich die gleichen Leistungen bekommen ist eine Frage der Gerechtigkeit." Es dürfe dadurch aber zu keinen Leistungsreduktionen kommen, forderte Lindner: "Die Gesundheitsleistungen müssen für alle gleich gut sein, nicht gleich schlecht." Skeptisch zeigte er sich bezüglich allzu großer Hoffnungen, durch eine Dachorganisation Verwaltungskosten in großem Stil einsparen zu können. Selbst wenn man von realen Verwaltungskosten in der Höhe von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr aller Sozialversicherungen ausgehe, seien die Einsparungsziele "kühn", sagte Lindner.

Chefin der SPÖ Oberösterreich Birgit Gerstorfer ist "entsetzt über die von Türkis-Blau geplante Zerstörung der Sozialversicherungen", teilte sie in einer Presseaussendung mit. Da Kurz und Strache "Effizienzgewinne" in Höhe von einer Milliarde Euro versprechen, "befürchte ich ernsthaft Einsparungen auch bei den Leistungen" - diese Einsparungen würden die Patienten zu spüren bekommen.

Salzburger Kasse sieht Kahlschlag

"Das Geld der Salzburger Versicherten wird abgezogen", so kommentierte der Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK), Andreas Huss, die heute vorgelegten Pläne der Bundesregierung zur Sozialversicherung. "Was hier vorgesehen ist, ist ein regionaler Kahlschlag. Die Salzburger Versicherten dürfen ihre Beiträge zahlen, was mit diesen passiert, entscheidet aber eine Zentrale in Wien."

Berechnungen der SGKK würden zeigen, dass dann allein in Salzburg bis zu 30 Millionen Euro jährlich weniger für das regionale Gesundheitssystem zur Verfügung stünden. "Zusätzlich sollen laut Regierungsvorlage rund 100 Millionen Euro Rücklagen der Salzburger Versicherten ebenfalls abgezogen werden, bleiben sollen nur 'freie Rücklagen', die Leistungssicherungsrücklagen sollen abgezogen werden", hieß es am Dienstag in einer Aussendung der SGKK. "Mit 30 Millionen Euro jährlich finanzieren wir in Salzburg rund 120 Arztstellen. Wenn wir dieses Geld durch die geplanten Vorhaben nicht mehr bekommen, wissen wir nicht, wie wir die Leistungen für unsere Versicherten aufrecht erhalten können", erklärte Huss.

Wallner abwartend

Im Grundsatz wohlwollend, aber dennoch zurückhaltend äußerte sich der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) zur heute vorgestellten Sozialversicherungsreform der Bundesregierung. "Für uns ist die Ausformulierung entscheidend", sagte Wallner gegenüber der APA. Gleichzeitig erneuerte er seine Forderungen: Rücklagen unangetastet lassen, eine gesetzliche Verankerung der Budgetautonomie und eine "gewisse" regionale Ausgestaltungsmöglichkeit.

Es gebe noch zahlreiche Unklarheiten, auch das Verhältnis zwischen der neu zu gründenden Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und den Länderkassen müsse noch genau geklärt werden, sagte Wallner. Ein endgültiges Urteil könne er deshalb erst nach einer Begutachtung des Gesetzestextes abgeben. Das von der Regierung formulierte Einsparungspotenzial von einer Milliarde Euro hielt der Vorarlberger Landeschef jedenfalls für "sehr ambitioniert".

Ärztekammer fordert Einbindung in Verhandlungen

Die Ärztekammer fordert ihre Einbindung in die weiteren Verhandlungen zur Reform der Sozialversicherungen. Den Plänen der Regierung steht Vizepräsident Johannes Steinhart durchaus aufgeschlossen gegenüber. Den geplanten Ausbau des niedergelassenen Bereichs begrüßte er in einer Aussendung ausdrücklich.

Bei der angestrebten "Gesundheitsmilliarde" will Steinhart genau beobachten, ob das Geld auch wirklich bei den niedergelassenen Ärzten ankommt. Fraglich ist für ihn, ob die Leistungsharmonisierung nicht doch zu Kürzungen und Einsparungen führt.