Das Leben der sieben Jahre alten Hadish endete in einer Dusche. Ihr mutmaßlicher Mörder – ein 16-jähriger Nachbar – schnitt ihr dort die Kehle durch. Dass dieser aus Tschetschenien stammt, lässt nun eine Debatte aufkochen, die in Wien, aber auch im Rest Österreichs seit Jahren geführt wird. Sie dreht sich um die Frage: Warum ist diese Volksgruppe so gefährlich?

Immer wieder finden sich Tschetschenen in den Schlagzeilen, von Massenschlägereien, Bandenkriminalität und Messerstechereien ist dabei die Rede. Wie viele Landsmänner aber tatsächlich in Straftaten verwickelt sind, ist nicht eindeutig zu beantworten. Denn in der Kriminalstatistik werden Tschetschenen nicht eigens erfasst, sondern in die Kategorie „Russische Föderation“ gerechnet. Und diese belegte 2017 mit 3.334 Personen Platz neun in der Liste ausländischer Tatverdächtiger. In den Top drei finden sich Rumänien, Deutschland und Serbien.

Polizist: "Immer wieder Probleme"

Im Bereich Bandenkriminalität sind Tschetschenen laut Polizei deutlich aktiver, hier geht es häufig um Einbrüche, Diebstahl oder Schutzgelderpressung. In Deutschland wurde kürzlich sogar vor sich ausbreitenden Banden gewarnt. Und auch die Gruppe jener in Österreich lebenden Ausländer, die in den Syrien-Krieg ziehen, führen häufig Tschetschenen an. „Wir haben immer wieder Probleme mit dieser Volksgruppe“, bestätigt auch ein Wiener Polizist, der anonym bleiben will. „Das Problem ist weniger, dass sie ,Einheimische’ angreifen, sondern dass sie sich mit Afghanen oder Syrern Straßenschlachten liefern. Und das verängstigt natürlich auch alle anderen.“ Auch das „Lungern“ in Parks verunsichere die Anrainer.

Für Verunsicherung dürfte Usman auf den Straßen Wiens noch nie gesorgt haben. Der großgewachsene, schlanke junge Mann mit den leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln erfüllt nicht das Klischee des martialischen Tschetschenen, doch die Vorurteile gegen seine Volksgruppe macht auch vor ihm nicht halt. „Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, antworte ich: Russland“, erzählt er. „Denn sobald ich Tschetschenien sage, sehe ich im Gesicht meines Gegenübers, wie sich sein Bild von mir schlagartig ändert.“ Der 27-Jährige lebt seit 2003 in Wien, aus seiner Heimat musste er aus politischen Gründen fliehen. Heute arbeitet er bei einer Übersiedelungsfirma, Abends geht er in die Schule, um sich auf die Aufnahmeprüfung an der Medizin Uni vorzubereiten. Wenn seine Landsleute für Negativschlagzeilen sorgen, ärgert ihn das. „Das wirft ein schlechtes Licht auf uns alle.“ Er habe gehört, dass es sie gibt, die Banden, die jungen Männer, die Probleme machen. „Persönlich kenne ich aber nur Leute, die arbeiten oder studieren – und die haben für so etwas keine Zeit.“ Warum fällt vielen anderen die Integration so schwer? „Bei machen sitzt die Erinnerung an die zwei Kriege in der Heimat tief und sorgt vielleicht auch für Aggressionen.“ Auch er habe viel erlebt, in seinem Herkunftsland. „Aber ich versuche, das hinter mir zu lassen“, erzählt er.

Rund 30.000 Tschetschenen leben aktuell in Österreich, der Großteil von ihnen ist vor eben diesen Kriegen geflüchtet. Seit 2003 sinkt die Zahl der positiven Asylanträge. Die Community ist – ebenso wie die türkische – sehr gut vernetzt, hat aber einen eklatanten Nachteil: Sie ist es nur nach innen.

"Es gibt schlicht keine Belege"

Nach außen bleibt es still, wenn der Volksgruppe – wie in diesen Tagen – rauer Wind entgegen bläst. „Das liegt vor allem daran, dass die Community deutlich jünger ist als jene der Türken“, erklärt Maynat Kurbanova. „Sie hat sich erst Anfang der 2000er gebildet und muss sich noch organisieren.“ Kurbanova kommt ebenfalls aus Tschetschenien, sie war dort Kriegsreporterin und musste fliehen. Als sie vor sieben Jahren von Deutschland nach Österreich kam, sei sie überrascht gewesen, „wie schlecht das Image der Tschetschenen hier ist“. Natürlich gebe es „einige jugendliche Kleinkriminelle“ unter ihren Landsleuten, räumt sie ein. Sie habe mit vielen von ihnen gesprochen, „und jener noch so Coole unter ihnen will eigentlich nur eines: In der Gesellschaft akzeptiert werden und eine Perspektive haben“. Und dafür, dass das ganze Volk aggressiv oder brutal sei, „gibt es schlicht keinerlei Belege.“ Dass genau diese Behauptung mit dem Mord an der kleinen Hadish wieder im Raum steht, ärgert die Journalistin.

Was muss also passieren, damit das mit der Integration besser funktioniert? „Wenn ich dafür ein Rezept hätte, würde ich es verteilen“, sagt Kurbanova nachdenklich. Usman sieht die Sache pragmatisch: „Wir müssen uns einfach mehr bemühen. Also beide Seiten.“