Griss, etwaige Kandidatin für die Bundespräsidentschaftswahl, zeigte sich im Rahmen der von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) organisierten Veranstaltung skeptisch bezüglich einiger Stimmen aus Deutschland: Wenn nun manche meinten, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik auch die Probleme mit der drohenden Überalterung der Gesellschaft im Zuge der demografischen Entwicklung entschärft habe, würden voneinander "unabhängige Dinge" vermischt, erklärte sie.

Zwischen der Gewährung von Asyl und geordneter Einwanderung brauche es weiter eine klare Trennung, so die Juristin. Auch wenn sich zeigen werde, dass sich viele der jetzt ankommenden Menschen gut in Europa integrieren und wertvolle Beiträge leisten werden, müsse sich ein Staat auch in Zukunft bis zu einem gewissen Grad weiter aussuchen können, wer kommt.

Der Staat habe zudem das Recht darauf, zu wissen, wer sich innerhalb seiner Grenzen aufhält. In der aktuellen Situation, in der viele Menschen ohne Reisedokument oder Visum ein- und durchreisen, ohne zumindest flächendeckend registriert zu werden, "bewegt sich die österreichische Verwaltung außerhalb der Legalität", erklärte Griss. Dieses Vorgehen sei eigentlich nur legitim, wenn ein "übergesetzlicher Notstand" vorliege. Ein solcher müsste aber unvorhersehbar oder nicht selbst verursacht worden sein. Angesichts der Tatsache, dass "der Krieg in Syrien nicht gestern ausgebrochen ist" und der Flüchtlingszuzug bis zu einem gewissen Grad absehbar gewesen sei, könne man darüber diskutieren.

Klar sei, dass sich nicht nur Österreich hier schwertue, erklärte Gerda Falkner, Leiterin des Instituts für europäische Integrationsforschung der Universität Wien. Die EU hätte zwar theoretisch die Möglichkeit, einerseits den Flüchtlingszuzug gemeinschaftlich zu bewältigen und andererseits diplomatisch stärker für ein Beenden des Krieges in Syrien einzutreten. Aufgrund der verschiedenen Interessen der Mitgliedsstaaten stecke man aber in einer "Politikverflechtungsfalle", so die Politikwissenschafterin. Wenn etwa Flüchtlinge aus der gleichen Region in Ungarn eine fünfprozentige und in Schweden eine neunzigprozentige Chance auf Asyl haben, zeige sich eindeutig, dass es nicht gelungen ist, gemeinsame Standards und ein gemeinsames Vorgehen zu entwickeln.

In Österreich habe die zögerliche Herangehensweise vor dem Sommer, als noch vergleichsweise wenige Flüchtlinge eintrafen, diese im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen aber teilweise unter freiem Himmel schlafen mussten, das Problem in der Wahrnehmung der Bevölkerung verstärkt, erklärte Falkner weiter. Sie vermute, dass auch "Mainstream-Parteien" mit dieser Vorgehensweise auf "Stimmenfang" aus waren. Erst jetzt sehe man, was punkto Unterbringung eigentlich möglich gewesen wäre.

Andre Gingrich, Leiter des Instituts für Sozialanthropologie der ÖAW, erklärte, dass man es bei der Hauptursache für den Flüchtlingszuzug - dem Krieg in Syrien - mit einem komplexen Stellvertreterkrieg, nicht nur zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, zu tun habe. Momentan gebe es nur zwei Optionen, nämlich die Verstärkung der diplomatischen Bemühungen für einen Waffenstillstand oder "Syrien blutet sich weiter aus", so der Kenner der Region.

Leider gebe es einige Kriegsparteien und deren Unterstützer, die weiterkämpfen wollten - allen voran die jihadistische Organisation "Islamischer Staat" (IS), fuhr Gingrich fort. Wer angesichts der verfahrenen Situation aber den Kopf in den diplomatischen Sand steckt, nehme weiteres Blutvergießen und in Folge auch die Flucht weiterer Menschen in Kauf. Die aktuelle Wiener Syrien-Konferenz und die Initiativen des österreichischen Außenministeriums seien Schritte in die richtige Richtung, konstatierte er.