In der Regierung herrscht offenbar Uneinigkeit, ab wann die sogenannte Asyl-Notverordnung in Kraft treten soll. Während Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) am Dienstag gemeint hatten, dies geschehe nicht vor Erreichen von 37.500 Asylverfahren, will Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen früheren Start. Abwarten will Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ).

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka drängt auf einen raschen Beschluss der Asyl-Notverordnung nach der Begutachtung. "Ich erwarte mir, dass es rasch zu einem Beschluss der Regierung kommt", so Lopatka gegenüber der APA. Er werde sich in der nächsten Präsidialsitzung des Nationalrats für eine Sitzung des Hauptausschusses Ende Oktober einsetzen.

Die Sonderverordnung, die eine deutliche Einschränkung des Zugangs zum Asylverfahren in Österreich bringen soll, muss von der Regierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss beschlossen werden. Lopatka geht davon aus, dass sie aufgrund der bisherigen Zahlen benötigt werden wird, um die für heuer geplante Obergrenze von 37.500 Asylanträgen nicht zu überschreiten.

Scharfe Kritik von Amnesty

Mit scharfer Kritik reagiert Amnesty International auf den Begutachtungsentwurf zur Notverordnung im Asylwesen. "Diese Verordnung heißt nicht 'wir können nicht', sondern 'wir wollen nicht'", schreibt Generalsekretär Heinz Patzelt, der eine Verletzung grundsätzlicher Menschenrechtsstandards ortet, in einer Aussendung

Wenn die Verordnung in Kraft trete, werde dadurch de facto das Asylrecht abgeschafft, findet Patzelt und meint: "Das Ergebnis wird ein neues Idomeni in Nickelsdorf sein."

SPÖ-Abgeordnete gegen Verordnung

Ein rascher Beschluss wäre laut Lopatka auch im Sinne der Nachbarländer: "Unsere Nachbarn brauchen ja auch Rechtssicherheit." Die SPÖ-Jugendorganisationen lehnen die Asyl-"Notverordnung" unverändert hab. Sowohl die Junge Generation als auch der VSStÖ deponierten am Mittwoch in Aussendungen, dass man von einem Notstand weit entfernt sei.

Katharina Kucharowits, JG-Vorsitzende und SPÖ-Kinder- und Jugendsprecherin meinte: "Die Probleme, die ich wahrnehmen kann, sind nicht hilfesuchenden Menschen geschuldet, sondern den Versäumnissen einiger Ministerien und Bundesländer." Daher fordere sie: "Schluss mit Law and Order, her mit sozial gerechter Politik".

Der VSStÖ nimmt Parteichef Christian Kern direkt in die Pflicht. Vorsitzende Katrin Walch schreibt, sie schätze Kern als einen intelligenten Menschen ein, der sich dessen bewusst sei, dass die Forderung nach einer Notverordnung absurd sei: "Er darf sich nicht von der ÖVP oder Teilen der SPÖ dazu bringen lassen populistische Forderungen durchzusetzen."

Skeptisch bewertet die Opposition die Notverordnung der Regierung zur Flüchtlingspolitik. Die FPÖ konzentriert sich dabei freilich weniger auf die Verordnung an sich sondern darauf, dass die Regierung nun streitet, wann sie zur Anwendung kommt.

"Traurig, dass die Regierung nach wie vor nicht handlungsfähig ist - zu Lasten unseres Landes. Österreich braucht umgehend einen Asyl- und Zuwanderungsstopp", meint der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner in einer Aussendung und fordert rasches Handeln der "Streitkoalition".

Die Grünen lehnen die Notverordnung ohnehin ab, da sie keinen Notstand sehen, und auch die NEOS können wenig mit dem Vorhaben anfangen. Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak befindet: "Wir brauchen keine Notverordnung, die nicht kommt, sondern einen Integrationsplan - bevor hier eine Not entsteht." Beschleunigt werden sollten seiner Meinung nach die Asylverfahren, ebenso forciert Rückführungen.

Pro Notverordnung ist das Team Stronach und drückt aufs Tempo. Die Regierung müsse nun die Notbremse ziehen: "Denn wenn die von der Regierung festgelegte Obergrenze von 37.500 erreicht ist, ist es zu spät!", glaubt Klubobmann Robert Lugar.

Uneinigkeit über Start

Sobotka hatte gegenüber der "ZiB 2" des ORF und mehreren Zeitungen erklärt, der Kanzler irre, wenn er meint, dass die Verordnung erst ab dem Erreichen von 37.500 Asylverfahren (die vereinbarte Obergrenze für das Jahr 2016) in Kraft treten werde. "Ich glaube hier irrt der Bundeskanzler schlicht und ergreifend", sagte er. Denn was solle denn eine Verordnung bewirken, wenn die Grenze bereits erreicht ist, fragte er in der "ZiB 2". "Ein Feuerwehrauto zu kaufen, wenn es brennt, macht wenig Sinn", drängte der Minister auf ein früheres Ergreifen der Maßnahme, mittels derer das Stellen von Asylanträgen erschwert werden soll.

Auch im heutigen ORF-Morgenjournal drängt Sobotka auf die rasche Umsetzung, er wolle sich aber auf keine Zahl festlegen. Außerdem betont der Innenminister, dass es sich nicht "um eine Not- sondern eine Sonderverordnung" handle. Unklar bleibt weiterhin, was mit den Menschen an der Grenze passieren wird, wenn sie abgewiesen werden.

Grenze von 37.500 Aslyverfahren

Kanzleramtsminister Drozda sagte dazu im "ZiB 2"-Interview, wann der genaue Zeitpunkt für das In-Kraft-Treten der Verordnung kommen werde, könne "niemand genau beantworten". Klar sei, dass die notwendigen Beschlüsse der Regierung und des Hauptausschusses der Parlaments dann gefällt werden, wenn die Grenze von 37.500 Asylverfahren "in Reichweite" sei, sagte er.

Auf die Nachfrage, wann dies soweit ist, sagte der Minister, seit Jahresbeginn seien rund 25.000 Personen zum Asylverfahren zugelassen worden, pro Woche würden weitere rund 700 Personen dazukommen. Möglicherweise werde man "Ende November der Dezember" in der Situation sein, diese Grenze zu erreichen.

"Die Bundesregierung hat entschieden, in dieser Situation vorbereitet zu sein", so Drozda. Er sei jedenfalls gegen "Haarspaltereien" in dieser Frage. Das Prozedere sehe einen einstimmigen Regierungsbeschluss sowie einen Beschluss im Hauptausschuss vor. "Auf Basis der Zahlen und der Entwicklungen werden wir entscheiden", sagte der Minister.

Klage gegen Ungarn?

Im Streit um die Rücknahme von Dublin-Flüchtlingen droht der österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) Ungarn nun mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Wenn Staaten oder eine Staatengemeinschaft "permanent das Recht bricht", müssen diese "auch rechtlich mit Konsequenzen rechnen", sagte Sobotka am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal.

"Dann muss auch die Republik (...) dementsprechend das einklagen", betonte der ÖVP-Politiker. "Die Republik muss darauf schauen, dass die Europäische Union die Gesetze einhält. Punkt."

Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass jenes EU-Land für Flüchtlinge zuständig ist, wo diese erstmals europäischen Boden betreten haben. Ungarn weigert sich jedoch, all jene Dublin-Fälle aus Österreich zurückzunehmen, die über ein anderes EU-Land eingereist sind. Konkret ist damit Griechenland gemeint, über das der überwiegende Großteil der Schutzsuchenden, die nach Österreich kommen, die EU betrat.