Insgesamt 17 Mal drückt Martina Hörhann ab. In weniger als einer Minute leert sie das Magazin ihrer Glock-17-Pistole, bevor sie diese zurück in das Waffenholster an ihrem Gürtel steckt. Seit eineinhalb Jahren kennt Hörhann den Keller im dritten Wiener Gemeindebezirk, in dem sie an diesem Tag auf ein Blatt Papier schießt - so lange dauert die Ausbildung schon. Die 38-Jährige ist eine von 2600 Schülerinnen und Schülern, die in den elf Bildungszentren der Sicherheitsakademie (SIAK) für den Polizeiberuf ausgebildet werden.

Doch das Land braucht mehr - viel mehr. Im Herbst hatte die Generaldirektorin für die öffentliche Sicherheit, Michaela Kardeis, Alarm geschlagen: In den kommenden Jahren wird ein Drittel der 29.000 Polizisten im Land in Pension gehen. Politische Maßnahmen aus der Vergangenheit haben das Nachwuchsproblem der Exekutive zusätzlich verstärkt. Unter der ersten schwarz-blauen Regierung wurde die Polizei ausgedünnt, 2014 musste unter Innenministerin Johanna Mikl-Leitner jeder sechste Polizeiposten zusperren. Seit damals warnt auch die Gewerkschaft vor einer Pensionierungswelle. „Aber jede Regierung der letzten Jahre hat das Problem ignoriert“, schimpft Hermann Greylinger, stellvertretender Vorsitzender der Polizeigewerkschaft. Nun sei es nicht fünf vor, sondern nach zwölf. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) will handeln, sagt er, und verspricht 4100 neue Beamte.

Kickl will nun eine Charme-Offensive starten. In Wels verkündete er, wie er mehr Bewerber für den Polizeidienst anlocken will, die Geschichte dazu finden Sie >>hier<<.

Zwei Jahre Ausbildung um 30.000 Euro

Doch wer meint, dass die zusätzlichen Uniformierten schon kurz nach Beschluss auf Österreichs Straßen patrouillieren werden, der irrt. Zwei Jahre dauert die Ausbildung, die Hörhann und ihre Kollegen absolvieren. Im ersten Jahr wird theoretisches Wissen vermittelt, die angehenden Polizisten lernen Nahkampf, Schießen und das Strafgesetzbuch kennen. Danach arbeiten sie drei Monate in einer Polizeiinspektion mit, gehen auf Streife und schreiben Strafzettel. In Wien darf man Präferenzen für einen Bezirk angeben, besonders beliebt sind Favoriten und Rudolfsheim-Fünfhaus. „Dort ist immer was los“, sagt der 26-jährige Polizeischüler Daniel Koch, den vor allem der Außendienst am Beruf reizt. In die Innenstadt wollen hingegen die wenigsten, dank langer Fußmärsche und Touristen, die nach dem Weg fragen.

Die Ausbildung kostet pro Kopf rund 30.000 Euro. Am Ende legen die Schüler die Dienstprüfung ab und werden einer Dienststelle zugewiesen. Dort genießen sie noch ungefähr ein Jahr „Welpenschutz“, bevor sie allein agieren. Von der Bewerbung zum fertigen Polizisten vergehen also in vielen Fällen vier Jahre.

Bei ebendieser Bewerbung steht die Polizei vor ihrem nächsten Problem. Noch bevor die Ausbildung begonnen werden kann, müssen Bewerber ein Auswahlverfahren absolvieren - an dem viele scheitern. So mancher kann die erforderlichen Sportnachweise nicht erbringen, ein Drittel scheitert am Deutschtest. Letzteres ist ein größeres Problem, als man annehmen würde - Polizeiberichte müssen vor Gericht halten. Wer diese nicht ordentlich verfassen kann, wird vom Verteidiger des Angeklagten zerpflückt.

Mitarbeiter: "Qualität der Bewerber sinkt"

Auch beim Auswahlverfahren kündigt Innenminister Kickl deshalb Erleichterungen an. In Zukunft könnten auch jene mit sichtbaren Tätowierungen zugelassen werden, ein vergeigter Sporttest könnte schon nach sechs statt zwölf Monaten wiederholt werden. Doch solche Erleichterungen kommen nicht überall gut an. Ein langjähriger Mitarbeiter der Sicherheitsakademie, der anonym bleiben will, beklagt: „Je größer die Verzweiflung bei der Aufnahme, desto geringer ist die Qualität der Bewerber.“ „Früher musste man beim Aufnahmetest 800 von 1000 Punkten erreichen. Heute kommen sie oft schon mit weniger als 300 durch.“ Zudem seien viele dabei, die die Ausbildung abbrechen oder gleich in ein Ministerium wechseln. „In den Inspektionen kommen diese Leute nicht an.“

Es wäre zudem nicht die erste Lockerung. Bereits vor einigen Jahren fielen Alters- und Größenbeschränkungen. Heute werden auch Bewerber mit 1,60 Meter Körpergröße oder mehr als 50 Lebensjahren genommen. „Mit diesen Polizisten haben Kollegen die doppelte Arbeit, sagt der Polizeimitarbeiter. „Die sind nicht überall einsetzbar.“ Früher durften Polizeianwärter nicht älter als 30 Jahre und nicht kleiner als 1,68 (Männer) und 1,63 (Frauen) sein.

"Natürlich waren wir verwöhnt"

Dass die Qualität der Schüler abnimmt, bestreitet der stellvertretende Direktor der SIAK, Thomas Schlesinger. „Natürlich waren wir verwöhnt, als es noch weniger Aufnahmen gab“, sagt er. Aber man müsse auf die Pensionierungen reagieren. Kickls Aufnahmeoffensive stelle die SIAK aber vor eine gewaltige Aufgabe. „Früher haben wir 1700 Bewerber jährlich ausgebildet, heute sind es 2500 - deshalb müssen wir massiv ausbauen.“ An Bewerbern fehle es nicht, pro Jahr melden sich 6500.

Auch Martina Hörhann will Polizistin werden. 20 Jahre hat sie in der Gastronomie gearbeitet. „Ich kann also mit jeder Art Mensch umgehen“, erzählt sie im „Schießkanal“, nachdem sie das Magazin ihrer Waffe geleert hat. Auch sie spricht sich gegen eine vereinfachte Aufnahme aus. „Wer zur Polizei will, weiß, was auf ihn zukommt.“