Sebastian Kurz ist jener Mann, dem seit Monaten am meisten zugetraut wird in Österreich.

Innerhalb der ÖVP, die verzweifelt dagegen kämpft, im Match SPÖ gegen FPÖ aufgerieben zu werden und in ihm den durchaus populistisch agierenden, aber politisch dennoch ernstzunehmenden und ernstgenommenen Helden sieht, der die Wende schafft.

Von den Wählern, die laut jüngsten Umfragen einem ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz die meisten Stimmen geben würden (wenngleich diese Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, weil eine Sonntagsfrage mit einem Noch-Nicht-Spitzenkandidaten ungenügend berücksichtigt, wie sich der Rollenwechsel auf die Zustimmung auswirkt).

Analyse von Michael Jungwirth:

Und von der SPÖ, die zuletzt alle Hebeln in Bewegung setzte, um - im Falle eines ÖVP-Spitzenkandidaten Sebastian Kurz - baldige Neuwahlen zu verhindern, in der Sorge darum, dass ihr eigener Sonnenkönig Christian Kern ihm gegenüber das Nachsehen haben könnte.

In den letzten Tagen war viel darüber gerätselt worden, ob das, was man ihm zutraut, hält, wenn es ernst wird. Das hat der "Jedi der ÖVP", wie er in einem Porträt einmal genannt wurde, jetzt bewiesen.

Kurz ist ein Mann, der sich was traut.

Er traut sich, Neuwahlen auszurufen, obwohl zuletzt viele Unkenrufe erschallten, wonach genau das peinlich zu vermeiden sei, Neuwahlen nämlich, die die ÖVP vom Zaun bricht wie weiland Wolfgang Schüssel, der dafür bitter abgestraft wurde.

Kurz argumentiert sehr geschickt: Nicht das Scheitern der Regierung, schon gar nicht das Scheitern der ÖVP sei das Motiv dafür, den Neuanfang zu wagen, sondern die edle Absicht, den Souverän, also die Wähler darüber entscheiden zu lassen, welchen Weg Österreich nimmt.

Kern ist ihm duchaus ebenbürtig, was den Zug zum Tor und das strategische Geschick betrifft. Er wandte sich nur an eine andere Adresse. Der Kanzler nahm in den vergangenen Tagen intensive Gespräche mit den Oppositionsparteien auf. Mit allen, wohlgemerkt, auch mit der FPÖ. Sein As im Ärmel war "sein Weg", der "Plan A", von dem er durchaus hoffen durfte, dass eine beträchtliche Anzahl von Versatzstücken auch von den Oppositionsparteien mitgetragen werden könnte.

Nicht dumm: Wenn Kern es geschafft hätte oder noch schafft, von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragt zu werden - diese Möglichkeit wurde in den Stunden vor Kurz' Auftritt diskutiert - hätte er das Regieren mit der FPÖ unter Heinz-Christian Strache im losen Verbund proben können, die Opposition hätte ihr Ziel erreicht, den Eurofighter-Untersuchungausschuss weiterlaufen zu lassen, und der ÖVP mit ihrem Shootingstar, der fürchten muss, fern der Hebeln der Macht zu verblassen, hätte Kern das Wasser abgegraben.

Alles ist möglich, immer noch. Aber Kurz hatte den Mut, die Ärmel aufzukrempeln und einen Pflock einzuschlagen.

Jetzt hängt alles ab von seiner eigenen Partei, der ÖVP.

Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass er der einzige ist, dem es die Volkspartei derzeit zutraut, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Die Frage ist, ob sie es schafft, ihn davon zu überzeugen, dass er - im Gegensatz zu seinen Vorgängern - eine echte Chance hat.

In welcher Form diese Zusicherung erfolgt, ob durch eine statutarische Machterweiterung, notarielle Unterschriften oder den schlichten Handschlag, ist letztlich egal. Kurz muss daran glauben können.

Siegertypen zeichnen sich dadurch aus, dass sie handeln, wenn es Zeit ist, und dass sie tun, was sie für richtig halten.

Letzteres war keinem der verblichenen Obleute der ÖVP in den vergangenen Jahren möglich. Was übrigens auch jeder wusste und zugab, aber Bündeobleute und Landesparteichefs hatten ihnen die Hände gebunden. Jede Hoffnung, treuherzigen Bekenntnissen im innersten Kreis trauen zu dürfen, zerschlug sich. Oft innerhalb weniger Stunden.

Kurz hat gesagt, was er will: Der, der die Führung übernehme, müsse die Möglichkeit haben, die inhaltliche Linie vorzugeben und Personalentscheidungen treffen zu dürfen.

Kurz ist für beides perfekt aufgestellt. Die strukturelle und inhaltliche Neuaufstellung der Partei - sowohl das, was beim letzten Parteitag umgesetzt wurde, als auch das, was bislang nur als Idee vorhanden ist - erfolgte unter seiner Ägide. Er kennt alle Überlegungen, die auf dem Tisch liegen. Er muss sie nur umsetzen dürfen.

Und niemand ist persönlich so vernetzt wie der Außenminister. Seine Kontakte reichen in Kreise hinein, die viele Parteifreunde nur vom Hörensagen kennen. Aber er ist auch innerhalb der Partei nicht nur mit vielen vertraut, sondern bastelt seit Jahren konsequent an einer Seilschaft der Jungen, die sich aufgemacht haben, ihre verzopfte, an antiquierten Strukturen erstickende und in der Wählergunst dahinsiechende Partei wieder zu einer "Großpartei" zu machen, die diesen Namen verdient.

Kurz kann's, das hat er heute bewiesen. Ob es die Partei kann, darauf zu vertrauen nämlich, dass er sie in eine Zukunft führt, in der auch die einen Platz haben, die noch am Alten hängen, ohne dass die fürderhin selbst das Sagen haben, wird sich am Sonntag zeigen.